Long Covid trifft Schätzungen zufolge jeden Zehnten Corona-Infizierten.  (Foto: IMAGO, imago)

Medizin

Fragwürdige Therapien für Folgen von Long Covid

Stand
INTERVIEW
Christoph Kleinschnitz
AUTOR/IN
Jochen Steiner
ONLINEFASSUNG
Ralf Kölbel
Lilly Zerbst

Jeder zehnte Betroffene leidet auch lange nach einer Corona-Infektion an Atemnot, Schmerzen oder Müdigkeit. Bringt eine oft teure Sauerstofftherapie oder Blutwäsche Linderung? SWR2 Redakteur Jochen Steiner hat mit Long Covid-Spezialist Christoph Kleinschnitz gesprochen.

Jochen Steiner, SWR2: Müdigkeit, Muskelschmerzen, Gedächtnislücken, Atemnot - die Beschwerden bei Long Covid die sind vielfältig. Mittlerweile ist jede zehnte Corona-Patientin oder jeder zehnte Corona-Patient in Deutschland von Long Covid betroffen. So unterschiedlich die Symptome sind, so unterschiedlich sind auch mögliche Therapien. Und die können teilweise mehrere tausend Euro kosten. Diese müssen dann die Patientinnen im Zweifelsfall selbst bezahlen, zum Beispiel bei der Hyperbaren Sauerstofftherapie.

Aber nicht alle Long Covid Therapien können wirklich weiterhelfen. Professor Christoph Kleinschnitz ist Neurologe am Universitätsklinikum in Essen. Dort gibt es seit 2020 eine Long-Covid-Ambulanz, in der seitdem mehr als 500 Menschen behandelt wurden.

Auch nach einer überstandenen Corona-Infektion leiden einige noch unter Symtomen, wie unter z.B. extremer Erschöpfung.  (Foto: IMAGO, IMAGO/Rolf Poss)
Auch nach einer überstandenen Corona-Infektion leiden Einige noch unter Symptomen, zum Beispiel unter extremer Erschöpfung.

Sie haben neulich in dem Spiegel-Interview vor teuren Therapien gegen Long Covid gewarnt. Zum Beispiel setzen sich manche Betroffene in Unterdruckkammern. Über die hyperbare Sauerstofftherapie finden sich im Netz viele positive Erfahrungsberichte. Was bringt denn diese Therapie bei Long Covid wirklich?

Professor Christoph Kleinschnitz, Neurologe: Ja, also sie haben völlig Recht. Diese Therapie wird angeboten. Sie wird auch relativ gut angenommen von den Patientinnen und Patienten, die an Long Covid leiden. Die Patientinnen und Patienten haben oft schon einen langen Weg hinter sich.

Die Überlegung dahinter, warum diese hyperbare Oxygenierung wirken könnte, ist die Annahme, dass Long Covid zu einer Unterversorgung von Sauerstoff in praktisch allen Geweben des Körpers inklusive des Gehirns führt. Und wenn man nun Sauerstoff unter Überdruck dem Körper zuführt, kann dann der Sauerstoff in diese unterversorgten Gewebe eindringen und diese Symptome, die sie eben geschildert haben, bei Long-Covid bessern.

Jochen Steiner: Und ist das der Fall?

Professor Christoph Kleinschnitz: Ich persönlich glaube, dass die pathophysiologische Hypothese, also die Grundannahme, die dahinter liegt, nicht oder wenn überhaupt nur in seltenen Fällen Long Covid zutrifft. Es gibt dafür aus meiner Sicht keine bewiesene Evidenz zu behaupten, dass über viele Monate und teilweise Jahre eben ein Sauerstoffmangel in den Organen besteht, der dann für diesen bunten Strauß an Symptomen verantwortlich sein könnte.

Jochen Steiner: Und ich glaube so eine Therapie kann sogar einige tausend Euro kosten.

Professor Christoph Kleinschnitz: Richtig, die Sauerstofftherapie kann auf mehrere tausend Euro kommen. Es gibt andere Verfahren wie die Blutwäsche. Die kostet auch mal über 10.000 Euro, je nachdem, wie viele Behandlungszyklen man anwendet.

Jochen Steiner: Auf die würde ich jetzt gern zu sprechen kommen, die sogenannte Blutwäsche, die auch relativ "populär" als Therapie bei Long Covid ist. Was passiert da und was verspricht man sich davon?

Professor Christoph Kleinschnitz: Das Konzept dahinter ist Folgendes: man glaubt, dass bestimmte Entzündungsbotenstoffe bei Long Covid über Monate im Blut oder in den Organen der Patientinnen und Patienten weiter vorhanden sein können. Dieses Verfahren ist etabliert in der Medizin, auch in der Neurologie.

Eine Blutwäsche wird Long Covid Patient:innen oft als "Wundertherapie" angepriesen. Das Verfahren ist nicht nur kostspielig, sondern kann unter Umständen auch schwere Nebenwirkungen verursachen. (Foto: IMAGO,  imago/Oliver Ring)
Eine Blutwäsche wird Long Covid Patient:innen oft als "Wundertherapie" angepriesen. Das Verfahren ist nicht nur kostspielig, sondern kann unter Umständen auch schwere Nebenwirkungen verursachen.

Was man mit der Blutwäsche macht oder denkt zu machen bei Long Covid, ist diese Entzündungsbotenstoffe, wie der Name schon sagt herauszuwaschen aus dem Körper, den Körper davon zu befreien und dadurch eine Symptomlinderung zu erzielen.

Jochen Steiner: Und funktioniert das?

Professor Christoph Kleinschnitz: In Bezug auf Long Covid bin ich skeptisch, denn ich glaube dass auch hier die Grundannahme nicht bewiesen ist. Ich halte sie auch für falsch. Und es bleibt schwierig zu erklären, wie solche Entzündungsbotenstoffe und auch Blutgerinnsel über Monate anhalten sollen. Ob man die dann damit auch wirklich rauswaschen kann, ist wirklich aus meiner Sicht mehr als fraglich. Und gerade die Blutwäsche kann durchaus auch mit schwereren Nebenwirkungen einhergehen.

Jochen Steiner: Okay - also weder hyperbare Sauerstofftherapie noch Blutwäsche bei Long-Covid. Wie behandeln Sie denn die Menschen bei Ihnen in der Essener Long-Covid-Ambulanz? Wie können Sie denen dann helfen?

Professor Christoph Kleinschnitz: Ich glaube, das Wichtigste zunächst einmal ist das man, wenn man experimentelle Therapieverfahren anbietet, man sich zumindest der Studiensituation stellen sollte. Also man muss verlangen, dass solche Therapien in klinischen Studien kontrolliert, anonymisiert und unter Ausschaltung des Placebo-Effektes geprüft werden. Das ist bisher nicht der Fall.

Was gibt es für Alternativen? Wir hier in Essen glauben man, muss es interdisziplinär und multidisziplinär angehen. Bei so vielen Symptomen, die die Patientinnen und Patienten schildern, bin ich absolut davon überzeugt, dass es nicht die eine Tablette, die eine Maßnahme geben wird, die mit einem Schlag alle Symptome heilt. Also wir setzen an den Symptomen an.

Long Covid sollte am besten interdisziplinär behandelt werden.  (Foto: IMAGO, imago images/Rolf Poss)
Long Covid sollte am besten interdisziplinär behandelt werden.

Viele Patientinnen und Patienten klagen beispielsweise über Schmerzstörungen, generalisierte Schmerzen am Körper. Da kann man sehr viel tun mit Entspannungsverfahren, aber auch mit Tabletten. Bei Schlafstörungen und über Depressionen können wir über psychologische Hilfe viel machen, temporär auch wieder mit bestimmten Tablettengaben.

Bei der pathologischen Müdigkeit haben wir Übungsprogramme, um diese zu behandeln.Die Müdigkeit kannten wir schon vor Covid-19 von Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose oder Tumorpatienten. Die können wir mithilfe von Aktivierungsprogrammen gut behandeln, wie Tagesabläufe strukturieren oder gezielte und angeleitete, sportliche Betätigung oder auch psychologische Hilfe anbieten.

Jochen Steiner: Jetzt scheint es ja viele Long Covid Patientinnen und Patienten zu geben, die aber nicht so richtig vorankommen und unzufrieden sind mit dem Genesungsverlauf. Was würden Sie denen denn raten? Wohin können Sie sich und sollten Sie sich wenden?

Professor Christoph Kleinschnitz: Also wir haben natürlich einen gewissen Versorgungsengpass. Die Nachfrage derzeit können die Hausärzte nicht allein bewerkstelligen. Auch die Ambulanzen an den diversen Unikliniken laufen gerade so ein bisschen über, oder die Wartezeiten sind lang.

Und daher ist es besonders wichtig, dass man von vornherein die Patientinnen und Patienten in die richtigen Bahnen lenkt. Was wir häufig bei uns in der Ambulanz erleben ist, dass die Patienten mit einem großen Packen Voruntersuchungen kommen. Da wurde alles Mögliche bestimmt, Blutbilder gemacht, Bilder vom Kopf, von allen möglichen Körperregionen.

Anstelle, vielleicht einen Schritt zurückzugehen, den Leuten zuzuhören und zu gucken: Wo liegt denn das eigentliche Problem? Gibt es seelische Konflikte? Gibt es Stresssituationen, die momentan mit in diese Symptome hereinspielen können? Und wenn man die identifiziert, kann man die Patienten dann in die richtigen Versorgungsstrukturen lenken anstatt zum zwanzigsten Arzt. Sondern vielleicht an einen qualifizierten Psychologen, eine Neuropsychologin oder auch mal zum Krankengymnast.

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