Corona-Mutationen

Forschende beobachten Coronavirus beim Mutieren

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AUTOR/IN
Antonia Weise

Forscherinnen und Forscher des University College London konnten an einem immungeschwächten Patienten in Echtzeit beobachten, wie das Coronavirus mutierte.

Trotz der Impfstoffe lösen neue mutierte Viren des Coronavirus immer wieder Unsicherheiten aus. Der Grund dafür ist, dass sie häufig ansteckender sind als das ursprüngliche Virus. Und es besteht die Gefahr einer geringeren Wirksamkeit der Impfstoffe. Vor allem bei immungeschwächten Personen können sich die Mutationen besonders gut entwickeln.

Leichtes Spiel bei immungeschwächten Personen

Sehen konnte das Team um Steven Kemp den Vorgang an einem über 70-jährigen Mann. Er war vor der Corona-Infektion an Lymphdrüsenkrebs erkrankt und hatte gerade seine Chemotherapie abgeschlossen, wie die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift "Nature" berichten. Das Immunsystem des Mannes war nach der Krebstherapie immer noch sehr geschwächt. Er erlitt eine schwere Covid-19-Infektion und musste ins Krankenhaus.

Die produzierten Viren werden durch Antikörper nicht so zuverlässig erkannt und entfernt (...) die Immunkontrolle ist nicht so effektiv, also nicht so wirksam.

Das geschwächte Immunsystem verschafft dem Virus einen Vorteil. Es kann sich über lange Zeit im Körper des Patienten aufhalten und vermehren. Das heißt: Das Virus hat viel Zeit, es entstehen Mutationen und es kann sich ausprobieren.

Arm eines Krebspatient im Krankenhaus (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-alliance / BSIP / RAGUET H.)
Das Immunsystem bei Krebspatienten ist heruntergefahren. Sie haben wenige bis keine Antikörper, was ein Vorteil für Viren ist.

Blutplasmatherapie gegen die Corona-Infektion

Behandelt wurde der Krebspatient zunächst mit dem antiviralen Medikament Remdesivir. Allerdings blieben positive Effekte aus. Die Ärzte entschieden sich deshalb für eine Blutplasmatherapie. Bei dieser Therapie bekommt der Corona-Patient eine Blutspende von bereits genesenen Patienten – und darin befinden sich Antikörper, die diese Patienten gegen das Virus gebildet haben.  

Im Kampf gegen das Coronavirus werden immungeschwächte Personen häufig mit einer Blutplasmatherapie behandelt – denn bisher gibt es keine sehr effektiven antiviralen Substanzen. Die Gabe der Antikörper von bereits genesene Patienten hat bei Personen, die wenig Antikörper bilden, gewisse Wirksamkeitsnachweise.

Mutationen nach Blutplasmatherapie

Immer wieder hat das Forscherteam um Steven Kemp vom University College London die Viren des immungeschwächten Mannes im Labor analysiert. Sowohl vor als auch nach der Gabe von Remdesivir und der Plasmatherapie.

Spritze mit dem Medikament Remdesivir (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / Bildagentur-online / Ohde)
Das Medikament Remdesivir wurde ursprünglich im Kampf gegen Ebola entwickelt. Allerdings hat es keinen nennenswerten Einfluss auf den Verlauf einer Corona-Infektion.

Die Analysen zeigten: Das Medikament Remdesivir hatte keinen Einfluss auf die Struktur des Virus. Aber nach der Gabe von Antikörpern setzten sich bestimmte Mutationen durch – das Virus passte sich also an.  

Wenn sich jetzt Viren bilden, die andere Eigenschaften haben, sodass die Antikörper nicht mehr zu diesen neugebildeten Viren passen, dann können sich diese Viren besser durchsetzen. Wir sprechen von Immunselektion.

Plasmatherapie – Fluchtmutation hemmt Wirkung

Ändert sich das Virus so, dass Antikörper – egal, ob es die eigenen sind oder als Medikament verabreichte – weniger gut wirken, nennt man das eine Fluchtmutation. Das Problem dabei ist: Die Plasmatherapie ist weniger wirksam.  

Es ist keine Seltenheit, dass Fluchtmutationen auftreten. Allerdings besteht weiterhin noch Forschungsbedarf in diesem Gebiet. Gerade wenn es um das Zusammenwirken solcher Mutationen geht – und welche Bereiche des Spike-Proteins besonders anfällig sind, um bei Fluchtmutationen in Erscheinung zu treten.

Zwei Virusvarianten im Wettlauf

Nach der Plasmatherapie setzten sich zwei Mutationen durch. Bei der einen beobachteten Mutation handelte es sich um die Fluchtmutation. Sie senkte die Infektiösität – welches ein evolutionärer Nachteil für das Virus ist. Aber die andere Mutation, welche sich parallel zur Fluchtmutation entwickelte, hat den Nachteil wieder ausgeglichen.

Spritze mit Coronaimpfstoff in Arm  (Foto: IMAGO, imago images / Kirchner-Media)
Impfstoffe und Medikamente gegen Covid-19 zielen auf das Spike-Protein ab. Durch Mutationen besteht die Möglichkeit, dass das Virus sich den Impfstoffen entzieht.

Zum Problem werden könnten aber Fluchtmutationen auch für die Impfstoffe. Denn Voraussetzung für deren Schutzwirkung ist, dass die gebildeten Antikörper das Virus auch erkennen. Gerade bei immungeschwächten Personen kann das zu einem Problem werden, sagt Hartmut Hengel.  

Immungeschwächte Personen können natürlich oft auf Impfungen nicht so gut antworten wie immungesunde. Und von daher muss man vor allem bei Impfungen solcher Patienten überprüfen, ob sie tatsächlich eine Antwort geschaffen haben.

Immer noch sind viele Fragen offen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen deshalb viele weitere immungeschwächte Patienten mit einer Coronainfektion beobachten. Nur so können sie herausfinden, wie häufig zum Beispiel eine Fluchtmutation auftritt und an welchen Stellen das Virus besonders anfällig für solche Mutationen ist.

Was aber klar ist: In Zukunft können immungeschwächte Patienten den Forschenden helfen, besser zu verstehen, wie neue Varianten des Coronavirus entstehen. 

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Antonia Weise