Beton ist der Baustoff schlechthin. Jedes Jahr werden über vier Milliarden Tonnen verbaut, Tendenz steigend. Das hat Folgen für Mensch und Umwelt. Denn die Herstellung von Beton setzt klimaschädliche Treibhausgase frei. Die Aussichten auf eine klimaneutrale Produktionsmethode stehen schlecht: Der Großteil des Kohlendioxids entsteht durch chemische Reaktionen, die für die Entstehung des Betons sorgen. Sie lassen sich daher nicht vermeiden.
Die Suche nach alternativen Baustoffen läuft also auf Hochtouren. Die Forschungsgruppe LivMats aus Freiburg glaubt im Flachs, auch bekannt als Leinen, eine passende Beton-Alternative gefunden zu haben. Im Botanischen Garten in Freiburg steht nun der erste Erfolg des Teams: ein Pavillon aus Flachs.
Roboter optimieren den altbekannter Rohstoff
Der Grundgedanke ist, einen nachwachsenden Rohstoff zu nehmen, der ideal recyclebar ist, so Prof. Thomas Speck. Er ist der Leiter des Botanischen Gartens Freiburg und gehört zur Forschungsgruppe LivMats. Das ist ein Zusammenschluss von Forschern aus Freiburg und Stuttgart. Deren Ziel ist es, eine Alternative zum Baustoff Beton zu finden.
Die Idee, dafür Flachs zu nutzen, kommt nicht von ungefähr – Flachs ist als Werkstoff in der Menschheitsgeschichte ein Dauerbrenner. Mit Robotern verarbeiten die Freiburger Forschenden die Naturpflanze aber ganz neu. Sie wickeln diese Flachsfasern in einer von der Natur vorgegebenen Weise. Dadurch entstehen diese ultraleichten und ästhetisch anspruchsvollen Trägerstrukturen, so Speck.
Einzelne Flachsfasern sind in Relation zum eigenen Gewicht sehr stabil. Durch die robotische Wickelmethode können die Flachsfasern eine ähnliche Stabilität wie Glasfasern erreichen, die als Baustoff bereits zum Einsatz kommen. Die Struktur, nach der der Flachs gewickelt wird ist dabei den Kandelaber-Kakteen, einer Kaktus-Art aus den USA entlehnt. Die gewickelten Fasern werden dann von Harz umschlossen und so verhärtet.
Schutz der Wälder: Flachs wächst schneller nach als Holz
Als nachhaltiger Baustoff hat der Flachs große Vorteile gegenüber dem beliebteren Bio-Baustoff Holz, meint Prof. Jan Knippers. Er leitet das Institut für Tragkonstruktionen und konstruktives Entwerfen in Stuttgart und ist ebenfalls Mitarbeiter der LivMats-Forschungsgruppe.
Nachhaltiges Bauen kann nicht zulasten der globalen Baumbestände gehen. Deshalb ist Flachs der Baustoff ihrer Wahl.
Der Flachs-Baustoff ist noch in der Testphase
Der Pavillon, der im botanischen Garten in Freiburg steht, ist ein Prototyp. Und das zurecht, denn noch gibt es viele Unbekannte in der Nutzung von Flachs als Baustoff. Die Hauptpunkte sind die Langlebigkeit und die Widerstandsfähigkeit gegen Regen, Sonne und Frost. Das kann erschöpfend erst untersucht werden, wenn der Pavillon ein paar Jahre dem Wetter ausgesetzt war.
Dennoch ist es realistisch, dass Flachs schneller zum Einsatz kommen könnte als gedacht. Thomas Speck geht davon aus, dass schon in fünf bis sieben Jahren ein- bis dreistöckige Gebäude mit dem Flachs-Baustoff gebaut werden könnten.
Trotz geringerer Stabilität: Flachs könnte Betonbedarf reduzieren
Ein Manko hat der Flachs-Baustoff allerdings noch: die Stabilität des Flachses reicht nicht an die Stabilität von Stahlbeton heran. Gerade für leichtere Konstruktionen und im Zusammenspiel mit anderen Stoffen ist Flachs allerdings fast uneingeschränkt einsetzbar.
Auch eine Kombination mit anderen Baustoffen wäre denkbar. Ein Gebäude, das aus Holz, Flachs und Beton bestehen würde, hätte nur 33 Prozent Beton-Anteil. Gleichzeitig könnten sich Holz, Flachs und Beton aber gegenseitig stabilisieren.
Auch diese Hybridformen wären ein Schritt in die richtige Richtung. Denn jedes gesparte Kilo Beton ist eine Entlastung für den Planeten. Das wissen die Forscher aus Freiburg und Stuttgart. Deshalb geht ihre Forschung an Flachs als Baustoff der Zukunft unvermindert weiter.