Bionik

Fett vom Eisbärenfell als umweltfreundliche Anti-Eis-Beschichtung?

Stand

Von Autor/in Julissa Götz

Das Fett im Eisbärenfell schützt die Tiere vor Vereisung. Das haben Forschende nun herausgefunden. Die Erkenntnis könnten bei der Entwicklung von PFAS-Alternativen helfen.

Eisbären schwimmen und tauchen bei eisigen Temperaturen. Dass sie unter diesen Bedingungen überhaupt überleben können, liegt auch an den Fett- und Fellschichten, die sie warmhalten. Bei den arktischen Temperaturen, die unter -40° Celsius fallen können, müsste ihr nasses Fell eigentlich vereisen  – so wäre es zumindest bei Menschenhaar.

Warum das Fell der Eisbären nicht vereist, hat nun ein internationales Forschungsteam herausgefunden: Es liegt am Haarfett im Eisbärenfell. Die Talgdrüsen in der Nähe der Haarwurzeln produzieren den Talg, der das Fell davor schützt, zu vereisen. Dafür sind bestimmte Bestandteile im Talg der Eisbären verantwortlich, die die Forschenden nun identifizieren konnten.

Eisbärentalg als PFAS-Alternative?

Doch nicht nur der Eisbär hat eine Verwendung für seinen natürlichen Schutz vor Vereisung. In der Industrie und in vielen Verbraucherprodukten kommen häufig Per- und Polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) zum Einsatz, die vor Wasser, Fett, Schmutz und auch Vereisung schützen können. Deshalb eignen sie sich zum Beispiel für die Beschichtung von Regenjacken oder Pfannen. In der Vergangenheit wurden PFAS wegen ihrer Anti-Eis-Eigenschaften häufig auch in Ski-Wachsen eingesetzt.

Skifelle werden chemisch beschichtet, damit kein Eis an ihnen haftet. Die Stoffe im Eisbärentalg wären dafür eine umweltfreundliche Alternative.
Skifelle werden chemisch beschichtet, damit kein Eis an ihnen haftet. Die Stoffe im Eisbärentalg wären dafür eine umweltfreundliche Alternative.

PFAS gelten jedoch als umwelt- und gesundheitsschädlich. Sie sind nicht biologisch abbaubar und können sich im menschlichen Körper anreichern. Forschungsteams suchen deshalb weltweit nach Alternativen. Die neuen Erkenntnisse zu den Bestandteilen des Eisbärentalgs könnten hierbei helfen, umweltfreundliche Alternativen für PFAS zu finden, die bei der Beschichtung von Anti-Eis-Oberflächen eingesetzt werden.

Eisbärenfell hat eine natürliche Anti-Eis-Beschichtung

Um die besonderen Eigenschaften des Eisbärenfells zu untersuchen, verglichen die Froschenden ungewaschene und gewaschene Fellproben.  Dafür wurden die Proben an einen Eisblock festgefroren.

Dann wurde gemessen, wie viel Kraft nötig war, um die Proben wieder vom Eis zu trennen. Das Ergebnis: Das ungewaschene Eisbärenfell war viel leichter vom Eis abzulösen. Die Forschenden vermuten also, dass Eisbären das Eis an ihrem Fell aufgrund des Talgs einfach abschütteln können und das Fell deshalb nicht vereist. Das funktioniert sogar vergleichbar gut wie bei chemisch behandelten Skifellen.

Dank ihres körpereigenen Fetts vereist das Fell eines nassen Eisbären auch bei den akrtischen Temperaturen nicht. Stattdessen kann das Tier das Eis einfach abschütteln.
Dank ihres körpereigenen Fetts vereist das Fell eines nassen Eisbären auch bei den akrtischen Temperaturen nicht. Stattdessen kann das Tier das Eis einfach abschütteln.

Die Forschenden verglichen die Eigenschaften des Eisbärenfells auch mit dem menschlichen Haar. Dafür rasierte sich der Haupt-Autor der Studie sogar den Kopf, nachdem er seine Haare sechs Tage lang nicht gewaschen hatte. Denn in den fettigen, ungewaschenen Haaren hat sich Talg angesammelt.

Doch sowohl bei fettigem als auch bei gewaschenem Menschenhaar haftet das Eis gut. Das deutet darauf hin, dass Eisbärentalg besser vor Vereisung schützt als der menschliche Talg. Die Zusammensetzung des Talgs der Eisbären ist also der Schlüssel zu den vor Vereisung schützenden Eigenschaften ihres Fells. 

Die besondere Zusammensetzung des Eisbärentalgs

Bei der Untersuchung der Zusammensetzung des Eisbärentalgs fanden die Forschenden verschiedene Stoffe, darunter Cholesterol und Eicosansäure. Bei weiteren Untersuchungen stellte sich heraus: Sie haben eine vergleichbar geringe Eishaftung wie PFAS. Diese Erkenntnisse könnten bei der Entwicklung von natürlich abbaubaren, PFAS-freien Oberflächenbeschichtungen helfen, die vor Vereisung schützen sollen.

Interessant ist auch, was die Forschenden nicht im Eisbärentalg finden konnten: Squalen. Squalen ist ein Kohlenwasserstoff, der typischerweise im Talg von Menschen und auch Wassersäugetieren wie zum Beispiel Seeottern vorkommt. Durch die an Wasser und Eis gebundene Lebensweise der Eisbären, hatten die Forschenden in ihrem Talg ebenfalls Squalen erwartet – fanden es jedoch nicht vor.

In weiteren Untersuchungen konnte das Forschungsteam dann nachweisen, dass isoliertes Squalen stark an Eis haftet. Daher halten sie auch das Fehlen von Squalen für einen weiteren wichtigen Grund dafür, dass das Eisbärenfell nicht vereist.

Forschende sehen großes Potenzial

Die Forschenden sehen in ihren Ergebnissen vielversprechende Einsatzmöglichkeiten: „Wir gehen davon aus, dass diese vom Bären produzierten natürlichen Lipidbeschichtungen uns dabei helfen werden, neue, nachhaltigere Anti-Eis-Beschichtungen zu entwickeln, die problematische 'Ewigkeitschemikalien' wie PFAS, die als Anti-Eis-Beschichtungen verwendet wurden, ersetzen könnten.“, sagt Dr. Richard Hobbs vom Trinity College Dublin, Co-Autor der Studie.

Damit baut das Forschungsteam auf indigenem Wissen auf. Die Inughuit aus Grönland benutzen die Eisbärenfelle schon lange für Bekleidung und früher auch für Jagdausrüstung, da sie nicht an den eisigen Boden haften und man sich darin sehr leise fortbewegen kann. Auch wussten sie schon, dass man das Eisbärenfell für diese Zwecke nicht waschen sollte.

Inughuit mit Hosen aus Eisbärfell.
Bereits die Inughuit kannten die Vorteile von Eisbärfell und haben sich daraus Kleidung gemacht.

Die Zukunft der PFAS

Obwohl die Risiken häufig diskutiert werden, gibt es keine Kennzeichnungspflicht für PFAS-haltige Produkte. Einzelne PFAS sind bereits weltweit verboten. Ein EU-weites Beschränkungsverfahren für alle PFAS wird aktuell geprüft. Verschiedene Industrien und Lobbygruppen setzen sich derweil gegen ein generelles Verbot der Stoffgruppe ein.

Giftiger Schaum an der Nord- und Ostsee sorgt aktuell für Aufsehen. Unter anderem besteht er aus PFAS.
Giftiger Schaum an der Nord- und Ostsee sorgt aktuell für Aufsehen. Unter anderem besteht er aus PFAS. Ein Verbot für die Stoffe gibt es dennoch noch nicht.

Dass nun jedoch zumindest eine mögliche PFAS-Alternative gefunden wurde, könnte auch dem Eisbären selbst zugutekommen. Denn auch er bleibt nicht von PFAS verschont: In der Arktis konnten die Chemikalien in Gewässern und Sediment bereits nachgewiesen werden. PFAS reichern sich außerdem entlang der Nahrungskette an – also auch im Eisbären. So würde auch der Eisbär davon profitieren, wenn in Zukunft weniger PFAS eingesetzt werden.

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