Menschenaffen

Neue Studie: Bonobos können sich in andere hineinversetzen

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Autor/in
Nina Kunze
Nina Kunze ist Reporterin und Redakteurin bei SWR Wissen aktuell
Onlinefassung
Leila Boucheligua

Ein Forschungsteam aus den USA konnte zeigen: Bonobos scheinen zu erkennen, wenn ihr Gegenüber etwas nicht weiß, und passen ihr Verhalten entsprechend an - sie können sich in ihr Gegenüber hineinversetzen. Was bedeutet der Nachweis dieser Fähigkeit bei den Affen für das Verhältnis des Menschen zum Tierreich?

Wenn wir verstehen wollen, warum jemand die Welt anders sieht als wir, dann hilft es, uns in die Person hineinzuversetzen. In der Psychologie wird diese Fähigkeit als "Theory of Mind" bezeichnet. Sie gilt als wichtiger Grundstein unseres menschlichen Zusammenlebens.

Es gibt allerdings Hinweise, dass es diese Fähigkeit auch im Tierreich gibt, vor allem bei unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen. Das zu beweisen ist allerdings schwierig, denn Affen kommunizieren ganz anders als wir Menschen. Ein Forschungsteam aus den USA hat mit Bonobos jetzt einen neuen Versuch gestartet.

Bonobos gehören zu den nächsten Verwandten des Menschen

Der Versuchsaufbau ist simpel: "Hmm, where’s the grape?" – Wo ist die Weintraube? Das fragt der Studienautor Luke Townrow in einem Video, das das Forschungsteam veröffentlicht hat. Darin sitzt der Doktorand gegenüber von Nyota, einem 25 Jahre alten Bonobo-Männchen.

Bonobos zählen zu den nächsten lebenden Verwandten von uns Menschen. Zwischen den beiden stehen drei umgedrehte Becher auf einem Tisch. Unter einem davon befindet sich: die Weintraube. Die bekommt Nyota aber nur, wenn sein menschlicher Spielpartner den richtigen Becher aufdeckt.

Bonobos kooperieren auch außerhalb ihrer Gruppe

Neben dem Menschen ist auch die Schimpansen-Art der Bonobos fähig, mit Individuen oder Gruppen außerhalb ihrer Horde strategische Partnerschaften einzugehen. Das zeigt nun eine im Fachmagazin Science erschienene Studie, die damit in einem Punkt die besondere Stellung des Menschen gegenüber dem Tierreich infrage stellt.

Forschende haben mit den Bonobos die "Theory of Mind" getestet

Nyota macht mit seiner Hand mehrfach eine Geste in Richtung des rechten Bechers. Denn sein Spielpartner konnte nicht sehen, dass die Weintraube darunter versteckt wurde, und das scheint Nyota zu wissen. Genau, wie es Townrow und sein Team erwartet haben: 

"Wenn Bonobos verstehen können, ob ich etwas weiß oder nicht, dann erwarten wir, dass sie ihre Kommunikation entsprechend anpassen. Und genau das war das Ergebnis, nämlich, dass sie häufiger und schneller auf das versteckte Essen zeigten, wenn ich nicht wusste, wo es sich befindet.“ 

In einem Kontrollexperiment, in dem Townrow das Versteck der Weintraube sehen konnte, kooperierten die Affen dagegen weniger mit ihm. Auf diese Weise wollte das Team etwas testen, was sich „Theory of Mind“ nennt – die Fähigkeit, sich in die Gedanken anderer hineinzuversetzen.

Sie gilt als ein Grundstein für unser komplexes menschliches Zusammenleben. Ob sie zu den Fähigkeiten gehört, die uns Menschen einzigartig machen, oder ob es sie auch im Tierreich gibt, ist aber ein Rätsel für die Forschung.

Zwei Bonobos sitzen in derselben Pose nebeneinander, tags: Bonobos Studie hineinversetzen
Die Forschenden aus den USA haben die "Theory of Mind" bei Affen getestet. Sie konnten zeigen, dass sich Bonobos wohl in ihr Gegenüber hineindenken können.

Was macht uns Menschen nun einzigartig?

Nyota und seine beiden Artgenossen Kanzi und Teco konnten sich im Versuch gleich zwei Dinge merken: Einmal, wo die Weintraube versteckt ist, und ob ihr Spielpartner das Versteck sehen konnte oder nicht. Ein Hinweis darauf, dass zumindest das nicht einzigartig menschlich ist, sagt Luke Townrow:

"Vielleicht ist die Fähigkeit zwei unterschiedliche Zustände gleichzeitig zu berücksichtigen nicht das, was uns Menschen einzigartig macht, sondern etwas anderes, was noch fortgeschrittener ist und es uns ermöglicht zu kooperieren, anderen etwas beizubringen und komplex zu kommunizieren – Dinge, die nur wir Menschen können."

Das könnte zum Beispiel eine andere Form der „Theory of Mind“ sein. Diese wird nämlich in zwei verschiedene Stufen eingeteilt, erklärt Daniel Haun, Professor für vergleichende Kulturpsychologie an der Uni Leipzig: 

"Das eine ist ein Verständnis davon, was andere wissen oder nicht wissen. Das ist etwas einfacher. Etwas schwieriger wird es dann, wenn man verstehen soll, was andere glauben oder nicht glauben, also wenn sie möglicherweise fälschliche Annahmen über die Welt haben. Und dazu gehört auch, was andere vielleicht wollen oder nicht wollen."

Komplexe Fähigkeiten zu erforschen braucht komplexe Versuche

An dieser schwierigeren Stufe forscht Daniel Haun mit seinem Team am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Sie konnten in einem Versuch bereits zeigen: Kinder können die Vorliebe einer anderen Person für ein bestimmtes Nahrungsmittel erkennen und entsprechend handeln – Affen nicht.

Doch eine komplexere Fähigkeit zu erforschen, erfordert auch eine komplexere Versuchsanordnung – und jede davon kommt mit ihren eigenen Stärken und Schwächen. Deshalb lobt Haun die einfache Methodik der neuen Studie: 

"Es ist sehr zugänglich, sehr einfach für die Tiere. Es ist immer eine Herausforderung, die Frage, die einen interessiert, so zu stellen, dass sie für andere Lebewesen, in dem Fall Bonobos, intuitiv verständlich oder zugänglich ist."

Mensch hält die Hand eines Bonobos, tags: Bonobos Studie hineinversetzen
Die Versuche mit den Bonobos zeigen, dass die Fähigkeit, die eigene Kommunikation an den Wissensstand des Gegenübers anzupassen, keine Eigenschaft ist, die nur dem Mensch zu eigen ist.

Nur drei Bonobos waren Teil der Studie

Ein Nachteil der Studie ist dagegen, dass nur drei Affen untersucht werden konnten. Denn die Voraussetzung war, dass sie mit der Geste, auf etwas zu zeigen, vertraut sind. Bonobos in freier Wildbahn sind das nicht, hier bräuchte es wieder andere Untersuchungsmethoden – und es wird auch immer unterschiedliche Ergebnisse geben.

Das stört Luke Townrow aber nicht: "Das Hin und Her wird es immer geben – für mich ist es das, was Wissenschaft so spannend macht und warum es die Mühe wert ist."

Um sich ein möglichst vollständiges Bild davon zu verschaffen, was uns Menschen einzigartig macht, braucht es also viele verschiedene Studien. Was genau im Kopf der Bonobos vor sich geht, wird jedoch ihr Geheimnis bleiben.

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