Die Ariane 5 Trägerrakete explodierte 1996 bei ihrem Jungfernflug. Grund war ein Fehler im Computersystem. (Foto: Pressestelle, ESA)

Vermeidbare Technikpannen

Darum explodierte die Ariane 5-Rakete bei ihrem Jungfernflug

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David Beck
Bild von David Beck, Reporter und Redakteur SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Impuls. (Foto: SWR, Ilyas Buss)
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Ralf Kölbel

Der Jungfernflug der Ariane 5-Rakete endete nach knapp 40 Sekunden in einer spektakulären Explosion über dem Regenwald Französisch-Guayanas. Der Grund: Ein vermeidbarer Fehler im Computersystem der Rakete.

Die Ariane 5 ist mit über 100 erfolgreichen Starts das Arbeitspferd der europäischen Raumfahrt. Selbst die Nasa vertraute der Ariane ihre bisher wertvollste Fracht an: Das James-Webb-Teleskop. Als „tadellos“ und „perfekt“ wurde der Start angepriesen. So perfekt, dass das Teleskop wesentlich weniger des eigenen Treibstoffs benötigte, um an seine finale Position zu gelangen, als ursprünglich geplant und die geplante Laufzeit der Mission deutlich verlängern konnte, von 10 auf voraussichtlich 20 Jahre. Doch nicht alle Starts der Ariane 5 verliefen so problemlos. Bereits der Jungfernflug scheiterte:

Ariane 5 ist eine von Grund auf neu entwickelte Trägerrakete

Am 4. Juni 1996 um 12:34 Uhr und 6 Sekunden hebt die erste Ariane 5 vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana zu ihrem Jungfernflug ab. Zunächst verläuft alles nach Plan. Die Ariane 5 ist keine bloße Weiterentwicklung ihrer Vorgängerinnen, sondern eine praktisch von Grund auf neu entwickelte Trägerrakete. Nur wenige Teile wurden von früheren Ariane-Ausführungen übernommen. Das Navigationssystem etwa entsprach anfangs zu großen Teilen dem, das auch in der Ariane 4 eingesetzt wurde. Doch das Navigationssystem war auch für die Ariane 4 ausgelegt, nicht für die viel stärkere und schnellere Ariane 5 – und das wurde den Raketenbauern zum Verhängnis. Knapp 40 Sekunden nach dem Start explodiert die Rakete über dem Regenwald Französisch-Guayanas. Was war passiert?

Mehrere hundert Mitarbeiter der Daimler-Benz Aerospace AG erleben am 4.6.1996 auf einer Videoleinwand im Bremer Werk die Explosion beim Erstflug der Ariane 5 in Kourou (Französisch Guyana).  (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-alliance/dpa/ Kay Nietfeld)
Mehrere hundert Mitarbeiter der Daimler-Benz Aerospace AG erleben am 4.6.1996 auf einer Videoleinwand im Bremer Werk die Explosion beim Erstflug der Ariane 5 in Kourou (Französisch Guyana).

Ariane 5 explodiert bei Jungfernflug

Bereits vor dem Start überprüfte das Navigationssystem ständig die horizontale Neigung der Rakete. So wurde sichergestellt, dass sich die Rakete in einer für den Start sicheren Lage befand. Aufgrund einer speziellen Anforderung der Ariane 4 lief die Lagebestimmung bis 40 Sekunden nach dem Start weiter. In dieser Zeit wurde der Messwert zwar nicht mehr gebraucht, aber er wurde weiter erfasst und in einer Variable gespeichert.

Eine solche Variable kann verschiedene Größen haben, so kann wertvoller Speicher gespart werden. Das bedeutet aber auch, dass nicht beliebig hohe Werte gespeichert werden können. Eine 16-bit-Variable ohne Vorzeichen etwa kann Werte zwischen 0 und 65.535 aufnehmen. Versucht man einen größeren Wert zu speichern, kommt es zu einem sogenannten arithmetischen Überlauf und die Variable fängt wieder von vorne an zu zählen. Ungefähr so, wie wenn der Tacho 999.999 Kilometer anzeigt und dann wieder auf 0 springt, weil es keine Stelle für die Million gibt.

Mitarbeiter an Computern im Kontrollraum der Ariane 5-Trägerrakete im Weltraumbahnhof KourouFranzösisch Guayana. (Foto: IMAGO, Copyright Imago Sepp Spiegl)
Mitarbeiter an Computern im Kontrollraum der Ariane 5-Trägerrakete im Weltraumbahnhof Kourou/Französisch Guayana.

Überfordertes Computerprogramm löst Selbstzerstörungsmechanismus aus

Die erste Ariane 5 beschleunigte viel schneller als die Ariane 4 und neigte sich dementsprechend auch weiter. 36,7 Sekunden nach dem Start – nur 3,3 Sekunden bevor sich das Programm abgeschaltet hätte – wurde der Wert für die "arme" Variable, die den Messwert der Lage aufnehmen musste, dann zu groß. Es kam zum Überlauf. Das Programm war für diesen Fall nicht ausgelegt und kurz nacheinander stürzten beide Navigationscomputer ab und sendeten, statt Navigationsdaten, nur diagnostische Daten zum Absturz an den Flugcomputer.

Dieser konnte damit aber nichts anfangen und glaubte, die Rakete sei massiv vom Kurs abgekommen. Durch volle Neigung des Triebwerks versuchte der Computer den Kurs zu korrigieren. Dieses viel zu extreme Manöver riss die zwei Feststoffbooster von der Seite der Rakete ab, wodurch schließlich der Selbstzerstörungsmechanismus ausgelöst wurde.

Entwickelt wurden die ersten Versionen der europäischen Trägerrakete Arinae 5 ab 1987. (Illustration) (Foto: IMAGO,  imago/Leemage)
Entwickelt wurden die ersten Versionen der europäischen Trägerrakete Ariane 5 ab 1987.

Nur materieller Schaden

Besonders bitter: Dass die Lagebestimmung nach dem Start weiterlief, erfüllte bei der Ariane 5 keinen Zweck. Wäre das Programm grundlegend geprüft worden, bevor es übernommen wurde, hätte dieser Teil des Programms mit Ablauf des Countdowns abgeschaltet werden können. Da die Ariane 5 nicht für bemannte Flüge eingesetzt wird, kam glücklicherweise niemand zu Schaden, auch nicht am Boden durch herabfallende Trümmerteile. Zum Schutz vor giftigen Gasen, die durch das Verbrennen des Treibstoffs entstehen konnten, wurde jedoch die umliegende Bevölkerung evakuiert.

Finanziellen Schaden hatte dieser kleine, unnötige Fehler aber natürlich schon: 290 Millionen Euro alleine durch den Verlust der Rakete und der Fracht und das gesamte Ariane 5-Programm verzögerte sich um ein Jahr. Den guten Ruf, den die Ariane 5 heute genießt, musste sie sich über das nächste Vierteljahrhundert viel mühsamer als eigentlich nötig erarbeiten.

Ende des Jahres soll dann die nächste Generation der Ariane-Raketen, die Ariane 6, zum ersten Mal starten. Wollen wir hoffen, dass die Ingenieure aus ihren Fehlern gelernt haben.

Am 25. Dezember 2021 startete eine Ariane 5-Rakete mit dem NASA-Weltraumteleskop James Webb erfolgreich ins All.  (Foto: IMAGO, IMAGO/ZUMA Wire/NASA)
Am 25. Dezember 2021 startete eine Ariane 5-Rakete mit dem NASA-Weltraumteleskop James Webb erfolgreich ins All.

Korrektur: In einer älteren Version hieß es "Eine 16-bit-Variable ohne Vorzeichen etwa kann Werte zwischen 0 und 255 aufnehmen". Es sind jedoch Werte zwischen 0 und 65.535.

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