Archäologie

Die Perlenfrau vom Ammerbuch

Stand
AUTOR/IN
Thomas Hillebrandt
ONLINEFASSUNG
Anja Braun

In Baden-Württemberg haben Archäologen ein 7000 Jahre altes Frauengrab freigelegt. Darin lag eine der ersten Bäuerinnen Süddeutschlands mit Perlenschmuck, wie man ihn bislang nur aus den Karpaten kannte.

Der Fund ihres über 7.000 Jahre alten Grabes ist für die Archäologie ein absoluter Glücksfall. Denn die Frau lebte in der Jungsteinzeit. In der Zeit als die Menschen von der nomadischen zur sesshaften Lebensweise wechselten. Damals änderte sich das Leben der Menschheit gravierend, weshalb diese Zeit auch als "neolithische Revolution" bezeichnet wird. In der Jungsteinzeit wurden aus Jägern und Sammlern sesshafte Bauern. Die „Perlenfrau von Ammerbuch" ist eine der ersten Bäuerinnen nördlich der Alpen.

Die erste Bäuerin

Die Archäologen bargen das Skelett der Perlenfrau bei Ammerbuch, in der Nähe von Tübingen. Die Datierung der Knochen zeigt: Die Frau starb im 53. Jahrhundert vor Christus. Durch eine detaillierte Untersuchung der Knochen und Zähne konnten die Forscher Rückschlüsse auf das Leben und den Alltag der 30 bis 40 Jahre alten Frau ziehen:

Im Labor werden die sterblichen Überreste der Perlenfrau von Ammerbuch genau untersucht (Foto: SWR)
Im Labor werden die sterblichen Überreste der Perlenfrau von Ammerbuch genau untersucht

Sie hat keine offensichtlichen Krankheiten, was wir aber sehen ist, dass sie tatsächlich abgenutzte Zähne hat. Sie hat offenbar Getreide gegessen, das mit Steinmühlen gemahlen wurde, denn da ist Steingruß drin. Außerdem haben wir Zahnstein gefunden und Karies. Das ist eine ganz neue Kulturkrankheit. Man isst Getreide und daraus bildet sich Zucker und der greift unseren Zahnschmelz an. So sehen wir bei der Perlenfrau erstmals diese ganzen zivilisatorischen Krankheiten, die uns bis heute begleiten.

Auf die Spur dieser Frühsiedlung in Süddeutschland kamen die Forscher, als sie die Gegend mit Geomagnetik untersuchten. Die Messungen zeigten Strukturen im Untergrund: Ein Grabensystem, das die steinzeitliche Siedlung sicherte. Im Heimatdorf der Perlenfrau hat es gebrannt. Die Archäologen fanden Schutt abgebrannter Häuser und verkohlte Getreidekörner.

In Ammerbuch bei Tübingen ist eine der ersten Siedlungen aus der Jungsteinzeit in Süddeutschland entdeckt worden (Foto: SWR)
In Ammerbuch bei Tübingen ist eine der ersten Siedlungen aus der Jungsteinzeit in Süddeutschland entdeckt worden.

Wir graben ein Dorf der ersten Bauern bei uns im Land aus, das ist etwas Besonderes. Diese Siedlung stammt aus der zweiten Hälfte des 6. Jahrtausends vor Christus. Das ist eine Zeit, in der ein fundamentaler Wandel in der Lebens- und Wirtschaftsweise der Menschheit stattfindet. Der Mensch wechselt von der jägerischen zur produzierenden Wirtschaftsweise, das heißt Tierhaltung, Ackerbau, Hausbau, sesshafte Siedlungen, die nun das Leben der Menschen bestimmen.

Perlenschmuck aus der Jungsteinzeit

Die Perlenfrau von Ammerbuch war eine dieser ersten Bäuerinnen und starb im Alter von 30 bis 40 Jahren. Sie wurde in typischer Seitenlage mit angezogenen Beinen bestattet. Was den Fund aber so einzigartig macht, ist ihr Perlenschmuck: In ihrem Grab lagen 16 fein gearbeitete Perlen aus Kalkstein. Die Tote trug sie wohl, aufgereiht an einer Lederschnur, als Kette um den Hals. Für die Archäologen ein absoluter Glücksfall, denn Ketten dieser Art kennen sie bislang nur aus dem Balkanraum oder dem Karpatenbecken im heutigen Ungarn.

Die Perlen werden an der Universität Tübingen genau untersucht. Ihre Herkunft wird im Karpatenbecken vermutete. Daher stammen wohl die Vorfahren der Perlenfrau.  (Foto: SWR)
Die Perlen werden an der Universität Tübingen genau untersucht. Ihre Herkunft wird im Karpatenbecken vermutete. Daher stammen wohl die Vorfahren der Perlenfrau.

Die Form dieser Perlen, die ist tatsächlich einzigartig in unserem Raum, in ganz Mitteleuropa. Wir dachten zunächst einmal, es handelt sich um einen jüngeren Fund, aber die Datierung über naturwissenschaftliche Methoden hat gezeigt, dass es sich um ein Grab aus der gleichen Zeit wie diese Siedlung handelt. Damit haben wir einen bislang einzigartigen Fundkomplex vor uns.

Genetische Analysen deuten darauf hin, dass die ersten Bauern aus dem Südosten nach Mitteleuropa kamen, zusammen mit ihren Haustieren und Kulturpflanzen. Die „Perlenfrau von Ammerbuch“ ermöglicht den Archäologen nun neue Einblicke in diese große Wanderung. Die Einwanderer brachten dabei nicht nur eine völlig neue Lebensform mit sich, sondern hatten wohl auch noch kulturelle Beziehungen mit ihrer alten Heimat.

Die Perlenfrau von Ammerbuch stammt aus einer Einwandergeneration. Sie selbst oder ihre Vorfahren kamen aus dem westlichen Karpatenbecken nach Mitteleuropa.  (Foto: SWR)
Die Perlenfrau von Ammerbuch stammt aus einer Einwandergeneration. Sie selbst oder ihre Vorfahren kamen aus dem westlichen Karpatenbecken nach Mitteleuropa.

Wir haben mit der Perlenfrau ein Individuum aus dieser Einwandergeneration gefunden. Das muss nicht heißen, dass diese Frau direkt aus dem Karpatenbecken hergekommen ist, aber ihre unmittelbaren Vorfahren kamen aus dem westlichen Karpatenbecken hierher nach Mitteleuropa. Diese Perlenkette im Grab zeigt uns erstmals diese Verbindung auf.

Kunstvoll gearbeiteter Schmuck

Die bislang einzigarten Kalkstein-Perlen wurden sorgfältig bearbeitet, wirken wie Marmor und zeigen die hohe Kunstfertigkeit der Menschen in der Jungsteinzeit.

Für die Frau, die vor 7300 Jahren in einer kleinen Siedlung im heutigen Süddeutschland starb, waren sie zu Lebzeiten wohl ihr größter Schatz. Das sie mit ihren Perlen begraben wurde, erzählt auch viel über diese Dorfgemeinschaft, über Zusammenhalt und Mitgefühl. Die mit ihrer Perlen-Kette begrabene Frau von Ammerbuch war Teil einer solchen Gemeinschaft, eine der ersten Bäuerinnen Mitteleuropas, in einer der spannendsten Epochen der Menschheitsgeschichte. Die Menschen der Jungsteinzeit gründen die ersten Dörfer, bilden eng verbundene, soziale Einheiten und beginnen als erste, sich die Welt nach ihrem Bild zu formen.

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Thomas Hillebrandt
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Anja Braun