Die Zitteranfälle von Bundeskanzlerin Angela Merkel in den vergangenen Wochen haben in der Öffentlichkeit für viele Diskussionen gesorgt. Wie krank ist die Kanzlerin? Was steckt hinter ihren Zitteranfällen? Diese Antwort kann nur ein Arzt oder Angela Merkel selbst geben. Doch die Methode, wie eine solche Störung des Bewegungsapparates erfasst und diagnostiziert wird, könnte sich in Zukunft entscheidend verändern.
Für diese Veränderung will ein Forscherteam sorgen, dessen Projekt den Titel „Deep Movement Diagnostics“ trägt. „Wir versuchen besser zu verstehen, wie bestimmte Bewegungsmuster mit neurologischen, also im Nervensystem verankerten Erkrankungen, zusammenhängen“, sagt Prof. Dr. Alexander Gail vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen, der das Forschungsprojekt leitet. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Anfang 2020 soll es losgehen mit dem Projekt, das über einen Zeitraum von drei Jahren mit 1,2 Millionen Euro Fördergeldern finanziert wird.
Künstliche Intelligenz als entscheidender Faktor
Das Ziel des Forscherteams ist klar definiert: Es soll eine rein videobasierte Bewegungsanalyse konzipiert werden. Dafür sollen Erkenntnisse aus maschinellem Lernen und aus der Robotik genutzt werden. Sie ermöglichen eine objektive und benutzerfreundliche Erfassung von Bewegungsmustern. Bisher konnten Bewegungsmuster nur erfasst werden, wenn die Patienten Markierungen auf dem Körper trugen.
Bei bestimmten Krankheitsbildern liegen die Vorteile auf der Hand, so Gail: „Bei Patienten mit einer Schüttellähmung ist es für uns unheimlich mühsam, die Marker anzubringen. Diese beeinträchtigen dann auch die Bewegungen des Patienten.“ Dadurch würde die Analyse der Bewegungsstörung im Zweifel ungenau ausfallen.
Mit einer rein videobasierten Analyse könne der Computer aufgrund der Bilddaten – ganz ohne reflektive Marker oder Leuchtioden am Körper – „mindestens genau so gute, wenn nicht sogar bessere Analysen liefern“, sagt Alexander Gail.
Bewegungsstörungen wie Zittern oder Lähmungen betreffen viele Patienten, die an Schlaganfällen oder neurodegenerativen Erkrankungen wie Multipler Sklerose oder Parkinson leiden. Aber auch Sportler könnten bei der Analyse ihrer Bewegungsmuster von der künstlichen Intelligenz profitieren.
Untersuchung beim Hausarzt, Diagnose vom Spezialisten
Mit dem Forschungsprojekt ist zudem die Hoffnung verbunden, dass Patienten mit komplizierten Bewegungsstörungen nicht mehr so weite Wege auf sich nehmen müssen. „Vielleicht muss bei den bildbasierten Analysen der Experte gar nicht mehr physisch im selben Raum sein. Der Patient müsste nicht mehr zur nächsten Spezialklinik im nächsten Uniklinikum fahren“, sagt Gail. Das hätte vor allem für Patienten aus ländlichen Regionen Vorteile, die die Aufnahmen bei ihrem Hausarzt machen lassen könnten. Diese werden dann, so die Vorstellung, per Computer an die Experten weitergeleitet.
Künstliche Intelligenz kann helfen, neue Standards bei der Diagnose von Bewegungsmustern zu setzen. Doch ein paar Grenzen werden bleiben, sagt Alexander Gail: „Eine Situation, in der die Kanzlerin in der Öffentlichkeit steht und kurz zittert, wäre sicherlich nicht kontrolliert genug, um so einem Computeralgorithmus schon sofort eine Diagnose zu erlauben.“