"Das habe ich noch nie erlebt", sagte ein Landwirt aus Wittenbach und versteht die Welt nicht mehr. "Bei unseren Nachbarn stehen Apfelbäume, die tragen reife Früchte und gleichzeitig Blüten", erzählt er weiter – und das mitten im November. Das sei sehr interessant, aber das Naturschauspiel wirft bei ihm und seine Kolleginnen und Kollegen Fragen auf: Werden wir im Frühling ein Problem haben? Wird es weniger Blüten und damit weniger Ertrag geben, wenn jetzt so spät die Apfelbäume blühen?
Darüber hat Ralf Caspary von SWR2 Impuls mit Alice Thiel-Sonnen von der SWR-Umweltredaktion gesprochen.
Zweite Blüte kann verschiedene Ursachen haben
Ralf Caspary: Wie kann es sein, dass im Herbst Apfelbäume blühen?
Alice Thiel-Sonnen: Das kann ganz verschiedene Ursachen haben. Das kann zum Beispiel mit dem Wetter zu tun haben, einem trockenen Sommer und einem feucht-warmen Herbst. Das bringt die Blütenknospen aus dem Rhythmus. Oder es hat mit einem schwankenden Wasserhaushalt zu tun. Wenn wir lange Trockenheit haben und dann wieder viel Wasser verfügbar ist, dann bringt das die Blüten auch durcheinander.
Ebenso kann Stress ursächlich sein. Wir hatten beispielsweise in Worms Hagelunwetter, das die Blätter an den Bäumen regelrecht zerfetzt hat. Dadurch geraten die Bäume in eine Art Überlebensstress und beginnen zu blühen.
Ein weiterer Faktor ist die Sorte. Die Apfelsorte Pinova beispielsweise neigt dazu, eine Nachblüte zu bilden.

Ralf Caspary: Hat dieses Phänomen mit dem Klimawandel zu tun?
Alice Thiel-Sonnen: Noch nicht direkt, aber indirekt. Es treten mehr Wetterextreme wie trockene Sommer und Hagelunwetter auf, also die möglichen Auslöser für eine zweite Blüte, die ich schon aufgezählt habe. Das ist wissenschaftlich aber noch nicht eingehend untersucht worden, weil die Forscher eher den Blick auf das Frühjahr richten.
Da gibt es größere Probleme, weil die Blüte da immer früher beginnt. Und wenn es dann zu Spätfrösten kommt, dann hat das viel gravierendere Folgen als eine zweite Blüte im Herbst. Deswegen ist die Forschung eher darauf fokussiert.
Keine negativen Folgen für die Ernte im nächsten Jahr erwartet
Ralf Caspary: Schadet denn diese zweite Blüte den Bäumen?
Alice Thiel-Sonnen: Blühen ist immer eine Kraftanstrengung. Aber die Obstexperten, mit denen ich gesprochen habe, die haben das eher abgetan. So eine zweite Blüte kann vorkommen, ist nicht so schlimm und es tauchen ja gerade auch nur vereinzelt Blüten auf. Solange es im Winterverlauf noch eine Ruhephase gibt, die die Bäume brauchen, also eine Kältephase, dann ist das für die Bäume in Ordnung.
Und diese Kältephase wird es geben, das hat mir ein Apfelbaum-Experte vom Julius-Kühn-Institut gesagt. Die nötige Anzahl an Kältestunden, die die Bäume brauchen, reicht in unseren Breiten noch immer aus.
Ralf Caspary: Hat diese zweite Blüte Auswirkungen auf die Ernte?
Alice Thiel-Sonnen: Ja, denn die Blüten, die jetzt geblüht haben, werden keinen Apfel ergeben, weder in diesem Jahr noch im nächsten Jahr. Die Blüten für das nächste Jahr sind an den Bäumen in diesem Sommer schon angelegt worden, also bereits vorprogrammiert. Wenn sie jetzt im Herbst schon geblüht haben, dann ist Schluss.
Aber das ist nicht allzu schlimm. Professor Peter Braun von der Hochschule Geisenheim hat eine Zahl genannt von all den Blüten, die an einem Apfelbaum im Frühjahr aufgehen. Es werden gerade mal fünf bis acht Prozent der Blüten befruchtet und so letztlich zu einem Apfel. Da hat die Natur also schon selbst ein dickes "Reservepolster" angelegt.
Nicht nur Apfelbäume blühen vereinzelt im Herbst
Ralf Caspary: Gibt es das Phänomen dieser zweiten, verspäteten Blüte mittlerweile auch bei anderen Pflanzen?
Alice Thiel-Sonnen: Ich habe es am eigenen Rhododendron in meinem Garten gesehen und wir haben weitere Rückmeldungen zu Rhododendren, aber auch zu Schwertlilien, Flieder, Malve und Storchschnabel, die alle vereinzelt noch einmal Blüten gebildet haben.
Eine Gartenexpertin von der Gartenakademie Rheinland-Pfalz hat mir das so erklärt: Es gibt einmal Pflanzen, die reagieren auf Hell-dunkel-Unterschiede mit Blühen oder Nicht-Blühen. Und andere reagieren auf die Temperatur. Da wird die Blüte durch eine gewisse Wärme ausgelöst, was jetzt eben bei den warmen Herbsttemperaturen passieren kann.
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Am Wochenende ist es in Baden-Württemberg deutlich kälter geworden. Zuvor gab es aber nochmals 30 Grad. Wie die Aussichten für den Rest des Monats sind, erklärt ein Wetterexperte.
Ralf Caspary: Ein interessantes Phänomen. Das wird dann wahrscheinlich häufiger vorkommen?
Alice Thiel-Sonnen: Vermutlich ja, es kommt inzwischen häufiger vor und ich glaube, das wird es auch in Zukunft. Und wenn die Jahreszeiten alle verrutschen, dann wird sich auch die Wissenschaft damit befassen müssen.