Tiersammel-Sucht

Wenn Menschen Tiere horten

Stand
INTERVIEW
Tierärztin Moira Gerlach
Psychologe Gerd Zimmek
ONLINEFASSUNG
Anja Braun
Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell. (Foto: SWR, Christian Koch)

Wenn man mit 20 Hunden die Wohnung teilt, steckt meist eine psychische Störung dahinter. Animal Hoarding heißt das Phänomen. Und es nimmt zu, berichtet der Tierschutzbund.

Der englische Begriff „Animal Hoarding“ kann mit Tiersammel-Sucht oder Tierhorten übersetzt werden. Es beschreibt Menschen, die Tiere in einer großen Anzahl halten, sie aber nicht mehr angemessen versorgen können. Meist sind die Halter nicht in der Lage zu erkennen, dass es den Tieren schlecht geht.

Auf der psychologischen Ebene ist es so, dass die Leute anfangs Tiere wie normale Halter im Haushalt haben. Dann beginnt das langsam aus dem Ruder zu laufen. Die Menschen verlieren immer mehr die Kontrolle darüber und auch die Übersicht über die ganzen Tiere, die sie haben.

Beim Animal Hoarding handelt es sich nicht um eine klar definierte Krankheit, denn das Phänomen ist noch relativ wenig erforscht. Dieses Phänomen des Tierhortens geht aber mit verschiedenen psychischen Störungen einher. Zum Beispiel findet man bei den Haltern oft Zwangsstörungen oder aber auch in einigen Fällen Persönlichkeitsstörungen, beschreibt Psychologe Zimmek.

Hunde in verwahrloster Wohnung (Foto: IMAGO, Imago blickwinkel)
Hunde in verwahrloster Wohnung

Animal Hoarding ist eine Sonderform des Messie-Syndroms

Psychologen stufen das Animal Hoarding als Sonderform des Messie-Syndroms ein. Zur Persönlichkeitsstörung kommt in der Regel noch eine Zwangserkrankung. Animal Hoarding äußert sich – wie bei den anderen Messies auch – durch Verwahrlosung.

Es ist schwierig zu behandeln. Wenn sie versuchen, bei den Betroffenen ein Problembewusstsein zu schaffen, gibt es häufig Widerstand. Schließlich nehmen sie den Menschen ja zunächst die Tiere weg und darunter leiden sie. Aber es gibt auch Tier-Horter, die das Problem erkennen. Häufig sind das diejenigen, die züchten und denen der Tierbestand dann über den Kopf wächst.

Hunde im Zwinger (Foto: IMAGO, imago images / blickwinkel)
Animal Hoarder sehen ihre Tiersammelsucht selbst nicht als problematisch an.

Animal Hoarder sehen sich oft als Tierretter

Es gibt unter den Animal Hoardern viele, die glauben, sie würden die Tiere vor dem Tod retten. Aber sie verdrängen, dass es den Tieren in ihrer Obhut schlecht geht. Da diese Menschen finden, dass sie richtig handeln, ist die Behandlung sehr schwierig. Animal Hoarder lassen sich selten therapieren und werden umso häufiger zu Wiederholungstätern.

Fakten zu Animal Hoarding

2012 wurde die erste deutsche Studie über Animal Hoarding von Tina Sperling als Doktorarbeit an der Tierärztlichen Hochschule Hannover veröffentlicht.

verwahrloste Hunde auf einem verdreckten Grundstueck, animal hoarding,  (Foto: IMAGO, imago images / blickwinkel)
Animal Hoarding nimmt zu. Das berichtet der deutsche Tierschutzbund. Viele Tierhorter sehen sich als Retter der Tiere. Sie verdrängen aber, dass es den Tieren in ihrer Obhut schlecht geht.

Die Zahl der Fälle von Animal Hoarding nimmt zu. Das berichtet der deutsche Tierschutzbund. Moira Gerlach ist Tierärztin bei der Akademie für Tierschutz und sagt, dass der Höchststand 2018 mit 59 Fällen erreicht wurde. Das hört sich wenig an. Aber die Dunkelziffer wird deutlich höher geschätzt. Schließlich werden die Animal Hoarding Fälle nirgends zentral erfasst. Der Tierschutzbund kann deshalb nur die Fälle zählen, von denen er durch Mitglieder erfährt.

Wann spricht man von Animal Hoarding? 

Man kann das Phänomen nicht allein an der Anzahl der Tiere festmachen, die jemand hält, sagt Tierärztin Moira Gerlach. Deshalb kann man nicht einfach sagen ab fünf Katzen oder zehn Wellensittichen ist das bereits Animal Hoarding. Der Begriff bezeichnet das krankhafte Sammeln und Horten von Tieren in großer Anzahl.

Tiersammelsucht- Wellensittichschwarm im Wohnzimmer (Foto: IMAGO, imago images / blickwinkel)
Hier wohnt ein Wellensittichschwarm im Wohnzimmer. Animal Hoarding lässt sich nicht pauschal an einer bestimmten Zahl von Tieren festmachen. Der Begriff bezeichnet das krankhafte Sammeln und Horten von Tieren in großer Anzahl.

Nicht jeder, der jetzt eine große Anzahl von Tiere hält, ist auch automatisch ein Animal Hoarder. Man kann sicherlich fünf oder acht Hunde auch gut halten, wenn man das noch im Griff hat. Genauso ist es mit Vögeln, mit Kaninchen und Meerschweinchen. Bei denen muss man eben Populationskontrolle betreiben und schauen, dass die sich nicht unkontrolliert vermehren.

Zum Problem wird das Halten von mehreren und auch vielen Tieren erst dann, wenn weitere Faktoren dazukommen:

  • wenn eine sehr große Anzahl von Tieren auf sehr engem Raum gehalten wird, sodass die Tiere einfach zu wenig Platz haben.
  • wenn selbst minimale Hygiene und Pflegestandards nicht eingehalten werden. Das hat für die Tiere oft schlimme gesundheitliche Auswirkungen.

Welche Tierarten am häufigsten gehortet werden

Unsere Auswertung zeigt, dass es sich bei neunzig Prozent um Katzen handelt. Auch international sind Katzen bei Tier-Hortern sehr beliebt.

Animal hoarding Katzen (Foto: IMAGO, imago images / ZUMA Press)
In Deutschland werden vor allem Katzen gehortet.

Aber es werden alle Tierarten gehortet, also vor allem auch Hunde und kleine Heimtiere wie Meerschweinchen oder Vögel. Der Tierschutzbund kennt auch Fälle mit landwirtschaftlichen Nutztieren und mit exotischen Heimtieren wie Schlangen und Schildkröten. Außerdem gibt es auch Menschen, die Wildtiere horten. So kennt Gerlach einen Fall, bei dem jemand hundert Igel in einer Wohnung gehalten hat. Das Animal Hoarding ist also nicht auf eine oder ein paar Tierarten festgelegt.

In Deutschland gibt es keine Obergrenze für private Tierhaltung

Für jede Tierhaltung gilt das Tierschutzgesetz als Rahmengesetz. Da gibt es keine konkreten Angaben zur Haltung einzelner Tierarten. Es ist aber festgelegt,  dass Tiere ihrer Art und ihren Bedürfnissen entsprechend angemessen ernährt werden sollen und verhaltensgerecht untergebracht werden müssen.

Eine Ausnahme ist die Hundehaltung. Da gibt es tatsächlich Mindeststandards, was die Haltung und Zucht von Hunden angeht. Für alle anderen Tiere gibt es nach Auskunft des Tierschutzbundes keine gesetzlich bindenden Vorgaben, also für Katzen, Meerschweinchen, Kaninchen, Wellensittiche und so weiter.

An wen wendet man sich im Fall von Animal Hoarding?

Zuerst kann man die Polizei oder das Veterinäramt benachrichtigen. Wenn das Animal Hoarding sehr schwerwiegend ist, dann wird die Tierhaltung aufgelöst und die Tiere beschlagnahmt. In der Regel werden dann die Tierschutzvereine benachrichtigt, die die Tiere zunächst in Tierheimen untergebringen. Meistens helfen die Mitarbeiter der Tierschutzvereine den Behörden auch, die Tiere aus den Wohnungen zu holen oder auf den Grundstücken einzufangen.

Tierschutzbund holt 20 Hunde ab (Foto: IMAGO, imago images / ZUMA Press)
Animal Control , Department of Buildings , N.Y.C. Department of Health and Paramedics were call to a Brooklyn home to investigate a call that a couple were hoarding dogs in their home. Animal Control took 20 dogs from the home.

Animal Hoarder können das Verbot der Tierhaltung umgehen

In der Regel verstoßen die Tier-Horter gegen das Tierschutzgesetz. Wenn der Verstoß sehr ernst war, dann bekommen die Menschen für eine gewisse Zeit ein Tierhalteverbot auferlegt. Das bedeutet, dass sie keine Tiere halten dürfen. Problematisch findet der Tierschutzverein, dass Betroffene dieses Verbot sehr leicht umgehen können. Das Verbot der Tierhaltung gilt immer nur in dem jeweiligen Zuständigkeitsbereich der aktuellen Behörde.  

Also wenn ein Tier- Horter von einem Landkreis in den nächsten zieht, dann greift das Tierhalteverbot schon nicht mehr. Dazu kommt es leider sehr häufig. Dann geht das Problem von vorne los.

Stand
INTERVIEW
Tierärztin Moira Gerlach
Psychologe Gerd Zimmek
ONLINEFASSUNG
Anja Braun
Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell. (Foto: SWR, Christian Koch)