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Kann das Internet auseinanderbrechen?

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Matthias Becker
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Ralf Kölbel

Viele Staaten greifen immer tiefer in die technische Infrastruktur ein, auf der das Internet beruht. Sie tun dies zu einer besseren Kontrolle und zum Schutz vor Cyber-Angriffen. Wird das WWW bald in verschiedene Machtbereiche aufgespalten?

Planungen für die Zukunft des Internets

"One world, one net, one vision" - eine Welt, ein Netz, eine Vision. Das diesjährige Leitmotiv des Internet Governance Forums, also der "Internetregierung" bringt auf den Punkt, worum es geht. Nämlich darum, ein gemeinsames Verständnis zu fördern, wie die Zukunft des Internets aussehen soll.

Nicht-demokratische Staaten und ihre Staatsführungen greifen in die Freiheiten ein, die das Internet schafft. Sie versuchen eigene oder nationale Interessen durchzusetzen und hierfür ihre Netze vom globalen Internet abzuschotten.

Zerbricht das Internet? Die Formulierung klingt äußerst dramatisch, aber viele Experten warnen genau davor.

Durch Zensur und zunehmende Kontrolle könnte der freie Datenfluss künftig stark eingeschränkt werden.  (Foto: Colourbox, Colourbox Anterovium)
Durch Zensur und zunehmende Kontrolle könnte der freie Datenfluss künftig stark eingeschränkt werden.

Internet für alle - eine Illusion

Das Internet Governance Forum findet jedes Jahr statt. Gastgeber war diesmal Deutschland. Mehr als fünftausend Delegierte kamen nach Berlin, um über Regeln für den weltweiten Datenaustausch zu beraten. Angela Merkel eröffnete das Forum – und warnte vor einer zunehmenden Abschottung.

Ein Netz für alle und von allen, rund um den Globus. Von diesem Ideal entfernen wir uns gegenwärtig immer weiter. Einige Experten sprechen mittlerweile vom Splinter-Net – einem zersplitterten, fragmentierten Internet.

Russland, Iran und China wollen Internet stärker kontrollieren

Mit ihrer Mahnung zielte Angela Merkel auf China, den Iran und besonders auf Russland. Dort trat Anfang November ein neues Gesetz in Kraft. Das „Gesetz über das souveräne Internet“ ermögliche dem Staat, die internationalen Datenströme noch genauer zu überwachen, erklärt Sarkis Darbinyan, ein Moskauer Anwalt und Aktivist für die Informationsfreiheit.

Das Gesetz für ein souveränes Internet soll die Infrastruktur unter die Kontrolle der Behörden bringen. Die Idee ist, dass sie den Netzverkehr überwachen und die Internet Exchange Points mit dem Ausland kontrollieren.

Länder wie Russland, China oder der Iran wollen das Internet stärker reglementieren.  (Foto: IMAGO, Colourbox)
Länder wie Russland, China oder der Iran wollen das Internet stärker reglementieren.

Infrastruktur für staatliche Überwachung wird aufgebaut

Sarkis Darbinyan kritisiert das neue Gesetz als unverhältnismäßig und überflüssig. Künftig müssen russische Internetanbieter sich bei der obersten Medienaufsichtsbehörde, der Roskomnadsor, registrieren. Außerdem müssen sie in ihre Anlagen Soft- und Hardware einbauen, mit denen die eingehenden Datenpakete untersucht und auch umgeleitet werden können. "Deep packet inspection" ist der Fachbegriff für diese Technik.

Es wird noch ungefähr zwei Jahre dauern, um diese Systeme aufzubauen. Zunächst müssen alle, die irgendeine Art von Netzwerk betreiben, registriert werden. Unsere Netz-Infrastruktur wurde in den 90er Jahren ohne zentrale Planung gebaut, von sehr vielen verschiedenen privaten Unternehmen. Vor drei, vier Jahren haben die Behörden dann festgestellt, dass sie gar nicht wissen, wie der Internet-Verkehr überhaupt rein- und rauskommt.

Zensur und Kontrolle in Russland

Wenn ein Staat das Internet kontrollieren will, muss er zunächst herausfinden, wie das eigene Land über Satelliten und Fernmeldekabel mit dem Ausland verbunden ist. Für die russischen Behörden eine Mammutaufgabe, die noch lange dauern und viel Geld kosten wird.

Besonders ärgert den jungen Anwalt Sarkis Darbinyan aber eine weiterer Vorschrift: Russland will eigene Domain Name Server einrichten.

Das ist eine wirklich dumme Idee. Es gibt die Befürchtung, die Amerikaner könnte das Domain Name System unter ihre Kontrolle bekommen und dann Russland einfach vom Netz nehmen. Aber so etwas ist noch nie vorgekommen, nirgendwo auf der Welt.

Internetzensur (Foto: Colourbox, Werden die weltweiten Netze bald gekappt oder übergangen?)
Werden die weltweiten Netze bald gekappt oder übergangen?

Das Domain Name System übersetzt die Adresse, die wir in die Adresszeile eines Browsers eintippen, in eine Zahlenfolge. So wird beispielsweise aus www.swr.de „23.215.39.212“. Mit dieser IP-Adresse können dann Daten geschickt und empfangen werden. Wer diesen Vorgang kontrolliert, kann bestimmte Internetadressen einfach blockieren.

Der junge Moskauer Anwalt Sarkis Darbinyan ist überzeugt, dass es der russischen Staatsführung darum geht, die eigene Bevölkerung besser zu überwachen. Die offizielle Begründung lautet allerdings anders: Auch im Fall eines Krieges oder einer Staatskrise soll das Internet weiter funktionieren. Ganz von der Hand zu weisen sind solche Ängste nicht.

Bekommt Russland bald ein eigenes Internet? (Foto: IMAGO, imago/Panthermedia)
Bekommt Russland bald ein eigenes Internet?

Neue Angriffswaffen im Internet

Wolfgang Kleinwächter ist Experte für Internetregulierung. Er warnt vor einem Wettrüsten im Cyberspace. Dabei wird Software als Waffe eingesetzt: Um Sicherheitslücken von Computerprogramme auszunutzen und um fremde Netzwerke unter ihre Kontrolle zu bekommen.

Problematisch ist, dass sich diese Waffen im Cyberspace nur schwer identifizieren lassen. Einen Panzer oder eine Kalaschnikow oder ein Kampfflugzeug kann man viel leichter identifizieren als einen Computer-Virus, der vor einem Jahr irgendwo in einem Kraftwerk deponiert worden ist und dann durch einen bestimmten Befehl aktiviert wird und dann erheblichen Schaden anrichten kann.

Militär nutzt Internet als Waffe

Das Internet ist zum Operationsraum für Militärs und Nachrichtendienste geworden. Cyberwar wird diese Entwicklung oft genannt. Auch das Domain Name System wurde mittlerweile  gelegentlich angegriffen.

Alle Länder, die dazu in der Lage sind, versuchen Fähigkeiten für Cyberoperationen aufzubauen, ob nun defensiv oder offensiv. Cyberoperationen gehören einfach zur heutigen Wirklichkeit.

Auch das Internet braucht Regeln

Chris Painter war zwischen 2011 und 2017 der oberste Beamte der amerikanischen Regierung für „Cyberangelegenheiten“. Seitdem ist er als Diplomat tätig.

Painter ist der Meinung, man müsse dafür sorgen, dass Regeln und Richtlinien existieren. Denn es könne sehr destabilisierend wirken, wenn jedes Land über solche Möglichkeiten verfüge und niemand wisse, wann und auf welche Art sie eingesetzt werden.

Internetzensur (Foto: IMAGO, imago stock&people)
Auch in Russland kommt es immer wieder zu Protesten gegen zu viel Zensur.

Wechselseitige Spionage und Sabotage

Das amerikanische Militär unterhält eine eigene Teilstreitkraft für den Cyberspace, das US Cyber Command. Im August wurde bekannt, dass sie das russische Stromnetz infiltrierte, um es bei Bedarf lahmlegen können. Laut einem Bericht der New York Times war dies eine Warnung an die Russen und sollte als abschreckende Maßnahme dienen.

Ich weiß nicht, ob das zutrifft. Andererseits gab es viele Berichte darüber, dass Russland versucht, in die Steuerung des amerikanischen Stromnetzes einzudringen und dort Schadcode zu positionieren. Sollte der etwa für Spionage benutzt werden? Oder für Sabotage? Wenn es so ist, dann müssen wir uns Sorgen um unsere kritische Infrastruktur machen. Wir brauchen mehr zwischenstaatliche Debatten darüber, was in diesem Bereich erlaubt ist und was nicht.

Experten fordern völkerrechtliche Normen für den Cyberspace

Chris Painter und Wolfgang Kleinwächter haben in einer Arbeitsgruppe der UN – der Globalen Kommission für die Stabilität im Cyberspace – Vorschläge entwickelt, um die Verwendung des Internet für militärische Zwecke einzudämmen und es bestimmten völkerrechtlichen Normen zu unterwerfen. Die Staaten sollen auf bestimmte Cyber-Maßnahmen verzichten, meint Wolfgang Kleinwächter.

Vereinbarungen können nur wirksam sein, wenn sie im Interesse aller sind. Und im Interesse aller ist, dass die Internet-Infrastruktur nicht angegriffen wird, das heißt also Server, das Domain Name System, die IP-Adressen und so weiter.

Die nächsten Schritte wären Abrüstungsverhandlungen und völkerrechtlich verbindliche Regeln. Gelingt es aber nicht dem wachsenden Misstrauen entgegen zu wirken, dann könnte am Ende das Internet auseinanderbrechen, sagt Wolfgang Kleinwächter. Und zwar in einzelne voneinander abgeschottete Machtbereiche unterschiedlicher Cyber-Großmächte.

Brauchen wir künftig eine Art Visum oder ein Passwort, wenn wir das Internet anderer Länder "betreten" wollen? (Foto: IMAGO, imago images / Panthermedia)
Brauchen wir künftig eine Art Visum oder ein Passwort, wenn wir das Internet anderer Länder "betreten" wollen?

Dann könnte es sein, dass wir plötzlich zwei Internet - Strukturen haben. Und wenn man von dem einen zum anderen will, braucht man ein Passwort. Um das zu bekommen, muss man zunächst eine Genehmigung einholen. So wie ich heute ein Visum brauche, wenn ich zum Beispiel nach China einreisen will. Das sind Schreckensszenarien, die eigentlich keiner will, die uns aber im nächsten Jahrzehnt durchaus ins Haus stehen könnten.

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