Raumfahrt

Macht ein Weltraumbahnhof in Deutschland Sinn?

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Uwe Gradwohl
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Ralf Kölbel

Ein bayerisches Start-Up will bis kommendes Jahr eine Rakete bauen. Diese soll vielleicht von Deutschland aus starten. Macht ein Weltraumbahnhof in Deutschland überhaupt Sinn?

Ende September 2020 begann beim bayerischen Start-Up Isar Aerospace die Montage der von diesem Unternehmen selbst entwickelten Rakete. Schon im nächsten Jahr soll sie fertig sein. Der Raketentyp namens Spectrum soll bis zu 1.200 Kilogramm Nutzlast in niedrige Erdorbits bringen können.

Ideal für das Unternehmen wäre es, wenn seine Raketen von Europa oder sogar von deutschem Boden aus starten könnten. Der Bund der Deutschen Industrie (BDI) kann sich einen deutschen Weltraumbahnhof gut an der Küste oder auf dem offenen Meer vorstellen. Doch ist das realistisch?

Staatliche Unterstützung für private Raketenpioniere in Deutschland. Doch macht es Sinn, dann auch von Deutschland aus zu starten? (Foto: IMAGO,  imago images/Bayerische Staatskanzlei)
Staatliche Unterstützung für private Raketenpioniere in Deutschland. Doch macht es Sinn, dann auch von Deutschland aus zu starten?

Deutschland liegt nicht am Äquator

Es gibt einen guten Grund dafür, dass es bislang keine Weltraumbahnhöfe in Deutschland gibt. Deutschland liegt weitab des Äquators. Dort lassen sich Raketen viel energiesparsamer starten als von unseren nördlichen Breitengraden aus.

Deshalb liegt der amerikanische Startplatz am südlichsten Zipfel Floridas in Cape Canaveral, der frühere sowjetische und jetzt russische Weltraumbahnhof wurde im kasachischen Baikonur gebaut und Europa startet die Ariane-Raketen von Kourou aus. Das liegt in der am Äquator gelegenen Kolonie Französisch-Guyana. Mit dieser physikalisch und für den Transport großer Lasten sehr günstigen Äquatornähe können Startplätze in Mecklenburg-Vorpommern oder vor der Meeresküste Deutschlands nicht mithalten.

Test eines NASA-Orion-Startabbruch-Systems in Cape Canaveral, Florida, USA. (Foto: IMAGO, imago images / ZUMA Press)
Bei einem Raketenstart kann auch einiges schiefgehen. Das muss bei der Auswahl eines geeigneten Startplatzes berücksichtigt werden. Hier wird ein NASA-Orion-Startabbruch-System in Cape Canaveral ( Florida, USA) getestet.

Mitfluggelegenheiten gibt es genug

Taugt ein deutscher Weltraumbahnhof dann vielleicht für „kleinere“ Raketen? Wobei zu beachten ist: Mit „kleiner“ sind immerhin auch noch mehrere Meter lange und mehrere Tonnen schwere Flugkörper gemeint. Solche Raketen lassen sich aber immerhin auch von Flugzeugen ins All starten.

Das US-amerikanische Unternehmen Northrop Grumman bietet Starts vom Trägerflugzeug schon seit Jahren an, weitere Anbieter haben solche Systeme in Entwicklung. Diese Transportvehikel können dann aber auch nur einzelne Satelliten in niedrige Umlaufbahnen transportieren. Ob dieses Geschäftsmodell trägt ist ungewiss, weil es derzeit für kleine Einzel-Satelliten auch immer wieder günstige Mitfluggelegenheiten auf großen Raketen gibt, deren Ladebucht mit ein, zwei großen Satelliten nicht ausgelastet ist.

Northrop Grumman Pegasus XL-Rakete mit dem Ionospheric Connection Explorer der NASA (Foto: IMAGO, imago images/ZUMA Press/ Ben Smegelsky NASA)
Am Weltraumbahnhof in Cape Canaveral (USA) wird eine Northrop Grumman Pegasus XL-Rakete mit dem Ionospheric Connection Explorer der NASA für den Start vorbereitet.

Abgebrannte Raketenstufen können zur Gefahr werden

Alle drei deutschen Start-Ups (Isar AerospaceHyImpulse, Rocket Factory) entwickeln derzeit allerdings Raketen, die vom Boden aus gestartet werden müssen. Es sind keine „Mini-Raketen“, wie sie manchmal betitelt werden, sondern ausgewachsene mehrstufige Flugkörper mit Gesamtlänge bis 27 Meter und 2 Meter Durchmesser. Da abgebrannte Stufen unweigerlich zu Boden fallen, muss ein entsprechend großes Gebiet bei jedem Start gesichert werden.

Vor Cape Canaveral in den USA wird in solchen Fällen die Schifffahrt untersagt – für die dicht befahrenen Handelswege auf Nord- und Ostsee ist das keine Option. Der Bund der Deutschen Industrie (BDI) kann sich aber vorstellen, dass der äußerste nordwestliche Zipfel des deutschen Wirtschaftsgebiets in der Nordsee genügend Raum für Starts von einer im Meer verankerten Plattform bietet. Was dort allerdings störend sein kann, sind die an vielen Tagen hohen Windgeschwindigkeiten auf der offenen Nordsee. 

Vorbereitungen zum Weltraumflug der Sojus MS-15Bislang sind ist man in der Raumfahrt noch auf internationale Unterstützung angewiesen. Hier zu sehen: Vorbereitungen zum Weltraumflug der Sojus MS-15 zur Internationalen Raumstation ISS. (Foto: IMAGO, imago images/ITAR-TASS)
Bislang ist man in der Raumfahrt noch auf internationale Unterstützung angewiesen. Hier zu sehen: Vorbereitungen zum Weltraumflug der Sojus MS-15 zur Internationalen Raumstation ISS.

 Weniger Bürokratie mit deutscher Raketenbasis

Die deutschen Raketen von deutschem Boden aus ins All zu starten ist für junge Space-Start-Ups nicht nur deshalb so verlockend, weil man damit weite Transportwege zu Startplätzen in anderen Ländern vermeiden könnte. Man müsste sich auch nicht mehr durch den Dschungel von unterschiedlichen rechtlichen Vorgaben in den einzelnen Startländern kämpfen, sondern könnte sich an den für einen deutschen Weltraumbahnhof geltenden rechtlichen Vorschriften orientieren – die aber erst noch festgelegt werden müssten. 

 Weltraumtourismus aus Deutschland?

Könnte der Weltraumtourismus ein möglicher Sinn und Zweck für Weltraumbahnhöfe in Deutschland sein? In diesem Fall geht es ja nicht darum, Menschen in eine Umlaufbahn um die Erde zu schießen, sondern sie für wenige Minuten in 100 Kilometer Höhe an den Rand des Alls zu bringen und dann in ihrer Kapsel wieder am Startplatz oder in dessen Nähe landen zu lassen. 

Die US-Unternehmen Virgin Galactic und Blue Origin haben solche Konzepte schon weit entwickelt. Virgin Galactic hat bereits den Bau eines Startplatzes in Schottland ins Auge gefasst, würde also gerne seine Aktivitäten nach Europa ausdehnen. Blue Origin startet seine unbemannten Probeflüge augenblicklich von dünn besiedelten Wüstengebiet in Texas und baut einen eigenen Startkomplex am viele Jahrzehnten bewährten Raumfahrtbahnhof Cape Canaveral. 
Denn ganz gleich für welchen Zweck Raketen an den Start gebracht werden: Sie enthalten Tonnen von hochexplosivem Material. Geht ein Raketenstart schief, braucht es viel freie Fläche, auf der ein Flugkörper ungeplant niedergehen kann – ohne Unbeteiligte zu gefährden. Im dicht besiedelten Deutschland ist das schwierig bis unmöglich.  

Die Bayerische Firma Isar Aerospace will bis kommendes Jahr eine Rakete bauen. Ob diese auch von Deutschland aus ins All starten kann, ist ungewiss. (Foto: IMAGO, imago images/Bayerische Staatskanzlei)
Die Bayerische Firma Isar Aerospace will bis kommendes Jahr eine Rakete bauen. Ob diese auch von Deutschland aus ins All starten kann, ist ungewiss.
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