Kommentar

Organspende - Deshalb sollten Bürger selbst entscheiden

Stand
AUTOR/IN
Ulrike Till
ONLINEFASSUNG
Ralf Kölbel

Der Bundestag hat die Widerspruchslösung zur Organspende abgelehnt. Die Abgeordneten haben stattdessen für die erweiterte Zustimmungslösung gestimmt.

Organspende soll freiwillig bleiben


Mit aller Macht wollten Spahn und Lauterbach die Widerspruchslösung durchdrücken – nun sind sie mit ihrem Entwurf krachend gescheitert. Das ist gut so. Der Staat hätte sich damit angemaßt, über die Organe seiner Bürger zu verfügen – eine Spende ist aber immer freiwillig, und Schweigen ist keine Einwilligung. Deshalb ist die jetzt beschlossene Zustimmungslösung der bessere Weg. Sie wahrt die Autonomie und das Selbstbestimmungsrecht der Bürger.

Eintrag in Online-Register bei Beantragung eines Passes

Ein bisschen Druck vom Staat gibt es auch hier – aber in vertretbarem Ausmaß: wir alle sollen häufiger nach unserer Haltung zur Organspende gefragt werden. Zum Beispiel, wenn wir einen neuen Ausweis beantragen. Dann kann man seine Entscheidung auch gleich in einem Online-Register eintragen lassen – ein wichtiger Fortschritt. Auf lange Sicht können Kliniken so voraussichtlich mehr mögliche Organspender identifizieren als bisher.

Hausärzte sollen über Organspende aufklären

Eine wesentliche Rolle spielen nun auch die Hausärzte: Sie sollen ihre Patienten bei Bedarf aktiv alle zwei Jahre über Organspende beraten. Dafür gibt es Geld und Infomaterial. Das hört sich vielversprechend an, könnte im hektischen Praxisalltag aber auch für Probleme sorgen. Wenn jemand kritische Nachfragen etwa zum Hirntod hat, kann so ein Gespräch durchaus mal eine halbe Stunde oder länger dauern. Denn der Aufklärungsbedarf groß: Rund 84 Prozent der Deutschen sind für Organspende – viele sagen aber auch, dass sie sich nicht gut informiert fühlen.

Organspendeausweis (Foto: IMAGO, imago images/Sven Simon)
Bisher haben nur relativ wenige Menschen in Deutschland einen Organspendeausweis.

Aufklärung über Hirntod notwendig

Vor allem ein entscheidender Punkt ist kaum jemandem klar: damit nach dem Hirntod überhaupt Organe verpflanzt werden können, müssen potentielle Spender oft lange auf der Intensivstation behandelt werden: wenn nötig auch mit Medikamenten, Hormonen oder mit einer Herzdruckmassage. Bei all dem geht es nicht darum, den Sterbenden zu retten – das ist zu diesem Zeitpunkt bei potentiellen Organspendern mit schwerer Hirnschädigung längst aussichtslos. Es geht allein darum, die Organe für mögliche Empfänger lange genug durchblutet und gesund zu erhalten.

Sterbeprozess wird bei Organspendern verlängert

Genau das ist auch ein entscheidendes Argument gegen die Widerspruchslösung: Organspender schenken einem anderen Menschen viel mehr als nur ihre Organe. Sie sind auch bereit, das eigene Sterben zu verzögern und ihren natürlichen Todesprozess zu verändern. Künstliche Beatmung und intensive medizinische Behandlung  am Lebensende sind massive Eingriffe – wohlgemerkt an noch lebenden Patienten. Es ist enorm großzügig und selbstlos, wenn Menschen für andere dazu bereit sind.

Aber sie sollten dem ausdrücklich zugestimmt haben und nicht per Gesetz dazu gedrängt werden. Deshalb ist die Entscheidungslösung auf jeden Fall der bessere Weg. Wichtig ist aber, dass die Bürger auch erfahren, wie eine Organspende abläuft und was sie tatsächlich für die Spender bedeutet. Bisher waren Infoblätter und Kampagnen im wesentlichen nur Werbung für Organspende, keine neutrale Aufklärung – das muss sich dringend ändern.

Vorbereitung für Nierentransplantation (Foto: IMAGO, imago images / epd)
Vorbereitung für eine Nierentransplantation. Tausende Kranke in Deutschland warten auf ein Spenderorgan - oft vergeblich wegen der geringen Zahl der Spender.

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Fakten zur Organspende:

  • Zahl der Organspenden in Deutschland stabil

932 Menschen haben im vergangenen Jahr in Deutschland nach ihrem Tod Organe gespendet – das sind fast genauso viele wie 2018. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation ist wegen des leichten Rückgangs nicht besorgt, sondern spricht von statistischen Schwankungen. Wichtig ist, dass das Niveau von 2018 im wesentlichen stabil geblieben ist – damals gab es nämlich mit einer Steigerung um 20 Prozent zum ersten Mal seit Jahren wieder einen Sprung nach oben. 

  • Wenige Organspender im Südwesten

Damit sind wir allerdings immer noch weit weg von den Spitzenwerten früherer Jahre. Bundesweit ist die Spendebereitschaft sehr unterschiedlich: Die meisten Organspender gibt es in Ostdeutschland,  Baden-Württemberg liegt auf dem drittletzten Platz. 2019 haben hier nochmal weniger Menschen Organe gespendet als im Vorjahr. In Rheinland-Pfalz dagegen gingen die Zahlen nach oben. Insgesamt stehen mehr als 9000 Patienten in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Die meisten brauchen eine neue Niere.

Intensivstation (Foto: IMAGO, imago/photothek)
Die gesetzlichen Regelungen, wann ein Mensch tot ist und Organe entnommen werden dürfen, sind in europäischen Ländern unterschiedlich geregelt.
  • Andere Regelung zur Organspende in Spanien

Die weltweit höchsten Spenderzahlen hat Spanien: Von einer Million Einwohner spenden rund 48 nach dem Tod ihre Organe – mehr als viermal so viele wie bei uns. In Spanien gilt die Widerspruchslösung bei der Organspende – damit hat der dortige Erfolg nach Meinung von Fachleuten aber kaum etwas zu tun. In Spanien werden auch Menschen nach Herztod zu Organspendern; bei uns ist der viel seltenere Hirntod das entscheidende Kriterium. Außerdem sind Transplantationen in Spanien viel besser organisiert als bei uns, der Rückhalt in der Bevölkerung ist groß.

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Ulrike Till
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Ralf Kölbel