Medizin

Bein-Prothesen mit Gefühl

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AUTOR/IN
Ulrike Till
ONLINEFASSUNG
Ralf Kölbel

Europäische Forscher unter Federführung der ETH Zürich haben eine Prothese entwickelt, mit der Amputierte beim Gehen den Boden spüren können.

Moderne Beinprothesen sind ein Segen für Amputierte – trotzdem klappt das Laufen längst nicht so gut wie bei Menschen mit zwei gesunden Beinen. Das könnte sich vielleicht bald ändern: Mit einer neu entwickelten Prothese können Amputierte beim Gehen den Boden spüren. Möglich machen das Sensoren in der Prothese, kombiniert mit Nervenstimulation beim Patienten.

Eine Versuchsperson testet eine mit Sensoren ausgestattete Prothese (Foto: Pressestelle, ETH Zürich / Stanisa Raspopovic)
Eine Versuchsperson testet eine mit Sensoren ausgestattete Prothese

Herkömmliche Prothesen sind Fremdkörper

Wer mit einer Prothese läuft, hat vor allem beim Treppensteigen große Mühe. Auch auf flachem Untergrund kommen Patienten schnell ins Stolpern – schon kleine Hindernisse können sie zu Fall bringen.

Der Grund: herkömmliche Prothesen sind Fremdkörper, beim Gehen fühlt man nicht, wo man hintritt oder wie stark das Kniegelenk gebeugt ist. Dass es auch anders geht, haben die Schweizer Forscher und ihre europäischen Kollegen jetzt erstmals gezeigt: Drei Probanden, denen ein Bein oberhalb des Knies amputiert worden war, bekamen für die Pilotstudie eine speziell entwickelte Neuroprothese.

Dario Bortolotti justiert die Einlegesohle (Foto: Pressestelle, ETH Zürich / Stanisa Raspopovic)
Dario Bortolotti justiert die Einlegesohle und die intelligente Elektronik auf der Prothese.

Drucksensoren in der Sohle des Prothesenfußes

Das Besondere dabei: unter dem Prothesenfuß steckte eine High-Tech-Einlegesohle mit mehreren Drucksensoren. Auch im Kniegelenk waren Sensoren eingebaut. Per bluetooth meldeten Prothesenfuß und -Knie ihre Signale in Echtzeit an ein kleines Steuerungskästchen, das der Patient bei sich trug. Jetzt kommt der Clou der bionischen Prothese: Die Messdaten wurden prompt in elektrische Impulse umgewandelt.

Federica Barbieri justiert die intelligente Elektronik (Foto: Pressestelle, ETH Zürich /Francesco M. Petrini )
Federica Barbieri justiert die intelligente Elektronik auf dem intakten Knöchel eines Freiwilligen.

Ischiasnerv im Oberschenkel wird mit Elektroden stimuliert

Diese Impulse stimulierten dann gezielt den Ischiasnerv im Oberschenkelstumpf der Probanden. In den Nerv hatten die Forscher vorher Elektroden implantiert – schwierig war dabei vor allem, genau die richtige Stelle zu treffen. Der Nerv reagierte auf die Reize genau wie auf Signale eines echten Beins: Er leitete sie weiter ans Gehirn, die Patienten spürten deshalb Fußsohle und Knie der Prothese.

Forscher kontrollieren die EEG-Signale einer Versuchsperson.  (Foto: Pressestelle, ETH Zürich / Stanisa Raspopovic )
Forscher kontrollieren die EEG-Signale einer Versuchsperson.

Prothese fühlt sich an wie echtes Bein

Ein gewaltiger Fortschritt. „Es hat sich angefühlt wie mein eigenes Bein“, sagte ein Proband hinterher voller Begeisterung. Mit der Neuroprothese konnten die drei Testpersonen im Labor deutlich schneller und leichter Treppen auf- und absteigen; auch auf flachem Boden liefen sie rascher und konnten Hindernisse rechtzeitig erspüren.

Weitere Forschung erforderlich

In einer weiteren gerade erschienenen Studie hatten die Wissenschaftler gezeigt, dass die Neurostimulation auch Phantomschmerzen im amputierten Bein lindern kann. So vielversprechend die Ergebnisse auch sind – bisher ist die neue Technik nicht im Alltag getestet. Dafür sind weitere Studien mit deutlich mehr Probanden nötig.

Ein Freiwilliger testet die Berührungsempfindlichkeit der Fußsohle der Prothese. (Foto: Pressestelle, ETH Zürich / © Francesco M. Petrini )
Ein Freiwilliger testet die Berührungsempfindlichkeit der Fußsohle der Prothese.

Außerdem müssen die Wissenschaftler und ihr Firmenpartner SensArs Neuroprosthetics noch eine entscheidende Hürde nehmen: die Elektroden im Oberschenkel sind bisher über Kabel durch die Haut mit dem Stimulationsgerät verbunden. Das könnte zu gefährlichen Infektionen führen. Deshalb mussten die Wissenschaftler ihre Pilotstudie auch nach drei Monaten beenden. Jetzt tüfteln sie an einer Lösung, die sich komplett implantieren lässt. 

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