Computertechnik

Was leistet Googles Quantencomputer?

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Frank Grotelüschen
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Ralf Kölbel

Googles Quantenprozessor löste ein Problem in 200 Sekunden statt in 10.000 Jahren. Ein Meilenstein der Forschung?

Seit Wochen gab es Gerüchte. Jetzt ist es offiziell. Google verkündete am 23. Oktober die Quantenüberlegenheit, "Quantum Supremacy" genannt. Dieser Begriff bezeichnet den Moment, an dem ein Quantencomputer erstmals herkömmlichen Rechnern bei einer bestimmten Aufgabe überlegen ist. Der Nachweis gilt als Meilenstein und wurde nun in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.


Unzählige Befehle gleichzeitig

Ein Quantencomputer sollte bestimmte Rechenaufgaben viel schneller erledigen können als heute die besten Superrechner. Grundlage ist ein Prinzip, das ganz anders ist als bei einem gewöhnlichen PC. Der rechnet mit Bits – mit Schalteinheiten, die entweder auf 0 oder auf 1 stehen. Der Quantencomputer dagegen basiert auf dem sogenannten Qubit. Dieses kann 1 und 0 gleichzeitig sein und kann damit sämtliche Werte dazwischen annehmen. Damit vermag ein Quantenrechner unzählige Befehle parallel auszuführen, statt nacheinander wie ein normaler Computer – was ihm einen enormen Geschwindigkeitsvorteil bescheren sollte.

Ein Quantenrechner kann unzählige Befehle parallel auszuführen (Foto: IMAGO, imago/Ikon Images)
Ein Quantenrechner kann unzählige Befehle parallel auszuführen, statt nacheinander wie ein normaler Computer – was ihm einen enormen Geschwindigkeitsvorteil bescheren sollte.

Zwar arbeitet die Fachwelt schon lange an Prototypen. Doch diese hatten bislang einen Makel – sie waren schlicht langsamer als gewöhnliche Rechner. „Wir wollten prüfen, ob ein Quantencomputer wirklich so eine enorme Rechenpower besitzt“, erzählt Google-Forscher John Martinis. Dazu baute sein Team einen fingernagelgroßen Spezialchip namens „Sycamore“. Er verfügt über 53 funktionierende Qubits, muss aber nahe an den absoluten Temperaturnullpunkt bei minus 273,15 Grad gekühlt werden.
 

Die Überlegenheit der Quanten

Unterstützt von anderen Teams etwa aus Jülich und Erlangen tüftelte Google ein gutes Jahr lang. Dann konnte Sycamore eine spezielle Aufgabe in Rekordzeit lösen: Nach nur 200 Sekunden spuckte er eine Zahl aus, die durch und durch zufällig war. Ein Superrechner würde dafür geschätzte 10.000 Jahre brauchen – die Quantenüberlegenheit ist demonstriert. „Nun haben wir eine große Zukunft vor uns“ freut sich Martinis. „Denn jetzt ist klar, dass die Technologie weiter fortgeschritten ist als viele dachten.“

Doch nicht alle Fachleute sind überzeugt. So meint Konkurrent IBM, das Problem sei per Supercomputer auch in zweieinhalb Tagen lösbar statt in 10.000 Jahren. In diesem Fall wäre die Quantenüberlegenheit immer noch vorhanden, aber nicht mehr so eindrucksvoll wie von Google behauptet. Den endgültigen Durchbruch markiert das Ergebnis allerdings noch nicht. Denn der Algorithmus, den Google genutzt hat, eignet sich nur bedingt für technische Anwendungen. Für praxistauglichere Algorithmen bräuchte es deutlich mehr Qubits als die 53 von Sycamore. Außerdem muss die Fachwelt noch eine ausgefeilte Fehlerkorrektur für die hochsensiblen Qubits entwickeln.

IBM-Supercomputer "Summit" (Foto: dpa Bildfunk, Foto: Carlos Jones/Oak Ridge National Laboratory, U.S. Department of Energy/dpa )
Experten meinen, dass der Quantencomputer zwar Supercomputern wie dem von IBM entwickelten "Summit" überlegen sei, doch nicht in dem Maße wie behauptet.

Quantencomputer noch nicht alltagstauglich

Doch Google gibt sich optimistisch „In ein paar Jahren wollen wir einen Chip mit tausend Qubits realisieren“, verkündet Martinis. „Das wäre ein weiterer Meilenstein.“ Die Anwendungen dürften zunächst für die Wissenschaft interessant sein, etwa bei der Simulation chemischer Reaktionen. Später sollen Quantencomputer Datenbanken durchforsten und bei der Medikamentenentwicklung helfen.

Google erhofft sich Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz, etwa der automatischen Bilderkennung. Eine weitere Anwendung, vor allem für die Geheimdienste interessant, dürfte noch auf sich warten lassen – das Entschlüsseln digitaler Sicherheitscodes, die bislang als unknackbar gelten. „Dafür bräuchte man wohl 100 Millionen Qubits“, sagt Martinis. „Bis wir soweit sind, wird es noch eine Weile dauern.“

Deutschland jedenfalls könnte bei der Entwicklung den Anschluss verlieren. In der Grundlagenforschung mischen deutsche Fachleute zwar munter mit. Dagegen hält sich die Wirtschaft noch zurück – und setzt lieber auf die Entwicklung hochempfindlicher Quantensensoren etwa für die Medizin.

Modularer Supercomputer der NASA (Foto: IMAGO, imago images/ZUMA Press)
Modularer Supercomputer der NASA. Auch in der Raumfahrt könnten Quantencomputer in den kommenden Jahren zum Einsatz kommen.
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