Das Bild zeigt bunte BHs in einem Schaufenster. (Foto: IMAGO, Petra Schneider)

130 Jahre BH

Der Büstenhalter als Protestsymbol

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AUTOR/IN
Heiner Wember
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Lena Schmidt

Am 6. Februar 1893 erhält Hugo Schindler eines der ersten Patente für den Büstenhalter. Während der BH Frauen früher vom Korsett befreite, befreien sich heute viele Frauen von ihm.

Der moderne BH wird 130! Oder doch 134 oder erst 124? Um das Jahr 1900 tüftelten viele verschiedene Personen an alternativen Büstenhalterungen, die Frauen vom Korsett befreien sollten und meldeten Patente an:

Das Bild zeigt eine Werbung des Cadolle-Dessoushauses. (Foto: IMAGO, KHARBINE-TAPABOR)
Die Französin Herminie Cadolle erhielt bereits am 16. Juni 1889 in Paris ein Patent auf ihre den „Busen haltende Konstruktion“. Aufgrund ihrer Freundschaft zu Louise Michel, eine aufständige Anarchistin und Feministin, wanderte sie einige Jahre nach Argentinien aus, wo sie ein Geschäft eröffnete, in dem maßgeschneiderte Unterwäsche verkauft wurde. Nach ihrer Rückkehr nach Paris 1889 eröffnete sie auch dort einen Dessous-Laden. Dort verkaufte sie ihr patentiertes Oberteil, das die Brüste mit Hilfe von Schultergurten stützte. Bild in Detailansicht öffnen
Kommunikation in Nürnberg (Bayern) im Vorfeld der Ausstellung "Body Talks - 100 Jahre BH" zu sehen.  (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance, Daniel Karmann)
Am 5. September 1899 wurde das erste deutsche Büstenhalterpatent von der Dresdnerin Christine Hardt angemeldet, das ebenfalls dem Korsett (s. Bild) den Kampf ansagen sollte. Die Masseuse und Lehrerin für Heilgymnastik verwendete für ihre BH-Konstruktion Hosenträger, die sie an einem Stück Stoff befestigte. Hardts BH wurde vermutlich nicht auf nackter Haut, sondern über einem Hemd getragen, wie Skizzen verraten. Das „Frauenleibchen als Brustträger“ verfügte über eine eingearbeitete Knopfleiste, war größenverstellbar und für stillende Mütter leicht zu öffnen. Bild in Detailansicht öffnen
Ein Besucher betrachtet Dienstag (28.02.2012) in Stuttgart im Stadtmuseum Bad Cannstatt die Ausstellung "Prima Donna: Zur wechselvollen Geschichte einer Cannstatter Korsettfabrik". Die Ausstellung beleuchtet die Geschichte der Cannstatter Familie Lindauer: Die Wäschehersteller produzierten die ersten industriell gefertigten BHs.  (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance, Franziska Kraufman)
Eine der ersten BH-Erfindungen kommt auch aus dem Südwesten. Wilhelm Meyer-Ilschen aus Cannstatt entwickelte 1904 die „Bruststütze ohne Unterteil“. In der Korsettfabrik seines Schwiegervaters S. Lindauer wurden BHs später erstmals industriell in Serie produziert. Das Unternehmen wurde während des Nazi-Regimes nach Wilhelm Meyer-Ilschen umbenannt, da die jüdische Lindauer-Familie bedroht war und so der Enteignung entgehen konnte. Das Bild zeigt einen Teil der Ausstellung „Prima Donna: Zur wechselvollen Geschichte einer Cannstatter Korsettfabrik“ in Stuttgart. Bild in Detailansicht öffnen
Eine Frau betrachtet am 2014 in der Ausstellung Body Talks - 100 Jahre BH in Frankfurt am Main eine Vitrine mit einem Portrait einer der Erfinderinnen des BHs, Mary Phelbs Jacob, der Patentschrift und der Modezeichnung des Models (unten v.l.). (Foto: IMAGO, epd)
Die US-Amerikanerin Mary Phelps Jacob ist mit ihrem BH-Patent, das sie am 3. November 1914 erhalten hat, im Vergleich recht spät dran. Die „Backless Brassiere“ wurde jedoch in der New Yorker Upper Class schnell beliebt, da sie rückenfrei war. Ihren BH verkaufte sie später für eine hohe Summe an die Filmproduktions-Tochter Warner Brothers Corset Company. Bild in Detailansicht öffnen

Mode und Schönheitsideale

Vor der Erfindung des BHs trugen Frauen Korsett. Für viele Frauen bedeutete das vor allem eines: Schmerzen. Modisch sollte ein Korsett Frauenkörper in das damals gängige Schönheitsideal der Sanduhrfigur formen: eine schmale Wespentaille mit breiten Hüften und einem nach oben gepushten Busen. Doch die engen Korsette beeinträchtigten beispielsweise die Verdauung, führten zu Organ-Quetschungen und schnürten den Trägerinnen die Luft ab. Infolgedessen fielen sogar viele in Ohnmacht.

Bis es vom BH-Patent zum Durchbruch des Kleidungsstücks reichte, sollten noch einige Jahre vergehen. Der BH ging in Deutschland kurz vor dem Ersten Weltkrieg in Serienproduktion – Als die Männer an die Front zogen und die Frauen in den Fabriken die Arbeit aufnahmen. Denn mit Korsetts ließ sich nur beschwerlich am Fließband stehen und arbeiten.

In den 1920er-Jahren begannen dann Designer, BHs mit Spitzenbesatz und anderen Details zu zieren. Er war nicht nur ein funktioneller Gegenstand, sondern auch ein modischer. Im Verlauf seiner weiteren Geschichte ging der BH oft Hand in Hand mit Schönheitsidealen. Auch deshalb wird er immer wieder als Symbol der Unterdrückung in feministischen Protesten abgelegt, beispielsweise während der 1968er-Bewegung. Frauen forderten auf ihren Protesten die Freigabe der Pille, gleichen Lohn für gleiche Arbeit und das Ende der männlichen Vorherrschaft.

Das Bild zeigt Maurice Chevalier und Marilyn Monroe. (Foto: IMAGO, Heritage Images)
Die spitze BH-Form kam durch Hollywood-Stars wie Sophia Loren oder Marilyn Monroe (rechts im Bild) in Mode und formte das vor allem in den 1950er-Jahren gängige Schönheitsideal. Der auch „Bullet Bra“ genannte BH erfuhr dann später insbesondere durch Madonna eine Rückkehr. Während der Anfänge des BHs stand noch die Bequemlichkeit im Vordergrund, die seitdem im Zuge von Mode-Trends oft in den Hintergrund rückte. Neben dem in den 1990er-Jahren weit verbeitetem Ideal einer schlanken Figur mit hoch gepushten Brüsten wie z. B. bei Victoria Secret, erfuhr auch die Hourglass-Figur aus dem Korsett-Zeitalter durch Stars wie Kim Kardashian ein Revival. Bild in Detailansicht öffnen
Das Bild zeigt zwei Studentinnen bei einem Protest in San Diego, California, 2015. (Foto: IMAGO, SWR, ZUMA Wire)
Obwohl der BH in seiner Anfangszeit als Befreiuung vom Korsett galt, wird heute BH-Freiheit immer mehr zum Symbol. Im Bild sieht man z. B. zwei Studentinnen bei einem Protest gegen Sexismus in Kalifornien. In dessen Zentrum stand die Frage, weshalb nur Männer oberkörperfrei rumlaufen dürfen. Der BH als Symbol für die Unterdrückung wurde auch schon in früheren Protesten abgelegt, beispielsweise bei den Frauenprotesten bei der Miss America-Wahl 1968 Bild in Detailansicht öffnen

Weniger Frauen tragen BHs

Neben dem Ablegen des BHs als politische Botschaft, erachten nicht alle Frauen einen BH für sich im Alltag als notwendig. Heute geht ein Trend in die Richtung, auch mal BH-frei rumzulaufen oder auf bügelfreie Modelle umzusteigen. „Wir verkaufen viel Minimizer, das sind BHs, die die Brust optisch verkleinern, und tatsächlich auch mittlerweile viele ungefütterte BHs“, berichtet Fachverkäuferin Charlene Camen.

In einigen Fällen kann ein BH jedoch gesundheitliche Vorteile bringen. Gerade beim Sport unterstützen BHs das Bindegewebe. Erschütterungen, beispielsweise durch Joggen, zerren ohne genügend Halt am Bindegewebe und führen auf Dauer zu Bindegewebschädigungen sowie einem Elastizitätsverlust der Haut. Bei einer größeren Oberweite kann das Tragen eines BHs zudem Nacken und Rücken entlasten und so Schmerzen vorbeugen.

Es gibt spezielle Sport-BHs, die atmungsaktiv sind und die darauf ausgelegt sind, die Höhe, in der sich die Brust bewegt, um siebzig Prozent zu reduzieren. (…) Was verhindert, dass das Bindegewebe zu stark belastet wird, was verhindert, dass die Brust sich zu stark auf und ab bewegt.

Das Funk-Format Say What geht dem Trend, keine BHs zu tragen, auf den Grund:

Viele tragen falsche Größe

Egal ob man BHs zum Sport oder im Alltag tragen möchte – die richtige Größe ist entscheidend für den gesundheitlichen Nutzen. Denn der falsche Sitz eines BHs kann sogar zu Haltungsfehlern führen und ist natürlich extrem unbequem. Camen geht davon aus, dass ein Großteil der Frauen nicht weiß, welcher BH für sie angemessen ist:

Es liegt bestimmt so bei 70, 75 Prozent an Frauen, die die falsche BH-Größe tragen.

Einige Online-Shops bieten Größentabellen an, sodass man sich zuhause selbst ausmessen kann. Im Zweifelsfall kann man sich im Geschäft professionell beraten lassen.

Diese Faustregeln gelten:

  1. Wenn die inneren und äußeren Bügel-Enden in die Brust eindrücken, tragen Sie eine zu kleine Größe!
  2. Bei großer Oberweite auf breite Träger achten, die nicht einschneiden!
  3. Der Unterbrustbereich trägt das Gewicht der Brüste und muss eng am Körper anliegen!
  4. Die Körbchen müssen den Busen perfekt umschließen und dürfen auf keinen Fall einquetschen!
  5. Der seitliche BH-Bügel muss die Brust gut einschließen!
  6. Beim Sport immer einen Sport-BH tragen um das Gewebe zu schützen und damit beim Sport nur der Ball hüpft!
  7. Das Rückenteil des BHs darf auf keinen Fall einschneiden. Rückenteil und Vorderteil müssen auf der selben Höhe liegen!

Es gibt inzwischen viele verschiedene BH-Modelle und Möglichkeiten, den Büstenhalter passgenau einzustellen – Vor 130 Jahren wäre das noch unvorstellbar gewesen.

Körperformen sollten kein Trend sein

Es wird immer wieder gefordert, dass Körperformen keine Trends mehr sein dürfen. Viele leiden unter dem Druck gesellschaftlicher Schönheitsideale. Während ein BH symbolisch oder alltäglich schnell abgestreift ist, sind Schönheitsoperationen gesundheitsgefährdend, risikoreich und oft nicht umkehrbar. Der Großteil aller ästhetisch-plastischen Eingriffen wird an Frauen durchgeführt.

Laut Statista-Daten von 2022 finden sich OPs, die die Brüste betreffen, gleich viermal in den Top 10. Eine Brustvergrößerung mittels Implantaten liegt auf Platz 3, Bruststraffungen belegen den zweiten Platz, Brustverkleinerungen den sechsten und Brustvergrößerungen mittels Eigenfett den zehnten.

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Darauf sollten Sie achten BHs für große Größen

Oft trauen sich Frauen mit größere Oberweite nicht ins Fachgeschäft. Aber genau diese Zielgruppe läuft Gefahr einen nicht sitzenden BH zu kaufen. Abgesehen davon, dass ein falscher BH unbequem ist, kann er auch Rückenbeschwerden fördern. Fachverkäuferin Heike Riha gibt hilfreiche Tipps.

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