125 Jahre Aspirin (Foto: IMAGO, imago images/MiS)

Medizingeschichte

125 Jahre Aspirin – Erfolgspille mit Risiken

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Ulrike Till
Portraitbild von Ulrike Till, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell. (Foto: SWR, Jochen Krumpe)
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Ralf Kölbel

Selbst jemand, der eigentlich nie Medikamente schluckt, hat meist wenigstens eine Packung Aspirin zu Hause – gegen Fieber und Schmerzen war das Mittel schon bei unseren Urgroßeltern ein Klassiker. Vor genau 125 Jahren begann der Siegeszug des Medikaments.

Vor genau 125 Jahren, am 10. August 1897, stellt Felix Hoffmann in einem Labor von Bayer den Wirkstoff erstmals in chemisch reiner Form her. Inzwischen findet sich die entzündungshemmende Substanz Acetylsalicylsäure, kurz ASS, auch ohne den geschützten Markennamen Aspirin in billigeren Nachahmerpräparaten.

Wirkstoff aus der Eichenrinde war auch schon in der Antike bekannt

Schon in der Antike wussten Ärzte, dass ein Wirkstoff aus der Weidenrinde Fieber senkt und Schmerzen lindert – doch ohne weitere Zutaten hatte das Naturheilmittel heftige Nebenwirkungen: Salicylsäure greift die Schleimhäute an und löst Brechreiz aus. Erst im Kombipack mit einer Essigsäureverbindung wurde der Wirkstoff verträglich. Heute ist Acetylsalicylsäure ein weltweiter Blockbuster. Als Entdecker des Aspirins wird meist der Chemiker Felix Hoffmann genannt.

Mindestens ebenso wichtig war jedoch sein jüdischer Laborleiter Arthur Eichengrün, sagt der Journalist und Buchautor Ulrich Chaussy:

Aspirin hätte ohne Arthur Eichengrün nie das Licht der Welt erblickt.

Chaussy hat viel über den Chemiker recherchiert: Anders als seine Vorgesetzten war Eichengrün sofort von Aspirin überzeugt – und auch zu persönlichen Opfern bereit: In einem riskanten Selbstversuch hat Eichengrün in steigender Dosis Aspirin zu sich genommen und seine Auffassung bestätigt gefunden, dass es kein Herzgift sei.

Der Wirkstoff der Acetylsalicylsäure ist in natürlicher Form in der Weidenrinde enthalten und ist dort als natürliches Schmerzmittel eigentlich schon seit der Antike bekannt. (Foto: IMAGO, imago/PantherMedia / Boris Zerwann)
Der Wirkstoff der Acetylsalicylsäure ist in natürlicher Form in der Weidenrinde enthalten und ist dort als natürliches Schmerzmittel eigentlich schon seit der Antike bekannt.

Aspirin wird zur Vorbeugung von Herzinfarkten und Schlaganfällen verwendet

Im Gegenteil: Viele Herzpatienten nehmen heute Aspirin, um einem Infarkt oder Schlaganfall vorzubeugen. In den ersten Jahrzehnten standen aber ganz andere Krankheiten im Vordergrund. Anfang des 20. Jahrhunderts grassierte in Deutschland noch Malaria. 2009 erläutert der inzwischen verstorbene Medizinhistoriker Prof. Wolfgang Eckert im SWR Interview:

Die Malaria war so verbreitet, dass sie auch im Sendegebiet des SWR zum Beispiel vorherrschend war. Der ganze Rheingraben war ein Malaria-Endemiegebiet, Friesland war malariaverseucht. Und dann konnte man Aspirin gegen Malaria einsetzen – also gegen das Malariafieber natürlich, nicht ursächlich gegen die Malaria.

Die Spanische Grippe ab 1918 sorgte dann für einen noch höheren Absatz: Damals hatte man, so Eckert, überhaupt kein adäquates Mittel gegen die Grippe, und habe wenigstens versucht, den Schmerz zu bekämpfen – mit Unmengen an Aspirin. Das war nach Einschätzung Eckerts damals der absolute Durchbruch für das Medikament.

Aspirin und andere Acetylsalicylsäure-haltige Präparate kommen bis heute bei Fieber oder Schmerzen zum Einsatz.  (Foto: IMAGO, IMAGO/Design Pics)
Aspirin und andere Acetylsalicylsäure-haltige Präparate kommen bis heute bei Fieber oder Schmerzen zum Einsatz.

Studie stellt vorbeugende Wirkung von Anspirin in Frage

1950 ging Aspirin dann als meistverkauftes Schmerzmittel der Welt ins Guinnessbuch der Rekorde ein. Und die enorme Nachfrage hält an. Auch deshalb, weil viele Seniorinnen und Senioren vorbeugend Aspirin schlucken. Bei Patienten, die schon mal einen Infarkt oder Schlaganfall hatten, ist der Nutzen klar bewiesen – Aspirin hält das Blut flüssig und schützt vor erneuten Gerinnseln in Herz oder Hirn. Aber hilft es auch Menschen, die solche Gerinnsel vorher noch nicht hatten?

Die australische ASPREE-Studie hat 2018 zu einem Umdenken geführt, erklärt der Kardiologe Prof. Thomas Münzel, Ärztlicher Direktor an der Uniklinik Mainz. Bei dieser Studie wurde bei insgesamt 20.000 über 70-jährigen untersucht, inwieweit eine Therapie mit niedrig dosiertem Aspirin, 100 mg pro Tag, zukünftig Herz-Kreislauf-Ereignisse verhindern kann. Die Senior*innen hatten zum Teil Risikofaktoren wie hohen Blutdruck, hohes Cholesterin oder auch Diabetes. Und es kam heraus, dass es nur eine minimale Verbesserung bei Herz-Kreislauf-Ereignissen wie Schlaganfall und Herzinfarkt bewirkt hat.

Die vorbeugende Wirkung von Aspirin wird mittlerweile eher kritisch gesehen. Es gibt teilweise gravierende Nebenwirkungen und die Schutzwirkung ist wohl geringer als bislang angenommen. (Foto: IMAGO, IMAGO/Westend61)
Die vorbeugende Wirkung von Aspirin wird mittlerweile eher kritisch gesehen. Es gibt teilweise gravierende Nebenwirkungen und die Schutzwirkung ist wohl geringer als bislang angenommen.

Aspirin kann Blutungsrisiko in Magen, Darm und Gehirn erhöhen

Die Studie zeigte einen geringen Nutzen – aber erhebliche Nebenwirkungen: Das Blutungsrisiko in Magen, Darm und Gehirn der Probanden war deutlich erhöht. Egal, warum man es schluckt -- Aspirin kann bei längerer Einnahme zu Blutungen führen, weil es bestimmte Eiweiße im Körper blockiert. „Diese Eiweiße brauchen wir, damit die Schleimhaut immer wieder regeneriert“, sagt Prof. Matthias Ebert, Leiter der Gastroenterologie am Uniklinikum Mannheim. Wenn diese Eiweiße gehemmt werden und die Schleimhaut nicht regeneriert wird, entstehen kleine Defekte in der Schleimhaut, so Ebert. Und aus denen könne es dann bluten.

Wir wissen, dass Patienten mit Aspirin ein höheres Risiko haben, solche Blutungen zu erleiden, und in der ASPREE Studie hat sich auch gezeigt, dass insgesamt das Risiko für solche Blutungen bei Patienten mit Aspirin zugenommen hat.

Widersprüchliche Aussagen zur Schutzwirkung von Aspirin gegenüber Krebs

Aspirin ist also nicht ganz so harmlos, wie viele meinen. Bei Menschen, die schon einen Herz-Infarkt oder Schlaganfall erlitten haben, überwiegt aber ganz klar der Nutzen – daran hat sich nichts geändert. Seit Jahren untersuchen Forschungsteams auf der ganzen Welt auch, ob Aspirin möglicherweise Krebs vorbeugt. Der Ansatz: Entzündungen im Körper fördern Tumore – und Aspirin hemmt Entzündungen. So könnte die Schmerzpille vielleicht die Krebsentstehung bremsen.

Vor allem bei Darmkrebs haben mehrere Studien eine gewisse Schutzwirkung gezeigt. Aber noch sind die Ergebnisse widersprüchlich – möglicherweise profitieren Jüngere mehr als Ältere, auch andere Faktoren spielen vermutlich eine Rolle. So bleibt Aspirin sogar 125 Jahre nach seiner Erfindung ein spannendes Forschungsfeld.

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