Weltwirtschaft

Warum gibt es den "reichen Norden" und den "armen Süden"?

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Gábor Paál
Gábor Paál (Foto: SWR, Oliver Reuther)

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Innerhalb Deutschlands ist es eher umgekehrt – wir haben hier ein Süd-Nord-Gefälle. Anders ist es in Italien, wo der Norden reicher ist als der Süden. Ein generelles Nord-Süd-Gefälle gibt es auch innerhalb Europas.

Bessere Bedingungen für Landwirtschaft in gemäßigten Breiten

Allerdings herrschten vor 2.000 Jahren – zur Zeit des römischen Reiches – umgekehrte Verhältnisse. Man kann also nicht sagen, dass es ein Naturgesetz gäbe, wonach nördliche Regionen immer reicher wären als südliche. Im Einzelfall spielen vielfach historische Entwicklungen eine Rolle. So war früher die Landwirtschaft ein entscheidender Wohlstandsfaktor — hierür herrschen in den gemäßigten Breiten einfach die besseren Bedingungen als in den Tropen. Die Böden und die Niederschlagsverhältnisse sind besser. Wir haben zwar auch immer wieder Trockenperioden, leiden aber längst nicht unter Dürreproblemen wie südlichere Länder das tun.

Allerdings war das Mittelmeergebiet in der Antike grüner als heute – bis die Römer ihre Wälder abgeholzt haben, die bis heute nicht nachgewachsen sind. Aber die Frage nach Arm und Reich kann man sicher nicht nur auf solche naturräumlichen Einflüsse zurückführen.

Kolonialgeschichte und Industrialisierung spielen eine Rolle

Der Unterschied zwischen den reichen Industrieländern und den Entwicklungsländern lässt sich einerseits auf die Kolonialgeschichte zurückführen, andererseits auf die Industrialisierung. Aber auch damit verschiebt man die Suche nach der Ursache nur in die Vergangenheit, denn es bleibt ja die Frage: Warum gingen Kolonialisierung und Industrialisierung vom Norden aus?

Warum die Europäer die Welt kolonisieren konnten

An dieser Stelle kommt eine Theorie ins Spiel, die von dem US-Geographen Jared Diamond stammt. 1997 erschien sein Buch „Arm und Reich“, im Englischen „Guns, germs and steel“ – also Waffen, Krankheitserreger und Stahl. Darin stellt er die einfache Frage: Warum haben einst die Europäer den Rest der Welt kolonisiert und nicht umgekehrt?

Seine Erklärung geht zurück bis in den Beginn der Landwirtschaft vor 10.000 Jahren in Vorderasien. Dass die Landwirtschaft dort ihren Anfang nahm und nicht sonst wo, hatte klare Gründe, denn dort herrschten Bedingungen wie nirgends sonst auf der Welt:

  1. Es gab eine gewisse Anzahl an domestizierbaren Pflanzen – was wir heute als Getreide bezeichnen – und domestizierbaren Tieren.
  2. Weil der eurasische Kontinent eine Ost-West-Achse hat, und weil es – anders als in Amerika – in Ost-West-Richtung keine großen Gebirgsbarrieren gibt, verlaufen auch die Klimazonen in Eurasien in Ost-West-Richtung, also konnte sich die Landwirtschaft leicht ausbreiten. Und damit auch alles, was mit ihr zusammenhing, denn die Landwirtschaft hatte ja Folgen: Sie war ja zugleich der Beginn komplexer Gesellschaften, in denen es so etwas wie Arbeitsteilung gab, Spezialisierungen. Und die Landwirtschaft führte zu weiteren technischen Innovationen: Töpfe aus Keramik, Pflüge und andere Spezial-Werkzeuge aus Metall wurden erfunden – und die Metallverarbeitung führte natürlich auch zu effizienten Waffen.

Ein anderer, eher unbeabsichtigter Effekt der Landwirtschaft und der Tierhaltung waren die Krankheitserreger, die sich dort entwickeln konnten. Diese Krankheitserreger forderten natürlich viele Todesopfer, aber im Lauf der Jahrtausende wurden die Menschen in Europa dadurch auch gegen viele Erreger immun. Als sie sich dann aber anschickten, in der Frühen Neuzeit den Rest der Welt zu erobern, brachten sie viele Erreger auch in die Neue Welt.

Es ist bekannt, dass die Indianer in Amerika nicht nur durch die Waffen der Europäer dezimiert wurden, sondern vor allem durch die Krankheitserreger. Natürlich kann man die Geschichte nicht nur dadurch erklären. Aber zumindest das grobe Muster der Menschheitsgeschichte – das letztlich bis heute nachwirkt.

Ein Kollege von Diamond, Laurence Smith, tätig am gleichen Institut in Los Angeles, führt den Gedanken nun fort und sagt: Durch den Klimawandel werden die nördlichen Regionen, die bisher noch etwas abseits des Weltgeschehens standen – Kanada, Skandinavien, der Norden Russlands – in den nächsten Jahrzehnten einen großen Boom erleben, was natürlich den Begriff „reicher Norden“ weiter am Leben halten würde.

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