Ich kann mir gut vorstellen, dass man als Fahrradkurier viel mitmacht und dass es auch eine körperliche Belastung ist. Richtig ist auch: Die körperliche Unversehrtheit ist ein verfassungsrechtlich garantiertes Grundrecht – sie steht in Artikel 2 des Grundgesetzes. Doch was bedeutet das nun rechtlich? Dabei sind mehrere Dinge zu beachten. Zum einen müssen wir zwischen Arbeitsschutzbestimmungen und dem verfassungsmäßigen Grundrecht unterscheiden. Für Sicherheit am Arbeitsplatz gibt es klare Vorgaben, z.B. in Bezug auf Lärm, aber auch in Bezug auf krebserregende Stoffe. Hinsichtlich des Lärms sind Sie als Fahrradkurier vermutlich weniger gefährdet als ein Arbeiter mit einem Presslufthammer – der sich aber natürlich mit einem entsprechenden Ohrenschutz schützen kann. Was die Autoabgase betrifft, sind Sie als Fahrradkurier vermutlich in einer ähnlichen Situation wie eine Verkehrspolizistin oder ein Arbeiter an einer Baustelle. Auch die sind ja Autoabgasen ausgesetzt, ohne dass dadurch die geltenden Arbeitschutzvorschriften verletzt sind. Jetzt könnte man sagen: Na gut, dann sind diese Vorschriften offenbar zu lasch – und mit Hinweis auf das verfassungsmäßige Recht auf Unversehrtheit eine Verschärfung fordern. Man könnte noch weiter gehen und sagen: Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gilt ja für alle Menschen – nicht nur am Arbeitsplatz. Es gilt auch für Kinder, die im Kinderwagen über die Straße geschoben werden. Und überhaupt: Könnte man mit Verweis auf dieses Grundrecht nicht gegen den Autoverkehr insgesamt klagen – schließlich kommen dabei jedes Jahr tausende Menschen ums Leben.
Ich habe zu dieser Frage Prof. Felix Ekardt von der Uni Rostock konsultiert – er ist ein anerkannter Experte für grundsätzliche Rechtsfragen im Umweltschutz. Er weist auf einen wichtigen Sachverhalt hin: Grundrechte gelten grundsätzlich nicht ausnahmslos und absolut. Sondern verschiedene Grundrechte können und müssen oft gegeneinander abgewogen werden. So wie es das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gibt, gibt es nun mal auch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das Recht auf Freizügigkeit und natürlich das Recht auf Freiheit der Berufsausübung. Und eine – im Extremfall – Abschaffung des Autoverkehrs würde die Freiheiten vieler Menschen erheblich einschränken. Und all diese Rechte sind gegen das Recht auf Unversehrtheit abzuwägen – und genau das würden Richter im Falle einer Klage tun. Und so hat auch die Politik – etwa wenn sie Arbeitsschutzvorschriften formuliert – hier durchaus entsprechende Freiräume. Aber es sind natürlich Entwicklungen vorstellbar: Angenommen, die Elektroautos können irgendwann in jeder Hinsicht mit Verbrennungsmotoren konkurrieren, könnte die Politik – oder theoretisch auch Richter - eines Tages sagen: Autoabgase, die aus Verbrennungsmotoren kommen, müssen angesichts bestehender Alternativen den Bürgern nicht mehr zugemutet werden – wir müssen sie verbieten. Es bleibt aber eine Abwägungssache – und man muss auch sagen: Auch Elektroautos sind nicht umweltneutral – sie müssen in Fabriken produziert werden. Es ist also nicht so, dass sie keine Umweltschäden anrichten, man ist ihnen nur nicht unmittelbar ausgesetzt.
Kann man überhaupt beweisen, dass Fahrradkuriere durch die Abgase gesundheitlich besonders gefährdet sind?
Es kommt darauf an: Zum einen können sie sich ja mit einem Mundschutz auch sehr wirksam schützen – das ist nachgewiesen. Und nachgewiesen ist auch – auch wenn das nicht so offensichtlich ist. Dass Autofahrer im Berufsverkehr selbst bei geschlossenem Fenster mehr Abgase einatmen als Menschen auf der Straße oder Fahrradkuriere – weil sich die Luft draußen nämlich schneller vermischt.