Einst ein medizinisches Fachwort, hat der Begriff "Trauma" längst Einzug gefunden in die Alltagssprache. Trotzdem wird über die Diagnose noch immer viel diskutiert.
Woher stammt der Begriff "Trauma"?
Im 19. Jahrhundert führte der junge Neurologe Hermann Oppenheim den Begriff ein. Er behandelte an der Berliner Charité Opfer von Eisenbahn- und Fabrikunfällen. Dabei fiel ihm auf, dass manche seiner Patienten neben körperlichen auch psychische Folgesymptome zeigten. Oppenheim sah darin ein eigenes Krankheitsbild – und bezahlte einen hohen Preis: Kollegen griffen ihn an und spotteten über ihn.
Heute ist klar: Viele Ereignisse können ein Trauma auslösen: ein bewaffneter Raubüberfall, ein schrecklicher Unfall, Misshandlungen, sexueller Missbrauch, Bombenhagel, Folter, Terroranschläge.
Der Begriff "Trauma" wird überstrapaziert
Bei zwei Dritteln der Betroffenen ebben Schock und Schmerz nach einer gewissen Zeit wieder ab und das Leben normalisiert sich. Bei einem Drittel jedoch hinterlässt das Erlebte so tiefe Spuren, dass das Leben aus der Bahn gerät. Sie haben ein Trauma.
In letzter Zeit wird der Trauma-Begriff oft etwas bedenkenlos benutzt; er dient als Erklärung für alle möglichen privaten oder beruflichen Schwierigkeiten. Doch es macht einen Unterschied, ob ein Mensch traumatisiert ist oder ob er eine schwere Situation im Leben meistern musste, die ihn belastet, etwa die Scheidung der Eltern, eine Trennung, berufliches Scheitern oder Mobbingerlebnisse.
Flashbacks bei PTBS
Menschen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung, kurz PTBS, leiden unter quälenden Flashbacks, die sie nicht kontrollieren können. Flashbacks sind innere "Rückblenden", in denen die traumatisierende Situation im Kopf immer wieder erlebt wird. Farben, Gerüche und Geräusche können Flashbacks erzeugen. Aber auch ohne Flashbacks können Traumatisierungen vorliegen. Allerdings sind sie schwerer zu diagnostizieren und werden oft übersehen.
Genaue Zahl der Traumatisierten in Deutschland ist unbekannt
Wie viele Menschen in Deutschland traumatisiert sind, ist nicht bekannt. Die meisten Krankenkassen erfassen die Fälle zusammen mit anderen sogenannten "affektiven Störungen". Zu ihnen gehören auch Depressionen und bipolare Störungen. Die AOK wiederum weist lediglich PTBS-Erkrankungen (posttraumatische Belastungsstörung) aus: Bei 180.000 Menschen wurde 2017 diese Diagnose gestellt. Die AOK hat aber keine Zahlen über Traumafolge-Erkrankungen. Sie unterscheiden sich von PTBS unter anderem darin, dass es bei ihnen nicht zu Flashbacks kommt.
Traumatisierung bei Kindern
Christine Heim vom Institut für Medizinische Psychologie leitet ein Forschungsprojekt: Es heißt „Kids to health". Mit einem interdisziplinären Team der Charité untersucht sie, wie sich traumatischer Stress auf Kinder auswirkt.
Die 86 Kinder der Berliner Kinderstudie haben das, was man eine schwierige Kindheit nennt. Ihre Eltern kümmern sich wenig um sie, sind schnell gereizt und werden leicht wütend. Zudem ist die finanzielle Lage der Familien oft angespannt.
Vergleich mit misshandelten Kindern
Um herauszufinden, wie sich dieser extreme und traumatisierende Stress auf die Kinder auswirkt, testeten die Forscherinnen, wie gut die Kinder sprechen, wie sie sich bewegen und über welchen Intelligenzquotienten sie verfügen.
Außerdem nahmen sie Speichelproben der Kinder und vermaßen ihre Gehirne in kindergerechten Magnetresonanztomographen. Die Ergebnisse verglichen sie mit einer gleich großen Gruppe von Kindern ohne Misshandlungserfahrungen.
Die psychiatrischen Interviews ergaben, dass von den Kindern mit Misshandlungserfahrung 60 Prozent eine psychiatrische Diagnose hatten, vorwiegend litten sie unter Ängsten. Bei der Kontrollgruppe waren 15 Prozent der Kinder betroffen. Außerdem fiel den Forscherinnen auf, dass die Kinder mit Misshandlungserfahrungen einen kleineren Hippocampus haben.
Kleiner Hippocampus und Erinnerungen
Der Hippocampus gehört zum limbischen System und besitzt Andockstellen für das Stresshormon Cortisol, das den Menschen in einer Stresssituation mit ausreichend Energie versorgt, um flüchten oder kämpfen zu können. Schüttet ein Mensch aufgrund von traumatischem Stress zu viel Cortisol aus, kann das den Hippocampus regelrecht vergiften.
Auch Erwachsene, die unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden, haben oft einen verkleinerten Hippocampus. Das könnte erklären, warum sie sich oft emotional taub fühlen, sich nur bruchstückhaft an das traumatische Ereignis erinnern und an Flashbacks leiden, denn der Hippocampus ist für Emotionen und die Gedächtnisbildung zuständig.
Traumatherapie mit Medikamenten?
Die Traumaforschung hat auch die Behandlung mit Medikamenten im Blick. Die Wissenschaftler hoffen, dass sich mithilfe ihrer Ergebnisse eines Tages Medikamente entwickeln lassen, die schädliche Prozesse im Gehirn und im Stresssystem von traumatisierten Menschen stoppen oder Schäden sogar rückgängig machen können. Dazu müssen sie aber noch genauer als bisher sagen können, was bei Traumatisierungen im Körper passiert. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Weitere Studien
Das Team um Stressforscherin Christine Heim an der Berliner Charité bereitet gerade die nächsten Schritte vor. In der ersten Kohorte wurden Kinder mit Misshandlungserfahrungen untersucht. In der zweiten Kohorte geht es um Flüchtlingskinder. In der dritten untersuchen sie Neugeborene von Müttern, die als Kind traumatisiert wurden. In der vierten Kohorte schließlich stehen Kinder mit Adipositas im Mittelpunkt. Möglicherweise, so die Vermutung, könnte diese Erkrankung auch auf Traumata zurückgehen.
Die Kinder der Berliner Kinderstudie bekommen Traumatherapien. In der Hoffnung, dass ihr Gehirn plastisch genug ist, um sich auch ohne Medikamente wieder zu regenerieren.
SWR 2019