Man könnte sagen, die Liebe zur Musik wurde Thomas Mann in die Wiege gelegt. Am 6. Juni 1875, vor 150 Jahren, wird er als zweiter Sohn des Lübecker Kaufmanns und Senators Thomas Johann Heinrich und seiner Frau Julia Mann geboren. Seine Eltern wird der Schriftsteller später in den Figuren von Thomas und Gerda Buddenbrook unsterblich machen.
Wie die leidenschaftliche Violinistin Gerda in „Buddenbrooks“ ist auch Manns Mutter überaus musikalisch. Julia Mann singt abends im Salon und spielt am Konzertflügel. „Kam der Abend“, erinnert sich Thomas Mann später, „so saßen wir stille im Sessel und lauschten, wie die Mutter am Flügel den sanften Liederreigen von Frauenliebe und -leben vorüberführte.“

Geiger und Autodidakt am Klavier
Thomas Mann selbst erhält als Kind Geigenunterricht und spielte das Instrument etwa bis zu seinem 40. Lebensjahr. In späteren Jahren bringt er sich darüber hinaus autodidaktisch das Klavierspielen bei.
Manns eigene Musikalität findet sich in seinen Figuren wieder: Der zwischen Künstlertum und Bürgerlichkeit zerrissene Tonio Kröger greift gerne zur Geige, ebenso Johannes Friedemann in „Der kleine Herr Friedemann“.
Ich begann damit, in Fis-dur-Akkorde zu greifen, weil ich die schwarzen Tasten besonders reizvoll fand, suchte mir Übergänge zu anderen Tonarten und gelangte allmählich […] zu einer gewissen Fertigkeit im takt- und melodielosen Wechsel von Harmonien.
Musikstunde Thomas Mann und die Musik (1-5)
Mit Christoph Vratz
Der Schriftsteller plant seinen Alltag hanseatisch akribisch durch: Den Vormittag verbringt er am Schreibtisch, dann folgen nach Spaziergang, Mittagessen und Ruhepause am Nachmittag die Korrespondenzen und Lektüren. Das Musizieren gehört für Thomas Mann zu den Abendbeschäftigungen – genauso wie das Musikhören: Eine beachtliche Sammlung an Schellack- und später Schallplatten nennt der Schriftsteller sein Eigen.
„Seine einzige aktive Beschäftigung mit Musik bestand bis ins hohe Alter, auch in Pacific Palisades, darin, gelegentlich am Flügel zu improvisieren“, erinnert sich später sein Enkel Frido Mann an die Zeit im Haus des Großvaters im kalifornischen Exil.
Verehrung für Wagners Musik
Ein guter Schüler war Thomas Mann nicht, vielmehr ein Tagträumer. Das Theater fasziniert ihn und besonders die Oper. Wagners „Lohengrin“ ist vermutlich die erste Oper, die er als 17-Jähriger auf der Lübecker Bühne sieht. Als er im Mai 1955 zum Ehrenbürger seiner Heimatstadt ernannt wird, ist es das Vorspiel aus eben jener Wagneroper, um das er für die Eröffnung zur Feierstunde bittet.
„Fragte man mich nach meinem Meister, so müßte ich einen Namen nennen, der meine Kollegen von der Literatur wohl in Erstaunen setzen würde: Richard Wagner“, erklärt Mann 1905 in seinen Essays.
So sehr Thomas Mann die Musik des „Meisters“ verehrt, so kritisch setzt er sich, beginnend in den Jahren des Ersten Weltkriegs, mit dem Künstlerkult um Wagner auseinander.
Wagner-Vorträge: Reise ohne Wiederkehr
Als Mann die Anfrage erhält, im Februar 1933 im Amsterdamer Concertgebouw einen Festvortrag zum 50. Todestag Wagners zu halten, erwächst daraus eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Komponisten im Spiegel des bürgerlichen 19. Jahrhunderts und eine Kritik am Wagnerschen Konzept des Gesamtkunstwerks. Mann verschriftlicht den Vortrag zu einem 52-seitigen Essay, betitelt „Leiden und Größe Richard Wagners“.
Von einer anschließenden Vortragsreise wird Thomas Mann nicht nach Deutschland zurückkehren. Während die neuen nationalsozialistischen Machthaber in München die Villa der Manns durchsuchen und seine Konten beschlagnahmen, befinden sich Thomas und Katia Mann im Schweizer Luftkurort Arosa.

Der Bruch mit seiner Heimat vollzieht sich auch in der Presse: In den „Münchner Neuesten Nachrichten“ erscheint ein Protestbrief gegen Mann, initiiert vom Direktor der Bayerischen Staatsoper Hans Knappertsbusch und unterschrieben von 45 Persönlichkeiten, unter ihnen Richard Strauss. Der Kult um Wagner ist im Jahr 1933 zum Nationalkult geworden. Manns Kritik am Komponisten wird als Kritik an der Überlegenheit der deutschen Kultur ausgelegt.
Die Bayreuther Festspiele bezeichnete Mann abfällig als „Hitlers Hoftheater“. Nach dem Zweiten Weltkrieg trug Wagners Enkel Franz Wilhelm Beidler, der wie Mann die Kriegsjahre im Exil verbracht hatte, ihm die Ehrenpräsidentschaft des Stiftungsrates der Festspiele an. Mann lehnte ab.
Forum Zauberbergzeit – Ist Thomas Manns Jahrhundertroman visionär?
Michael Köhler diskutiert mit
Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Borchmeyer, Germanist, München/Heidelberg
Dr. Caren Heuer, Direktorin Buddenbrookhaus, Lübeck
Prof. Dr. Frido Mann, Theologe, Psychologe, Autor, München
Die Musik in Manns Romanen
Thomas Manns Musikalität wird in seinen Werken immer wieder offenkundig. Etwa in der bedeutungsvollen Beschreibung des Erlebens von Wagners Liebesmotivs aus „Tristan und Isolde“ an einem Klaviernachmittag in Manns Novelle „Tristan“. Oder in der Einführung zum „Zauberberg“, in der Mann sein musikalisches Konzept für den Sanatoriumsroman erklärt:
Der Roman war mir immer eine Sinfonie, ein Werk der Kontrapunktik, ein Themengewebe, worin die Ideen die Rollen musikalischer Motive spielen.
Der Komponist im faustischen Wahn
Insbesondere stellt Mann die Musik und das musikalische Schaffen in den Mittelpunkt seines Romans „Doktor Faustus“. Es ist der Versuch des Exilanten Mann, den „deutschesten der Stoffe“ mit der „deutschesten der Künste“, der Musik, zu verbinden.
Im Roman verschreibt der Tonsetzer Adrian Leverkühn sich dem Teufel, um musikalische Genialität zu erlangen. Mithilfe einer neuen Kompositionstechnik soll er es schaffen, aus dem übergroßen Schatten Wagners zu treten. So ist es im Roman Leverkühn – und nicht Arnold Schönberg – der zum Schöpfer der Zwölftonmusik wird.
Gleichzeitig macht Thomas Mann seinen Roman zu einem Sittengemälde der deutschen Kulturproduktion im Schatten des Nationalsozialismus. Seinen „Parsifal“ nannte der Schriftsteller den Roman in einem Brief an seinen Sohn Klaus. Auch im Exil ist Thomas Mann, zumindest zu einem gewissen Teil, Wagnerianer geblieben.