16,, 17. und 18. Mai 2025

Digitales Programmheft zum Kammerkonzert

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KONZERTTERMINE

FR 16. MAI 2025, 20 UHR
Freiburg, Konzerthaus, Runder Saal
SA 17. MAI 2025, 20 UHR
Baden-Baden, Museum Frieder Burda
SO 18. MAI 2025, 16 UHR
Stuttgart, Neues Schloss, Weißer Saal

PROGRAMMFOLGE

FAZIL SAY (*1970)
"
ALEVI DEDELER RAKI MASASINDA" (ALEVITEN-VÄTER AM RAKI-TISCH) FÜR BLÄSERQUINTETT OP. 35
Andantino tranquillo – Presto fantastico
Andante tranquillo – Moderato
Andantino
Presto – Andantino
ca. 14’

JEAN FRANÇAIX (1912-1997)
BLÄSERQUINTETT NR. 1
Andante tranquillo – Allegro assai
Presto – Trio. Un poco più lento
Tema con variazioni
Tempo di marcia francese
ca. 18'

Matvey Demin, Flöte
Anne Angerer, Oboe
Ivo Ruf, Klarinette
Hanno Dönneweg, Fagott
Jonas Gira, Horn

Pause

Antonín Dvořák (1841-1904)
QUINTETT FÜR ZWEI VIOLINEN, VIOLA, VIOLONCELLO UND KONTRABASS G-DUR OP. 77
Allegro con fuoco – Più mosso
Scherzo. Allegro vivace – Trio. L’istesso tempo, quasi allegretto
Poco andante – L’ istesso tempo
Finale. Allegro assai
ca. 18'

Stefan Bornscheuer und Katrin Melcher, Violine
Paul Pesthy, Viola
Ulrike Hofmann, Violoncello
Konstanze Brenner, Kontrabass

WERKEINFÜHRUNGSTEXTE

"Redner und Rednerinnen"
Alevi Dedeler rakı masasında von Fazıl Say

Fazıl Say ist in erster Linie als Pianist bekannt. Mit breitem Repertoire konzertiert er regelmäßig und weltweit mit solch renommierten Orchestern wie den New Yorker Philharmonikern, den Wiener Symphonikern oder dem Concertgebouw Amsterdam. Auch mit der Kammermusik hat Say Erfahrungen: Im festen Duett spielt er mit der Geigerin Patricia Kopatchinskaja, die in dieser und der kommenden Saison "Artistic Partner" des SWR Symphonieorchesters ist. Wie Kopatchinskaja will Say mithilfe der Musik nicht nur die Herzen wärmen; er will auf Missstände verweisen, auch mal unbequem sein mit Worten und Tönen. Mit seiner Kritik an seiner Heimat Türkei begibt er sich auf vermintes Terrain. Als er sich als selbsternannter "Atheist" gegen die Auswüchse des Islam und gegen eine politische Vereinnahmung der Religion wendet, wird er verurteilt. 2013 spricht ein Gericht in Istanbul eine zehnmonatige Bewährungsstrafe aus. Der Grund: Gotteslästerung.

Von der Blasphemie zum Bläserquintett: Auch in dieses "Alevi Dedeler rakı masasında" (Aleviten-Väter am Raki-Tisch) spielt die Politik hinein. Aleviten sind eine heterodoxe islamische Minderheit, die in der Türkei unter dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan unterdrückt wird; im Jahr 2023 begnadigt Erdoğan kurzerhand einen der Haupttäter eines Brandanschlags auf ein alevitisches Kulturfest. Ein Fest ist auch dieses Quintett: eine ausgelassene Komposition, die gewürzt ist mit vielen spritzigen Dialogen, mit orientalischen Melodien, mit Taktwechseln und Virtuosität.

Zu Beginn herrscht noch einstimmiger Konsens, doch dann nehmen Diskussionen und lebendiger Meinungsaustausch gehörig Fahrt auf. Oder anders: Der verbotene Raki entfaltet seine Wirkung. Doch das Quintett gerät nicht vollends aus den Fugen. Immer wieder arbeitet Fazıl Say mit rhythmischen Zellen. Im ersten Satz breitet das Fagott einen Teppich aus mit durchlaufenden Begleitmustern, die eine Grundlage bilden für die quirligen Kommentare von Querflöte, Oboe und Klarinette. Nur im dritten Satz, einem Andantino, scheint eine gewisse Diskussions-Müdigkeit einzutreten, vielleicht ist es auch eine alevitische Melancholie. Im letzten Satz ist die Energie jedenfalls wieder da: Kollektive ebenso schnelle wie virtuose "Perpetuum Mobile"-Figuren sind es nun, die dem Hauptredner das Feld überlassen. In diesem ist es die Oboe – und eine Rednerin: Anne Angerer, Solo-Oboistin im SWR Symphonieorchester. In dieser Rolle, wenn man so will: eine emanzipierte Rednerin inmitten einer alevitischen Männer-Gesellschaft.

ber Wurzeln stolpern."
Das erste Bläserquintett von Jean Françaix         

"Man hat mir den Stempel ‚leichtfertiger Komponist’ aufgedrückt, während ich doch jede Note streng überwache, die aus meiner Feder kommt." Jean Françaix bringt es auf den Punkt. Im 20. Jahrhundert sind Anspruch und unbedingter Fortschritt großgeschrieben. Es ist die Zeit der Avantgarde, die wie die gleichnamige militärische Vorhut nach vorn drängt, um neue Gebiete zu erkunden. Rabiat geht es Mitte des 20. Jahrhunderts zu. Längst gibt es die "Atonalen", also Komponisten, die – wie Arnold Schönberg – den Quintenzirkel mit seinem Dur- und Moll-System hinter sich gelassen haben. In Frankreich wiederum macht – just als Françaix mit seinem Bläserquintett beschäftigt ist – die "Geräuschmusik" auf Tonband Furore, die "Musique concrète".

Jean Françaix hält trotz aller Experimente der Kollegen im In- und Ausland unbeirrt an seinem neoklassizistischen Stil fest. Und dies ist ein Stil voller Esprit und voller Witz. Das Andante zu Beginn bricht einfach ab – ganz so, als würde sich der Komponist plötzlich bewusst werden, einen falschen Beginn gewählt zu haben. Françaix "korrigiert" sich in einem zweiten Anlauf: einem Allegro Assai, das an Frische seinesgleichen sucht. Geschrieben wurde das Quintett für Bläser des Pariser Nationalorchesters. Doch lang lag es in der Schublade. Erst etwa sechs Jahre nach der Vollendung kam es in Paris zur Uraufführung. Für die Verspätung könnte die Virtuosität des Stücks gesorgt haben. Diese ist nicht nur in vielen rasanten Läufen gefordert, sondern auch im Bereich der rhythmischen Feinarbeit, die im Kollektiv minutiös geprobt werden muss. Jean Françaix bemerkte dazu augenzwinkernd: "Obwohl ich von Natur aus sehr friedfertig veranlagt bin, gab ich mir beim Komponieren redlich Mühe, möglichst bösartig zu erscheinen. Und es ist mir gelungen! Die Herren mussten sich – verfolgt von den Verwünschungen ihrer Nachbarn – in eine sechsmonatige Klausur begeben, um das Stück einzustudieren."

Besonders "bösartig" sind die Variationen des dritten Satzes. Ungeheuer vertrackt ist die Rhythmik in einigen der fünf Variationen. Aber es ist auch nicht gerade freundlich, von Bläsern ein dreifaches Pianissimo zu fordern, wie es Françaix in der zweiten Variation vorschreibt. Schnell kann hier der Luftstrom abbrechen; für die Interpreten ist es letztlich ein Vabanque-Spiel. Seinem Naturell entspricht am Ende auch der letzte Satz, ein "Tempo di marcia francese". Es ist nur sehr vordergründig ein Marsch. Eher scheint es, als mache sich Françaix über den französischen Militarismus und Patriotismus lustig. Kaum deutlicher kann Musik die Aussage untermalen, dass hier ein Komponist am Werk ist, der – so Françaix – "lieber auf Waldwegen als auf Autobahnen unterwegs" ist. Über Wurzeln zu stolpern ist hier jedenfalls einkomponiert.

Ein Meilenstein und ein Bravourstück
Das Streichquintett G-Dur op. 77 von Antonín Dvořák

Für besondere Kompositionen haben Musikwissenschaftler ihre Begriffe gefunden: Von "Schlüsselwerken" ist die Rede, von "Hauptwerken" oder auch von "Durchbruchswerken". Antonín Dvořáks Streichquintett ist eines der Stücke, für die alle drei Termini zutreffen: Es ist ein Schlüsselwerk der Kammermusik des 19. Jahrhunderts, es zählt zu den Hauptwerken Dvořáks und: Es ist zweifelsohne ein Quintett, das der Karriere des böhmischen Komponisten gehörigen Vorschub verlieh.

Dvořák schreibt das Stück in sehr kurzer Zeit, etwa zwischen Januar und März des Jahres 1875. Danach reicht er es ein zu einem Prager Kammermusik-Wettbewerb. Die Jury ist begeistert. Sie begründet den ersten Platz mit Worten, die den etwa 35-jährigen Komponisten in die Sphären eines "Großmeisters" hieven: Dvořáks Quintett überzeuge – so die Jury – sowohl durch "klar unterschiedene Themen", durch "technisch geschickte Polyphonie", durch "Formvollendung" und schließlich durch "genaue Kenntnis" der Instrumente.

Schon der erste Klangeindruck ist besonders: Im Gegensatz zur traditionellen Streichquintett-Besetzung mit zwei Violinen, zwei Bratschen und einem Cello entscheidet sich Dvorák für einen Kontrabass anstelle der zweiten Bratsche. Unmittelbar kommt dem Hörer ein orchestraler Sound in den Sinn. Mit der Kontrabass-Entscheidung vergrößert sich der Raum, aber er verschiebt sich auch: Das Cello, das ansonsten fürs Bass-Fundament zuständig ist, erhält mehr Freiheiten. Immer wieder mischt es sich in die Kommunikation der höheren Streicher ein. Bezaubernd sind auch die immer wiederkehrenden solistischen, warm-lyrischen Melodien.

Der melodische Einfallsreichtum hatte auch Johannes Brahms beeindruckt, der Dvořáks Musik schon 1874 begegnete und zu einem großen Förderer des acht Jahre jüngeren Kollegen wurde. In diesem Quintett ist das Themen- und Melodien-Repertoire nochmals erweitert. Es ist ein Meilenstein in der Zeit zwischen 1770 und 1780, die als "slawische Phase" gilt (kurz nach dem Quintett schreibt Dvořák übrigens seine bekannten "Slawischen Tänze" für Klavier zu vier Händen). Besonders klar kommt der "neue Stil im Volkston" im Scherzo und im Finale zum Ausdruck. Das Finale ist wie das gesamte Quintett ein Bravourstück. Übrigens auch für den Kontrabass – im heutigen Konzert gespielt von unserer Solo-Bassistin Konstanze Brenner –, der längst nicht mehr nur den Zement rührt fürs stabile Bassfundament.

Torsten Möller ∙ studierte an der Berliner Humboldt-Universität Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Soziologie. Mit dem Schwerpunkt auf der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts ist er freiberuflich tätig für Radio (SWR Kultur, Deutschlandfunk) und Print (Schweizer Musikzeitung, MusikTexte). In Essen unterrichtet Torsten Möller das Fach Musikjournalismus an der dortigen Folkwang Universität der Künste.

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Impressum
Sabrina Haane, Gesamtleitung SWR Symphonieorchester
Dr. Henning Bey, Künstlerische Planung
Tabea Dupree, Redaktion SWR Kultur
Henrik Hoffmann, Redaktion Programmheft

Sämtliche Texte sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.

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Autor/in
SWR