SWR Symphonieorchester

François-Xavier Roth im Gespräch

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Sabrina Haane: Lieber François, wir haben uns in den vergangenen zwei Jahren bei all unseren Planungsgesprächen immer wieder über die spezifischen Charakteristika des SWR Symphonieorchesters ausgetauscht. Kannst du unserem Publikum erklären, welche Eigenschaften des Orchesters dich dazu bewogen haben, unserem Ruf zu folgen? Was macht das Symphonieorchester für dich so besonders und worin unterscheidet es sich von anderen Orchestern?

François-Xavier Roth: Als ich während der Corona-Pandemie erstmals im Rahmen einer Studioproduktion am Pult des SWR Symphonieorchesters stand, wurde mir sofort bewusst, welche großartigen Möglichkeiten dieses Orchester bietet. Dieser Eindruck hat sich bei der Zusammenarbeit mit Mahlers siebter Sinfonie bei den Pfingstfestspielen 2023 in Baden- Baden nur noch verstärkt. Hier hatte sich innerhalb weniger Jahre nicht nur ein fantastisches Orchester zusammengefunden, nein, es war viel mehr: Das, was die Musikerinnen und Musiker mir anboten, entsprach exakt meinem persönlichen Ideal eines Orchesters.

Das musst du näher ausführen. Was ist für dich ein ideales Orchester?

Es gibt heute viele Orchester mit ausgezeichneter Qualität und hoher Spielkultur, die aufregende Projekte realisieren. Das SWR Symphonieorchester zeichnet sich darüber hinaus durch eine unverwechselbare DNA aus. Nur wenige Klangkörper weltweit beherrschen die historische Aufführungspraxis auf diesem Niveau und interpretieren Werke der Barockzeit und Wiener Klassik so überzeugend. Gleichzeitig verfügen die Mitglieder des SWR Symphonieorchesters über ein enormes Wissen im Umgang mit der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Es hat mit zahlreichen Komponistinnen und Komponisten zusammengearbeitet, ist ungemein flexibel und im besten Sinne des Wortes ein Chamäleon, das sich blitzschnell neuen Herausforderungen anpassen kann. Auch das entspricht meinem Ideal eines Orchesters: eine starke eigene Identität, bei der dennoch stets der Wille der Komponistin oder des Komponisten im Zentrum steht.

Darf ich aus diesen Sätzen schließen, dass du in den kommenden Jahren wieder verstärkt Werke des 17., 18. und frühen 19. Jahrhunderts aufs Programm setzen möchtest?

Ja, unbedingt. Es gilt heutzutage nahezu als Tabu, Werke von Haydn oder Schubert mit modernen Sinfonieorchestern aufzuführen. Ich möchte aber genau diesem Repertoire einen festen Platz in unseren Programmen einräumen, und ich bin überzeugt, dass das Orchester hierzu der ideale Klangkörper ist. In diesem Zusammenhang möchte ich auch die herausragende Arbeit meines Vorgängers Teodor Currentzis würdigen. Er hat dieses Orchester zusammengeführt und einen Klangkörper geformt, der über eine beeindruckende Vielfalt an musikalischen Ausdrucksmitteln verfügt.

Beim Blick auf die neue Spielzeit fällt auf, dass eine Gattung in den Fokus rückt, die für unser Orchester in gewisser Weise musikalisches Neuland bedeutet. Wir haben in den vergangenen Jahren zwar immer wieder Kammeropern bei den Schwetzinger SWR Festspielen zur Aufführung gebracht, aber mit dem ersten Aufzug von Wagners "Walküre" in einem Abonnementkonzert und dem kompletten "Rosenkavalier" bei den Pfingstfestspielen Baden-Baden nimmst du zwei Opernschwergewichte ins Programm deiner Antrittssaison. Welche Ideen stehen dahinter?

Das naheliegende Argument vorweg: Für ein Orchester ist es von elementarer Bedeutung, regelmäßig mit dem Opernrepertoire in Berührung zu kommen. Die Arbeit mit Sängerinnen und Sängern erfordert noch mehr Flexibilität als reine Instrumentalmusik, und auch der szenische Kontext stellt besondere Anforderungen. Aber das ist eigentlich banal. Viel entscheidender für mich ist: Ein Komponist wie Wagner hatte mit seinem OEuvre enormen Einfluss auf nachfolgende Komponistengenerationen. Wir kombinieren ihn mit Wolfgang Rihm, der für mich persönlich ein Wagner des 21. Jahrhunderts war. Auch er war eine musikalisch unglaublich reiche und allumfassende Persönlichkeit. Diese Gegenüberstellung ist für mich wie ein musikalischer Spiegel, der eine große Faszination auf mich ausübt.

Strauss hat mit dem "Rosenkavalier" ein Werk geschrieben, das nie so aufgeführt werden kann, wie es die Partitur eigentlich verlangt. Das Orchester ist so groß besetzt, dass kein Operngraben dieser Welt dafür ausreichend Platz bietet. Um die Partitur des "Rosenkavaliers" in all ihrer Brillanz und Farbigkeit zum Leuchten zu bringen, lassen wir das Orchester auf der Bühne spielen. Dadurch rückt es nicht nur visuell, sondern auch klanglich stärker in den Mittelpunkt – und macht Feinheiten hörbar, die im normalen Opernbetrieb oft untergehen.

Kommen wir auf dein Antrittskonzert im September zu sprechen. Du sagtest bei unseren Planungsgesprächen, dieses Programm müsse ein Statement sein. Worin besteht genau dieses Statement?

Gleich zu Beginn möchten wir zeigen, wofür die eingangs beschriebene DNA unseres Orchesters steht. Ich möchte die ganze Bandbreite, die dieses wunderbare Orchester zu bieten hat, unserem Publikum präsentieren. Ein Programm also vom Barock über die Romantik bis in die Moderne. Der französische Barockkomponist Jean-Féry Rebel hat mit seiner Symphonie nouvel "Les élémens" sein Publikum provoziert, wenn nicht sogar schockiert. Seine Musik ist ungemein modern und weist harmonisch weit in die Zukunft, ist zugleich aber eine Ode an den Tanz, eine Gattung, die die Franzosen seit Ludwig XIV. bis heute lieben. Die Sinfonia von Berio ist schon ein Statement an sich, und zwar vom Komponisten selbst, da zu seiner Zeit immer die Frage im Raum stand, ob man überhaupt noch Sinfonien komponieren könne. Er hat es getan, und zwar in einer sehr überzeugenden Art und Weise. Mit der Aufführung seiner Sinfonia erweisen wir Luciano Berio zu seinem 100. Geburtstag die Ehre. Dieses Programm ist aber ganz generell eine Hommage an die Sinfonie, denn den Abschluss macht Schuberts C-Dur-Sinfonie. Beklagte sich das Uraufführungspublikum noch über vermeintliche Längen, gilt seine "Große" längst als ein Meisterwerk, als die perfekte Sinfonie.

SWR Symponieorchester unter der Leitung von François-Xavier Roth
François-Xavier Roth und das SWR Symponieorchester im Festspielhaus Baden-Baden bei den Pfingstfestspielen 2022

Beim Blättern durch die Saisonbroschüre erweist sich die Gegenüberstellung von alt und neu als roter Faden, der sich durch all deine Programme zieht. Hierfür ist sicherlich auch ein Grund, dass sowohl das Symphonieorchester als auch du enge Kontakte zu vielen noch lebenden Komponist: innen habt. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie wir Wolfgang Rihm zum 70. Geburtstag gratulierten. Und gleiches haben wir im November 2025 mit Helmut Lachenmann vor, der im Konzert mit uns seinen 90. Geburtstag feiern wird.

Es ist für uns eine besondere Ehre, diesen Tag mit Helmut Lachenmann verbringen zu dürfen. Er ist einer der bedeutendsten Komponisten unserer Zeit und – nicht zu vergessen – er ist Stuttgarter. Er liebt das Orchester, stand mit ihm vor einigen Jahren als Sprecher eines eigenen Werkes auf der Bühne. Und er liebt Beethoven. Deshalb kombinieren wir "Ausklang", seine Musik für Klavier mit Orchester, mit Beethovens Siebter, ebenfalls eine Ode an den Tanz und die Freude.

Als gebürtiger Franzose hast du für deine Antrittssaison auch ein Programm konzipiert, das ausschließlich auf Komponisten aus deiner Heimat setzt: Debussy, Manoury und Ravel. Was ist bei diesem Programm das verbindende Element?

Es ist kein Geheimnis, dass mir französische Musik besonders am Herzen liegt. Das zentrale verbindende Element in diesem Programm ist jedoch ein Instrument, das mich seit jeher fasziniert und das ich selbst studiert habe: die Flöte. Sie steht in allen drei Werken im Mittelpunkt – sowohl bei Debussys "Prélude a l'après midi d’un faune" als auch bei Ravels Ballettmusik zu "Daphnis et Chloé". Und ganz besonders im Flötenkonzert von Philippe Manoury. Für dessen Solopart konnten wir Emmanuel Pahud gewinnen, mit dem mich seit Studienzeiten eine enge Freundschaft verbindet. Als ich mein Abschlussexamen am Pariser Konservatorium auf der Flöte machte, saß er übrigens – schon damals Mitglied der Berliner Philharmoniker – in der Jury. Das französische Repertoire war immer Teil meiner Kultur. Ich freue mich außerordentlich darauf, es mit dem SWR Symphonieorchester zu erarbeiten. Ich sehe schon jetzt ein Feuerwerk der Farben, das das Orchester entzünden wird.

In unseren gemeinsamen Planungsgesprächen ging es aber nicht nur um programmatische Ideen, sondern auch um neue Konzertformate, die du mit dem SWR Symphonieorchester entwickeln möchtest. Um welche Formate handelt es sich dabei und welche grundlegende Idee verbirgt sich dahinter?

Unsere gemeinsame Vision für die nächsten Jahre ist es, die Musik möglichst zu allen Menschen im Sendegebiet des SWR, aber auch darüber hinaus zu bringen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Musik, mit der wir uns täglich beschäftigen, nicht nur für eine kleine, privilegierte Minderheit, sondern für alle Menschen von Bedeutung sein sollte. Gerade in einer Welt, die wir zunehmend als fragil, wild und unsympathisch empfinden, können wir mit der Musik etwas geben, was wir alle brauchen: Dialog, zuhören und teilen. Das ist die Basis für gemeinsames Musizieren, aber auch für ein menschliches Miteinander. Daher möchten wir initiativ Projekte ins Leben rufen, mit denen wir Menschen ein neues Licht im Leben schenken können.

Damit sprichst du dem SWR Symphonieorchester aus dem Herzen, da es sich schon seit vielen Jahren intensiv der Musikvermittlung widmet. Mit welchen Projekten möchtest du unsere bisherigen Angebote ausbauen?

François-Xavier Roth
François-Xavier Roth

Ich möchte gemeinsam mit unserem Orchester in Schulen und soziale Einrichtungen gehen und sie ebenso zu uns einladen. Gleichzeitig möchte ich aber auch die Möglichkeiten einer modernen Rundfunkanstalt nutzen, um digitale Formate zu entwickeln, die Teil des Schulunterrichts werden. So sollen alle Kinder in Baden-Württemberg wissen, dass es das SWR Symphonieorchester gibt, sollen wissen, was wir tun und dass wir es auch für sie tun. Die Bedeutung von Musikvermittlungsangeboten kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie sind genauso wichtig wie unsere "regulären" Konzerte. Daher möchte ich mich ganz aktiv hier einbringen, sie sozusagen zur Chefsache machen – und diese Angebote in den kommenden Jahren kontinuierlich ausbauen.

Deine Fähigkeiten als Hobbykoch sind legendär. Rührt aus dieser Leidenschaft die Idee zum neuen Format "Dans la cuisine du chef"? Wo siehst du die Verbindung zwischen gutem Essen und klassischer Musik?

Die Parallelen liegen auf der Hand. Ein Komponist muss wie ein Koch virtuos aus einer Vielzahl von Zutaten ein großes Ganzes komponieren bzw. kreieren. Und dabei kommt es immer auf die gekonnte und möglichst raffinierte Mischung an. Wagner und Strauss sind Paradebeispiele hierfür. Und so möchte ich im Rahmen von "Dans la cuisine du chef" mit unserem Publikum in die einzigartigen Rezepturen großer Meisterwerke eintauchen, verschiedene Schichten freilegen, um zu zeigen, mit welchen Ingredienzien Komponisten wie Debussy, Haydn oder Beethoven ihre Werke anrührten und zur Vollendung brachten.

Lieber François, ganz herzlichen Dank für diese Einblicke in deine Pläne für die kommenden Jahre mit dem SWR Symphonieorchester. Wir freuen uns schon sehr darauf.

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