Instrument des Jahres 2025

So funktioniert unsere Stimme

Stand
Autor/in
Julian Camargo
Onlinefassung
Jennifer Silaghiu

Das Instrument des Jahres 2025 ist die Stimme. Damit haben die Landesmusikräte eine besondere Entscheidung getroffen, denn dieses Instrument kann man nicht kaufen, es gibt keine Marken und die meisten benutzen es jeden Tag.

Luft bringt Stimmlippen zum Klingen

Die menschliche Stimme: Es gibt wohl kein Instrument, bei dem jedes Modell so unterschiedlich klingt. Außerdem trägt es jeder in sich, man muss es nicht käuftlich erwerben.

Es kommt zum Klingen, wenn Luft aus der Lunge oben im Kehlkopf die Stimmlippen zum Schwingen bringt. Umgangssprachlich spricht man oft von Stimmbändern, die gibt es auch, die sind aber nur ein Teil der Stimmlippen, die den Ton erzeugen.

Beim Einatmen sind die Stimmlippen geweitet und wenn wir Töne erzeugen, werden sie enger und kommen ins Schwingen. Dieses Töne werden dann vor allem durch Mund, Zunge und Lippen geformt und so entstehen verschieden Vokale und Konsonanten.

Grafik, die geöffnete und geschlossene Stimmlippen zeigt
Geöffnete Stimmlippen beim Einatmen (links) und verengte Stimmlippen, während der Erzeugung von Tönen (rechts)

Stimmlippen bestimmen auch Tonhöhe

Grundsätzlich gilt: Je kleiner die Stimmlippen, desto höher der Ton. Bei einem Neugeborenen sind die Stimmlippen etwa sechs Millimeter lang, bei einer erwachsenen Sopranstimme sind es um die 15 und bei einem tiefen Bass, können es auch mal 25 Millimeter sein sein.

Der Stimmumfang eines Menschen liegt je nach Training in der Regel zwischen anderthalb und zweieinhalb Oktaven. Umfänge über drei Oktaven sind sehr selten, aber es gibt sie. Ganz berühmt ist etwa Mariah Carey mit fünf Oktaven Stimmunfang:

Extreme: Ganz hoch und ganz tief

Die ganz hohen Töne, die Mariah Carey zum Beispiel im Lied „Emotions“ singt, befinden sich im sogenannten Pfeifregister. Das kommt übrigens auch in einer der bekanntesten Arien der europäischen Klassik vor – in der Arie der Königin der Nacht aus Mozarts Zauberflöte:

The Magic Flute – Queen of the Night aria (Mozart; Diana Damrau, The Royal Opera)

Die tiefste Stimme der Welt hat laut Guinness Buch der Rekorde der Amerikaner Tim Storms. Den Rekord hat er aufgestellt mit einem Ton von – Achtung – unter einem Hertz. Eigentlich kann man das keinen Ton mehr nennen, bei der Frequenz bleibt nur ein langsames Knacken. Davon gibt es auch keine Aufnahme, aber es gibt ein YouTube-Video, in dem Tim Storms singt, auch schon beeindruckend genug:

Man With WORLD'S LOWEST VOICE Sings "Lonesome Road"

Mit Gesangstechnik zu mehr Lautstärke

Neben hohen und tiefen Stimmen gibt es noch ein prominentes Gegensatzpaar: Leise und laut. Beim klassischen Operngesang etwa muss die Stimme ohne Verstärkung im ganzen Opernsaal hörbar sein und nicht nur das: Eine einzelne Person muss es schaffen, gegen ein ganzes Orchester anzusingen:

The Barber of Seville - 'Largo al factotum' (Rossini; Vito Priante, The Royal Opera)

Diese Lautstärke, und damit verbunden der typische klassische Stimmklang, gelingt mit komplexen Gesangstechniken. Stark vereinfacht kann man sagen: Das Geheimnis liegt in Resonanzen und Obertönen.

Mit Obertönen nicht heiser werden

Das Frequenzspektrum eines Orchesters zum Beispiel fällt ab etwa 500 Hertz rasch ab. Beim klassischen Gesang hingehen, sind die Frequenzen oberhalb von 500 Hertz noch sehr präsent. Und das gilt auch bei tiefen Tönen, die eigentlich unter 500 Hertz liegen.

Denn: Die hohen Frequenzen kommen durch Obertöne zustande, die über dem eigentlichen Grundton mitklingen. So kann sich eine Stimme gegen ein Orchester akustisch durchsetzen. Und zwar auf eine gesunde Art und Weise. Denn mit der richtigen Technik sind Profis nach einer Opernaufführung nicht heiser. 

Das andere Extrem ist ein Gesangsstil, bei dem ganz leise gesungen wird und die Stimme danach sehr verstärkt wird. Das lässt die Stimme sehr weich, nah und intim wirken, fast als würde einem jemand ins Ohr flüstern. Weltberühmt ist damit die amerikanische Popsängerin Billie Eilish geworden:

Billie Eilish - when the party's over (Official Music Video)

Achtung! Stimmbandknötchen!

Im Jazz und Pop klingen viele Sängerinnen und Sänger auch ohne eine besondere Gesangstechnik gut. Doch das kann dann zu Problemen führen, wenn sie plötzlich viel singen müssen, etwa weil sie berühmt werden und auf Tour gehen.

Dann können Stimmbandknötchen entstehen, das sind Verdickungen vergleichbar mit Hornhautschwielen an der Hand. Im schlimmsten Fall müssen die wegoperiert werden und in der Popwelt passiert das regelmäßig, unter anderem geschehen bei Justin Timberlake oder Adele.

Metal-Musik setzt auf gutturalen Gesang

Mit der richtigen Technik hingegen, kann man sogar gesund Metal singen. Das sogenannte growling basiert auf gutturalem Gesang, also Kehlgesang:

Opeth - The Lotus Eater (Audio)

Neben Metal kommt der Kehlgesang auch in der mongolischen Volksmusik, beim Obertongesang und beim alpenländischen Jodeln vor. Der Schweizer Christian Zehnder hat viele dieser Gesangstechniken studiert und gemeistert: Er ist klassischer Bariton, Obertonsänger, Jodler und macht mit all diesen Techniken sehr kreative Musik:

Keine Angst vor künstlichen Stimmen

Die Stimme ist das Instrument des Jahres 2025 – und sie ist vermutlich das letzte Instrument, von dem es bisher keine wirklich gute Software-Version gibt. Das wird sich ändern.

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Ist das ein Grund zur Sorge? Vielleicht. Aber andererseits stehen in Konzerthäusern auch noch echte Flügel, obwohl es E-Pianos gibt. Vielleicht bekommen wir ja auch durch die Existenz von künstlichen Stimmen eine neue Wertschätzung für das Echte, für das Menschliche.

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Jennifer Silaghiu