INHALT
Termin
Zusatzinformation
Besetzung
Programm
Interview
Programmtext
Interpreten
Festspielkalender
Service
TERMIN
Dienstag, 6. Mai 2025, 20 Uhr, und Mittwoch, 7. Mai 2025, 20 Uhr
Rokokotheater, Schloss Schwetzingen
Einführung mit Florian Vogel (Künstlerischer Leiter des Kleist Forums) um 19 Uhr, Kammermusiksaal
ZUSATZINFORMATION
Produktion des Kleist Forums Frankfurt (Oder)
Uraufführung: 9. Februar 2024
Ausgezeichnet mit dem italienischen Danza & Danza Award 2025
BESETZUNG
Friedemann Vogel Tanz, Konzept, Choreografie
Thomas Lempertz Konzept, Choreografie, Kostüme, Raum
Alisa Scetinina Komposition, Live-Musikerin
Timo Kreitz Digital Artist
Henry Winter Licht
PROGRAMM
Die Seele am Faden
Tanzperformance nach der Erzählung Über das Marionettentheater von Heinrich von Kleist (1777 – 1811)
Florian Vogel im Gespräch mit Thomas Lempertz und Friedemann Vogel
Thomas, schon seit einigen Jahren beschäftigst du dich mit Kleists Essay Über das Marionettentheater. Was bewegt dich an diesem Text?
Thomas Lempertz: In Kleists Aufsatz geht es um natürliche Anmut und welchen Einfluss das Bewusstsein und die Selbstreflexion darauf haben. Ich habe diesen Text oft gelesen und immer wieder neue Verbindungen zu meinem Leben und meiner Arbeit entdeckt. Das war der Ausgangspunkt der Performance. Vor allem beschäftigt mich das Thema der Marionette. Denn als Tänzer habe ich mich immer wieder selbst wie eine gefühlt. Man führt vorgegebene Bewegungen aus, man wird gesteuert wie die Marionette vom "Maschinisten". Ist diese Marionette frei? Hat sie Verstand? Hat sie ein Bewusstsein? Hat sie eine Seele? Wie lässt sich das auf einen Tänzer übertragen?
In jungen Jahren schrieb Kleist an einen Freund: "Jede erste Bewegung, alles Unwillkürliche, ist schön; und schief und verschroben ist alles, sobald es sich selbst begreift. O der Verstand!". Das heißt, alles Unwillkürliche ist schön und sobald sich der Verstand einschaltet, wird es schräg. Dieser Gedanke spielt später in seinem Essay eine zentrale Rolle. Friedemann, welche Rolle spielt der Verstand für dich beim Tanzen?
Friedemann Vogel: Tanzen ist meine Art der Kommunikation. Mein Körper ist das Instrument meiner Seele. Ich will mit meinen Bewegungen etwas ausdrücken, will Menschen emotional erreichen, und das hat natürlich etwas mit meinem Verstand zu tun. Eine Marionette kann das nicht: Sie kann Schönheit darstellen, reine Ästhetik – aber das ist technisch und hat nichts mit Kunst zu tun. Denn das, was Kunst eigentlich will, nämlich Empathie wecken und Grenzen überschreiten, ist einfach nur mit einer Seele bzw. mit einem Verstand möglich.
Wie seid ihr an Kleists hoch abstrakten Text herangegangen, um ihn in eure Sprache – den Tanz – zu übersetzen?
Friedemann Vogel: Es geht nicht darum, den Text zu vertanzen, sondern darum, Emotionen zu wecken, die das Publikum mit nach Hause nimmt. Der Text ist eher Inspiration.
Thomas Lempertz: Wir übersetzen abstrakte, theoretische Gedanken in Emotionen und Bewegungen. Die Marionette beispielsweise steht für Leichtigkeit, Schwerelosigkeit und technisches Können. Wir machen diese Gefühle durch die Bewegung des Körpers erfahrbar und sinnlich erlebbar.
Als Balletttänzer arbeitet ihr ständig gegen die Schwerkraft, um dieses Gefühl der Leichtigkeit zu erzeugen. Ist Leichtigkeit in der Kunst das Schwerste?
Friedemann Vogel: Ich tanze schon mein ganzes Leben und habe hart trainiert, um Bewegungen mit Anmut und Leichtigkeit auszuführen. Disziplin, Training und Technik sind wichtig, sie sorgen dafür, dass die Bewegung automatisch abläuft und man sich in der Vorstellung völlig auf den Moment einlassen und die Magie des Moments nutzen kann. So entsteht in jeder Vorstellung etwas Neues – obwohl es rein technisch die gleichen Bewegungen sind.
In der Performance hängst du in einem Gurt, der die Fäden der Marionette symbolisiert. Was bedeuten diese "Fäden" für dich? Einschränkung oder Freiheit?
Friedemann Vogel: Beides. Der Gurt ermöglicht Bewegungen, von denen ich immer geträumt habe, er vermittelt die Illusion vom Fliegen. Aber er ist auch eine Art Korsett, weil er das eigene Bewegungsrepertoire komplett einschränkt. Während der Arbeit haben wir festgestellt, dass eine leichte Bodenhaftung nötig ist, um Magie zu erzeugen.

Welche Erfahrungen habt ihr aus dem Probenprozess mitgenommen?
Friedemann Vogel: Letztendlich ist es nicht das rein Schöne, was wir anstreben, sondern das Wahrhaftige. Und dazu gehört auch Hässlichkeit, dazu gehört einfach alles, was auch im Leben passiert. Nur so erzeugt man Emotionen.
Thomas Lempertz: Zu Kleists Text gibt es viele unterschiedliche Interpretationen. Und auch wir lassen das Ganze am Ende bewusst offen, um dem Publikum Raum für eigene Gedanken mitzugeben.
Zwischen Gliedermann und Gott:
Kleists Über das Marionettentheater
2001 tanzen scheinbar drei Gregor Seyfferts auf der Bühne der Bonner Oper. Das Publikum fragt sich: Wer ist Puppe, wer ist Balletttänzer? Schließlich löst eine rotgekleidete Tänzerin das Rätsel, indem sie einem der Seyfferts die Kleidung vom Leib reißt und so die beiden Marionetten entlarvt. "Am Ende triumphiert menschliche Authentizität über technische Perfektion", so der Bonner Generalanzeiger. Die Produktion war sogar Teil des offiziellen deutschen Kulturbeitrags zu den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta gewesen.
Heinrich von Kleists essayistische Erzählung Über das Marionettentheater fordert Ballettänzer:innen offensichtlich schon seit längerem zum Wettstreit zwischen Mensch und Maschine heraus. Auf einem Spaziergang trifft der Erzähler zufällig den ersten Tänzer der Oper der Stadt M … – um welchen Ort es sich handelt, wird nicht aufgelöst. Dieser Primoballerino, als Herr C. tituliert, behauptet provokativ, dass Marionetten allen menschlichen Tänzern überlegen seien. Sie könnten sich nämlich über die Schwerkraft hinwegsetzen, da sie an Fäden hingen. Daher befinde sich die Seele der Marionetten immer im Schwerpunkt ihrer Bewegung – ganz im Gegensatz zu so manchen anderen zeitgenössischen Ballettkünstler:innen: Bei einer bekannten Tänzerin liege die Seele im Rückgrat, einem anderen jungen Tänzer sitze die Seele sogar im Ellenbogen. "Es ist ein Schrecken, es zu sehen", bemerkt Herr C. lakonisch.
Was ist das für ein eigenartiger Text, in dem ein Primoballerino Puppen größere tänzerische Grazie zutraut als sich und seiner Zunft? Das Marionettentheater ist Mitte Dezember 1810 in vier Fortsetzungen in den Berliner Abendblättern erschienen. In der von Kleist selbst herausgegebenen Tageszeitung wurde zuweilen über das Ballett berichtet, dies aber nicht immer wohlwollend. Am 3. November 1810 publizierte Achim von Arnim unter der Rubrik Theater einen Text namens Sonderbares Versehn. In die ernsthafte Oper Iphigenia in Tauris seien zur großen Belustigung des Publikums einige unpassende populäre Balletteinlagen hineingeraten. Arnim berichtet, das Publikum habe das "Gespringe" von einem der Tänzer verwünscht und sich stattdessen nach vollendeter, zusammenhängender Tanzkunst auf der Bühne gesehnt.

Kleist hat Arnims Kritik vor der Veröffentlichung geringfügig bearbeitet (das Manuskript befindet sich in der Sammlung des Kleist-Museums). Die tänzerischen Extrempole von unbeholfenem "Gespringe" und größter Vollendung waren ihm also sicher aus seiner Redaktionsarbeit, vermutlich auch von Theaterbesuchen, bekannt. Aber Kleists eigener Blick auf Tanz und Ballett bezieht sich nicht auf eine stattgefundene Aufführung, sondern gibt sich selbst als erfunden zu erkennen.
Wie kommt der erste Tänzer der Stadt nun zu seiner Behauptung, dass die Marionetten den Menschen im Tanz überlegen seien? Der Erzähler hatte seinen Gesprächspartner des Öfteren in einem Marionettentheater auf dem Markt gesehen, wo das einfache Volk kleine Aufführungen burlesker kurzer Stücke, "mit Gesang und Tanz durchwebt", besucht. Dort lernte der Startänzer die Tanzkunst der Puppen bewundern. Er behauptet sogar, mit Hilfe des richtigen "Mechanikus" eine Marionette bauen zu können, die selbst einen der berühmtesten Ballerinos des 18. Jahrhunderts übertrifft: Nicht einmal Gaetano Vestris würde derart vollkommen tanzen wie ein solcher "Gliedermann". Vestris, damals "Gott des Tanzes" genannt, trat übrigens in den 1760ern jährlich in Stuttgart auf, als der berühmte Jean-Georges Noverre dort das Ballett leitete.
Kleists Marionettentheater erlangte erst spät Popularität, ist aber heutzutage den meisten Tanzliebhabern bekannt. Das gilt wohl auch für einen Rezensenten, der Friedemann Vogel in seiner Rolle des Orlando bereits 2010 assoziativ als "Marionette in Menschengestalt" beschrieb. Als "keiner Schwerkraft unterworfen, doch dem Willen eines Choreografen gehorchend, der frei assoziierend an den Fäden zieht und ihm dennoch Gestaltungsfreiheit lässt", sah Hartmut Regitz den Startänzer. Da ist es nur folgerichtig, dass der "Danseur noble" Friedemann Vogel sich in Die Seele am Faden selbst in Kleists Welttanztheater hineinbegibt, das sich zwischen den Polen von fehlendem und unendlichem Bewusstsein aufspannt. Die Grazie, so Kleist, erscheine "in demjenigen menschlichen Körperbau am Reinsten …, der entweder gar keins, oder ein unendliches Bewusstsein hat, d. h. in dem Gliedermann, oder in dem Gott."
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Veranstalter & Herausgeber: Schwetzinger SWR Festspiele gGmbH
Künstlerische Leitung & Geschäftsführung: Cornelia Bend
Redaktion: Dr. Bianca Bapst
Text: Dr. Adrian Robanus, Stiftung Kleist-Museum