17. Mai 2025, 19:30 Uhr

Die Frauen um Goethe

Stand

INHALT

Termin
Besetzung
Zusatzinformation
Programm
Programmtext
Interpreten
Festspielkalender
Service

TERMIN

Samstag, 17. Mai 2025, 19:30 Uhr
Jagdsaal, Schloss Schwetzingen

Sendung am Samstag, 31. Mai, 12:30 – 14 Uhr im Radioprogramm SWR Kultur und zum Nachhören auf SWRKultur.de.

BESETZUNG

Julian Prégardien Tenor & Konzeption
Kristian Bezuidenhout Hammerklavier
Julia Nachtmann Rezitation
Cornelia Weidner Ko-Kuratorin

Moderiert von Julian Prégardien

ZUSATZINFORMATION

In Kooperation mit der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie Stuttgart

PROGRAMM

  • I. FRIEDERIKEN

Franz Schubert 1797 – 1828
Willkommen und Abschied D 767

J. W. Goethe: "Nähe des Geliebten"

Friedrich Zelter 1758 – 1832
Ich denke Dein

Fanny Hensel 1805 – 1847
Aus: Vier Lieder für das Pianoforte op. 2
Nr. 1: Andante

  • II. MARIANNEN

Aus dem Briefwechsel zwischen J. W. v. Goethe und Marianne von Willemer

Franz Schubert
Suleika I D 720
Suleika II D 717

Fanny Hensel 
Erwin op. 7 Nr. 2

Brief von Fanny Hensel an Marianne Mendelssohn

Fanny Hensel 
Sehnsucht nach Italien

  • III. MARIA

Brief von J. W. v. Goethe an Maria Szymanowska

Aussöhnung
(Trilogie der Leidenschaft III v. J. W. von Goethe, Maria Szymanowska gewidmet)

Giuseppe Verdi 1813 – 1901
Perduta ho la pace

Maria Szymanowska 1789 – 1831
Se spiegar potessi

Louise Hensel: Rastlos

Volksweise
Müde bin ich geh zur Ruh 

Luise Reichardt 1779 – 1826
Ida

Bettina von Arnim 1785 – 1859
Wanderers Nachtlied

The blind spotPROGRAMMTEXT

The Blind Spot –
oder Dichtung und Wahrheit: Johann Wolfgang von Goethe und die Frauen

[Blind Spot/Blinder Fleck: umgangssprachlich Teile des Selbst oder Ichs, die von einer Person nicht wahrgenommen werden. Diese metaphorische Bedeutung leitet sich von dem visuellen Phänomen des Blinden Flecks im Auge ab und wird auch auf gesellschaftliche Phänomene oder Theorien angewandt. Der Blinde Fleck ist dabei nicht lediglich etwas, was nicht gesehen wird, sondern ein Aspekt, der aufgrund des Selbstbildes bzw. des gesellschaftlichen Konstruktes ausgeblendet wird.]

The blind spot ist auch der Titel einer Collage der Künstlerin Margit Jäschke aus dem Jahr 2020, die Julian Prégardien zu seinen beiden Lied-Programmen bei den Schwetzinger Festspielen 2025 inspirierte. Das Bild zeigt eine Salonszene im frühen 19. Jahrhundert. Man erkennt zwar drei Frauenfiguren – eine sitzend am Hammerflügel, zwei dahinterstehend. Allerdings sind die Oberkörper und Köpfe der Frauen durch einen ovalen Flicken verdeckt. Man ahnt, was dahinter ist, sieht es jedoch nicht genau: The blind spot – die Frauen werden ausgeblendet, sind nicht sichtbar. Dieses Bild steht damit sinnbildlich für die Nicht-Wahrnehmung von Frauen im 18. und 19. Jahrhundert in der Öffentlichkeit.

Mit den beiden Konzerten The blind spot möchte Julian Prégardien einen Blick hinter diesen Flicken werfen und offenlegen, was gesellschaftliche Konventionen lange verdeckten. Den literarisch-musikalischen Rahmen gibt dabei Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe vor, in dessen Leben und Wirken zahlreiche Frauen eine bedeutsame Rolle gespielt haben, die jedoch lange Zeit – und zum Teil immer noch – in der Rezeptionsgeschichte vergessen oder vernachlässigt wurden. Vor allem bei Frauen in Goethes Umfeld, die selbst kreativ tätig waren, wurde dies gerne mal vergessen. Oder andersherum: Es entsprach einfach nicht der gesellschaftlichen Norm, dass Frauen dichtend oder komponierend in die Öffentlichkeit traten. Das wurde allenfalls im häuslichen Rahmen geduldet, aber öffentlich wurde so etwas nicht gemacht. Und so war es zum Beispiel auch ganz selbstverständlich und entsprach dem damaligen Usus, dass Goethe Marianne von Willemers Gedichte im West-östlichen Divan unter seinem Namen veröffentlichte. Ihr Anteil an der heute so berühmten Gedichtsammlung wurde überhaupt erst in den 1860er und 1870er Jahren bekannt – da waren sowohl Goethe als auch Marianne (die 1860 starb) bereits tot.

The blind spot rückt Frauen aus Goethes Umfeld ins Rampenlicht und möchte die wahre Bedeutung dieser Persönlichkeiten würdigen und sichtbar machen. Denn schließlich gibt es gleich eine ganze Reihe von Frauen, die großen Einfluss auf Goethe hatten und ohne die womöglich das eine oder andere Meisterwerk aus seiner Feder gar nicht denkbar gewesen wäre. Nicht von ungefähr nennt Goethe seine Lebenserinnerungen Dichtung und Wahrheit – denn nicht selten formte er seine literarischen Figuren nach wahren Vorbildern, verschmolzen Dichtung und Wahrheit in seinen Werken. Dabei ließ sich Goethe in Liebesdingen lange Jahre nicht festlegen, floh – kaum frisch verliebt – vor der Verantwortung einer dauerhaften Bindung. In seinen Sturm-und-Drang-Jahren bis 1775 gab es zahlreiche Liebschaften, die Goethe nicht selten mit gebrochenem Herzen zurückließ (und mindestens einmal wurde ihm selbst das Herz gebrochen). Ihn zu binden vermochte schließlich erst Christiane Vulpius, mit der Goethe zunächst ab 1788 zusammenlebte und die er 1806, 18 Jahre später, schließlich sogar heiratete.

Die beiden Konzertprogramme The blind spot entfernen den Flicken und geben den Blick frei auf sechs besondere Frauen, die Goethes Lebensweg säumten.

The Blind Spot II

Nach den drei gescheiterten Lieben des ersten Abends, die sich durchaus prägend und inspirierend auf Goethes Schaffen auswirkten, treten uns im zweiten Programm Frauen gegenüber, die selbst kreativ tätig waren und die Goethe nachhaltig in seinem Werk beeinflussten, ja dieses zum Teil sogar mitgestalteten. Neben den Protagonistinnen des ersten Abends begegnen wir hier den Schriftstellerinnen Friederike Brun und Marianne von Willemer und der Pianistin und Komponistin Maria Szymanowska. Mit der Schauspielerin Julia Nachtmann, die in diesem Programm als weitere Akteurin hinzukommt, werden die Frauen nicht nur sichtbar, sondern erhalten auch eine Stimme, wobei es hier durchaus auch Rückbezüge auf den ersten Abend gibt.

  • I. Friederike Brun

Johann Wolfgang von Goethes Gedicht Nähe des Geliebten ("Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer …") aus dem Jahr 1795 ist hinlänglich bekannt, nicht zuletzt beim Liedpublikum, das Franz Schuberts wunderbare Vertonung des Textes aus dem Jahr 1815 kennt und schätzt. Doch wer kennt die Geschichte hinter Goethes Text? Strenggenommen ist Nähe des Geliebten eine Nachdichtung. Es gibt dazu also ein Original, eine Vorlage, die Goethe zu seinem Gedicht inspirierte und die er hier verarbeitete. Und dieses Original stammt von einer Frau, genauer gesagt von der 1765 im thüringischen Gräfentonna geborenen Schriftstellerin Friederike Brun. Diese hatte sich zu ihren Lebzeiten vor allem als deutsch-dänische Reiseschriftstellerin einen Namen gemacht. 1783 heiratete sie den dänischen Legationsrat Konstantin Brun, den sie in den folgenden Jahren auf zahlreichen Reisen, unter anderem nach St. Petersburg, durch die Schweiz, Südfrankreich und Italien begleitete. Mit ihrem Mann lebte sie später in Kopenhagen und führte dort einen Salon, in dem namhafte Künstler und Intellektuelle aus ganz Europa verkehrten. Als politisch interessierte Frau äußerte sich Friederike Brun auch immer wieder zur europäischen Weltlage und setzte sich für das Selbstbestimmungsrecht der Völker ein. Dieses Engagement brachte ihr auch die Bezeichnung "Madame de Staël des Nordens" ein. Neben den Reisebeschreibungen umfasst ihr eigenes literarisches Schaffen auch autobiographische Schriften und zahlreiche Gedichte, darunter Ich denke dein aus dem Jahr 1792, das im gleichen Jahr von Johann Heinrich Voß gedruckt und später von Carl Friedrich Zelter vertont wurde. Goethe lernte das Gedicht (und den Komponisten Zelter) im April 1795 in eben dieser Vertonung im Haus des Jenaer Juristen Gottlieb Hufeland kennen und war unmittelbar berührt und inspiriert, sodass als direkte Reaktion auf das Gehörte sein Nähe des Geliebten"entstand.

  • II. Marianne von Willemer

Was bedeutet die Bewegung? Bringt der Ost mir frohe Kunde? – ein Gedicht, das viele kennen dürften (nicht zuletzt in der Schubert’schen Vertonung) und das 1819 in Goethes wohl umfangreichster Sammlung, dem West-östlichen Divan, veröffentlicht wurde. Urheber dieses Gedichts – zumindest in der damaligen Wahrnehmung – war: Johann Wolfgang von Goethe. Heute wissen wir es allerdings besser: Das Gedicht stammt aus der Feder von Marianne von Willemer. 1784 in Linz geboren, war Marianne 1798 mit der Mutter (einer Schauspielerin) nach Frankfurt übergesiedelt, wo die erst 14-Jährige bald selbst als Schauspielerin und Tänzerin auf der Bühne stand und auf sich aufmerksam machte (angeblich verliebte sich Clemens Brentano beim Besuch einer Vorstellung auf der Stelle in die junge Darstellerin). Marianne wurde schließlich vom Frankfurter Bankier Johann Jakob Willemer als Ziehtochter angenommen. Als Schauspielerin war sie seitdem nicht mehr tätig, sondern lebte im Hause des sehr viel älteren Willemer, was zu zahlreichen Spekulationen führte. Schließlich heiratete Willemer Marianne im September 1814 und legitimierte damit (nach über zehn Jahren) die ungewöhnliche Beziehung. Kurz davor, im August 1814, kam es zur ersten Begegnung zwischen Marianne und Johann Wolfgang von Goethe, der Johann Jakob Willemer schon aus früheren Frankfurter Jahren kannte. In den folgenden zwölf Monaten bis September 1815 kam es wiederholt zu weiteren Begegnungen. So verbrachte Goethe im Spätsommer 1819 einen guten Monat auf dem Landsitz der Willemers in der Nähe von Frankfurt. Er arbeitete in dieser Zeit intensiv an seiner umfangreichen Gedichtsammlung, dem West-östlichen Divan, die noch 1819 erscheinen sollte, und trug in der Gesellschaft der von Willemers seine neuesten Gedichte vor. Es entspann sich sodann ein intensiver literarischer Austausch mit der auch schriftstellerisch aktiven Marianne – ein Liebesverhältnis in Gedichten, wenn man so will, denn Marianne trat mit Goethe zunehmend in einen lyrischen und durchaus amourösen Dialog und entgegnete mit eigenen Werken, in denen sie in die Rolle der Suleika aus dem Divan schlüpfte. Dies setzte sich nach Goethes Abreise Ende September dann vor allem auch im Briefwechsel fort, den Marianne (Suleika) und Goethe (Hafis) in den folgenden 13 Jahren bis zu dessen Tod intensiv fortsetzten. Gesehen haben sie sich nach 1819 nicht mehr. Wie wir heute wissen, fanden mindestens drei von Marianne von Willemers Gedichten Eingang in den West-östlichen Divan, 1819 veröffentlich unter Goethes Namen.

  • III. Maria Szymanowska

Das letzte Kapitel von The blind spot ist der polnischen Pianistin Maria Szymanowska gewidmet, der Goethe im August 1823 in Marienbad begegnet war. Diese Geschichte lässt sich allerdings nicht erzählen, ohne Ulrike von Leventzow zu erwähnen, die als letzte große Liebe des Dichters gilt. Der damals 72-jährige Goethe (der seit 1816 Witwer war) hatte sich 1821 während eines längeren Kuraufenthaltes in Marienbad in die 17-Jährige verliebt – wieder einmal Hals über Kopf und mit leidenschaftlicher Begeisterung wie in jungen Jahren und fühlte sich bei ihr tatsächlich an die erste große Liebe, Friederike Brion, erinnert. Der Kreis schließt sich. Doch Goethe war 55 Jahre älter als Ulrike, die sich trotz der ernsthaften Absichten, die Goethe hier wohl tatsächlich hatte, nicht vorstellen konnte, diesen fraglos berühmten Mann zu heiraten. Ihre Gefühle ihm gegenüber waren eher die einer Tochter oder gar Enkelin dem Vater/Großvater gegenüber. Eine unglückliche Liebe, die Goethe 1823 umgehend in seiner Marienbader Elegie verarbeitete.

In diesem Zustand, sprich mit Liebeskummer und in seinem Werben um Ulrike gescheitert, begegnete Goethe im August 1823 Maria Szymanowska, die damals als gefeierte Virtuosin auf Europatournee war. Er war sofort angetan von ihrem Spiel und ihrer Person. Weitere Begegnungen in Karlsbad und Weimar schlossen sich an – und Goethe geriet bei Szymanowskas Klavierspiel ins Schwärmen. Er zeigte sich zutiefst beindruckt und berührt, schildert dies in seinen Briefen an Carl Friedrich Zelter und in den Gesprächen mit Johann Peter Eckermann. Und er wird – wieder einmal durch eine Frau – zu einem Gedicht inspiriert, das er der Pianistin widmete: "Aussöhnung" heißt es und beginnt mit der Zeile: "Die Leidenschaft bringt Leiden!" – eine Tatsache, die Goethe selbst durch Ulrike gerade wieder schmerzlich erfahren hatte, die aber auch Frauen wie Friederike oder Lili durch Goethe kennengerlernt hatten. Doch Maria Szymanowskas Klavierspiel eröffnete Goethe offenbar einen neuen Zugang zur Musik, dort fand der Liebeskranke Trost und Aussöhnung. Das Gedicht fand 1827 schließlich – neben der Marienbader Elegie und An Werther – Eingang in Goethes Trilogie der Leidenschaft, die quasi Goethes Abgesang und Reminiszenz auf die Liebe ist.      

INTERPRETEN

FESTSPIELKALENDER

Haben Sie Interesse an weiteren Konzerten der Schwetzinger SWR Festspiele? Diese finden Sie in unserem Festspielkalender.

SERVICE

Newsletter
Bleiben Sie immer auf dem Laufenden: In unserem Newsletter finden Sie aktuelle Informationen rund um die Schwetzinger SWR Festspiele. Anmeldung hier.

Sonstige Informationen
Wir bitten Sie, alle mitgebrachten elektronischen Geräte aus- und Mobiltelefone unbedingt stumm zu schalten. Konzertbesucher mit Hörgeräten möchten wir freundlich darauf hinweisen, auf die richtige Einstellung ihrer Geräte zu achten. Diese können sonst Störgeräusche verursachen. Bild- und Tonaufnahmen sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet.

Impressum
Veranstalter & Herausgeber: Schwetzinger SWR Festspiele gGmbH
Künstlerische Leitung & Geschäftsführung: Cornelia Bend
Redaktion: Dr. Bianca Bapst
Text: Cornelia Weidner

Schwetzinger SWR Festspiele | Mozart

Sweet Passion La Petite Écurie & Marie-Sophie Pollak

Arien und Instrumentalsätze mit dem Residenzensemble La Petite Écurie und der Sopranistin Miriam Feuersinger

Schwetzinger SWR Festspiele · Jagdsaal, Schloss Schwetzingen

Einstand I Preisträger des ARD-Musikwettbewerbs

Aurora Marthens, Boufadden Adloff, Alexander Warenberg, Haesue Lee und Johannes Obermeier sind Preisträger des ARD-Musikwettbewerbs.

Schwetzinger SWR Festspiele · Jagdsaal, Schloss Schwetzingen

Einstand II Preisträger des ARD-Musikwettbewerbs

Aurora Marthens, Boufadden Adloff, Alexander Warenberg, Haesue Lee und Johannes Obermeier sind Preisträger des ARD-Musikwettbewerbs.

Schwetzinger SWR Festspiele · Rokokotheater, Schloss Schwetzingen

Musiktheater · Premiere Amor vincitore

Hörtheater nach der Kantate von Johann Christian Bach und Patrick Schäfer, Text von Pauline Jacob

Schwetzinger SWR Festspiele | Kammermusiksaal

SWR Kultur Nachgespräch zum Hörtheater "Amor vincitore"

Ein Gespräch über das Hörtheater Amor vincitore, Sexismus und die Kraft des Feminismus mit SWR Kultur-Moderatorin Kristine Harthauer und Missy Magazin-Gründerin Stefanie Lohaus.

Stand
Autor/in
SWR