16. Mai 2025, 19:30 Uhr

Goethe und die Frauen

Stand

Erster Teil der zweiteiligen Reihe "The blind spot" von Residenzkünstler Julian Prégardien.

INHALT

Termin
Besetzung
Zusatzinformation
Programm
Programmtext
Interpreten
Festspielkalender
Service

TERMIN

Freitag, 16. Mai 2025, 19:30 Uhr
Jagdsaal, Schloss Schwetzingen

Sendung am Samstag, 24. Mai, 12:30 – 14 Uhr im Radioprogramm SWR Kultur und zum Nachhören auf SWRKultur.de.

BESETZUNG

Julian Prégardien Tenor & Konzeption
Kristian Bezuidenhout Hammerklavier
Cornelia Weidner Ko-Kuratorin

Moderiert von Julian Prégardien

ZUSATZINFORMATION

In Kooperation mit der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie Stuttgart

PROGRAMM

Wolfgang Amadeus Mozart 1756 – 1791
Das Veilchen KV 476

  • I. FRIEDERIKE

Ludwig van Beethoven  1770 – 1828
Mailied op. 52 Nr. 4

"Liebe neue Freundin …"
(Brief J. W. v. Goethe an Friederike Brion, 15. Oktober 1770)

Ludwig van Beethoven
Mit einem gemalten Band op. 83 Nr. 3

"Liebe, liebe Freundin …"
(Brief J. W. v. Goethe an Friederike Brion, 15. Oktober 1770)

Franz Schubert 1797 – 1828
Willkommen und Abschied D 767
Heidenröslein D 257

  • II. CHARLOTTE

Franz Schubert
Ganymed D 544

"Es ist ein Unglück"
(aus: "Die Leiden des jungen Werther" von J. W. v. Goethe)

Ludwig van Beethoven
Wonne der Wehmut op. 83 Nr. 1

"Wohl hoff ich wiederzukommen"
(Brief J. W. v. Goethe an Charlotte Buff, 10. September 1772)

"ich weiß nicht, was ich soll."
(aus: "Die Leiden des jungen Werther" von J. W. v. Goethe)

Franz Schubert
Prometheus D 674

"daß Ihr mich noch liebt"
(Brief J. W. v. Goethe an Charlotte Buff, August 1774)

Ludwig van Beethoven
Neue Liebe, neues Leben WoO 127

  • III. LILI

Johann Friedrich Reichardt 1752 – 1814
Vom Berge 

"gestern waren wir ausgeritten"
(Brief J. W. v. Goethe an Johann Kaspar Lavater, 3. und 4. August 1775)

Felix Mendelssohn Bartholdy (1847-1809)
Gruß op. 19 Nr. 5
Neue Liebe op. 19 Nr. 4

"Ich wäre ein Tor, mich fesseln zu lassen …"
(aus: "Stella" v. J. W. v. Goethe, 1776)

Johann Friedrich Reichardt
Höret alle mich, ihr Götter
(Arie des Valerio aus "Erwin und Elmire")

The blind spotPROGRAMMTEXT

The Blind Spot –
oder Dichtung und Wahrheit: Johann Wolfgang von Goethe und die Frauen

The blind spot ist auch der Titel einer Collage der Künstlerin Margit Jäschke aus dem Jahr 2020, die Julian Prégardien zu seinen beiden Lied-Programmen bei den Schwetzinger Festspielen 2025 inspirierte. Das Bild zeigt eine Salonszene im frühen 19. Jahrhundert. Man erkennt zwar drei Frauenfiguren – eine sitzend am Hammerflügel, zwei dahinterstehend. Allerdings sind die Oberkörper und Köpfe der Frauen durch einen ovalen Flicken verdeckt. Man ahnt, was dahinter ist, sieht es jedoch nicht genau: The blind spot – die Frauen werden ausgeblendet, sind nicht sichtbar. Dieses Bild steht damit sinnbildlich für die Nicht-Wahrnehmung von Frauen im 18. und 19. Jahrhundert in der Öffentlichkeit.

Mit den beiden Konzerten The blind spot möchte Julian Prégardien einen Blick hinter diesen Flicken werfen und offenlegen, was gesellschaftliche Konventionen lange verdeckten. Den literarisch-musikalischen Rahmen gibt dabei Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe vor, in dessen Leben und Wirken zahlreiche Frauen eine bedeutsame Rolle gespielt haben, die jedoch lange Zeit – und zum Teil immer noch – in der Rezeptionsgeschichte vergessen oder vernachlässigt wurden. Vor allem bei Frauen in Goethes Umfeld, die selbst kreativ tätig waren, wurde dies gerne mal vergessen. Oder andersherum: Es entsprach einfach nicht der gesellschaftlichen Norm, dass Frauen dichtend oder komponierend in die Öffentlichkeit traten. Das wurde allenfalls im häuslichen Rahmen geduldet, aber öffentlich wurde so etwas nicht gemacht. Und so war es zum Beispiel auch ganz selbstverständlich und entsprach dem damaligen Usus, dass Goethe Marianne von Willemers Gedichte im West-östlichen Divan unter seinem Namen veröffentlichte. Ihr Anteil an der heute so berühmten Gedichtsammlung wurde überhaupt erst in den 1860er und 1870er Jahren bekannt – da waren sowohl Goethe als auch Marianne (die 1860 starb) bereits tot.

The blind spot rückt Frauen aus Goethes Umfeld ins Rampenlicht und möchte die wahre Bedeutung dieser Persönlichkeiten würdigen und sichtbar machen. Denn schließlich gibt es gleich eine ganze Reihe von Frauen, die großen Einfluss auf Goethe hatten und ohne die womöglich das eine oder andere Meisterwerk aus seiner Feder gar nicht denkbar gewesen wäre. Nicht von ungefähr nennt Goethe seine Lebenserinnerungen Dichtung und Wahrheit – denn nicht selten formte er seine literarischen Figuren nach wahren Vorbildern, verschmolzen Dichtung und Wahrheit in seinen Werken. Dabei ließ sich Goethe in Liebesdingen lange Jahre nicht festlegen, floh – kaum frisch verliebt – vor der Verantwortung einer dauerhaften Bindung. In seinen Sturm-und-Drang-Jahren bis 1775 gab es zahlreiche Liebschaften, die Goethe nicht selten mit gebrochenem Herzen zurückließ (und mindestens einmal wurde ihm selbst das Herz gebrochen). Ihn zu binden vermochte schließlich erst Christiane Vulpius, mit der Goethe zunächst ab 1788 zusammenlebte und die er 1806, 18 Jahre später, schließlich sogar heiratete.

Die beiden Konzertprogramme The blind spot entfernen den Flicken und geben den Blick frei auf sechs besondere Frauen, die Goethes Lebensweg säumten.

The blind Spot I

Im ersten Abend begegnen wir dem noch sehr jungen Goethe in den Jahren 1770 bis 1775. Es sind die fünf Jahre, die aus dem wenig strebsamen und nur bedingt erfolgreichen Jurastudenten einen europaweit berühmten und erfolgreichen Autor machten, den schließlich – im Jahr 1775 – Herzog Carl August an seinen Hof nach Weimar holte. Diese Jahre waren vor allem geprägt durch die Begegnungen mit drei Frauen: Friederike Brion, Charlotte Buff und Lili Schönemann.

  • I. Friederike

Nach dem wenig erfolgreichen Jurastudium in Leipzig, das Goethe ohne Abschluss beendet hatte, nahm der 21-Jährige im Jahr 1770 sein Studium in Straßburg wieder auf und brachte es dort 1771 tatsächlich auch als Lizenziat zu Ende. Im kleinen Ort Sessenheim (ca. 40 km nordöstlich von Straßburg) lernte Goethe durch einen Studienfreund die Pfarrerstochter Friederike Brion kennen und verliebte sich – ganz "Sturm und Drang" – Hals über Kopf in die 18-Jährige: "In diesem Augenblick trat sie wirklich in die Tür, und da ging fürwahr an diesem ländlichen Himmel ein allerliebster Stern auf." Goethe war entflammt und verhielt sich Friederike gegenüber so, dass sowohl sie als auch ihre Familie ernste Absichten vermuten mussten und letztlich einen Antrag erwarteten. Doch Goethe bekam kalte Füße und beendete die Verbindung 1771 mit dem überstürzten Weggang aus Straßburg, was im Gedicht Willkommen und Abschied seinen Niederschlag findet. Friederike erfuhr erst durch ein Brief, den Goethe ihr aus Frankfurt schickte, von der Trennung und muss zutiefst getroffen gewesen sein. Sie blieb ihr Leben lang unverheiratet.

Die verliebte Zeit mit Friederike in Straßburg inspirierte Goethe zu leidenschaftlichen und heute sehr berühmten Gedichten, die er ihr widmete und die als Sesenheimer Gedichte bekannt wurden. Dazu gehören das Heidenröslein und das bereits erwähnte Willkommen und Abschied, aus denen Franz Schubert 1815 bzw. 1822 nicht weniger berühmte Lieder machte. Die autobiografischen Züge in Goethes Willkommen und Abschied sind nicht zu übersehen – Goethe verarbeitet hier seine Flucht, die Trennung von Friederike Brion, die womöglich er selbst, der Bindungsunfähige, nicht ganz begriff. Interessant ist, dass er das Gedicht, das eines seiner berühmtesten werden sollte, mehrfach überarbeitete: zuerst 1789 und dann ein weiteres Mal als gereifter Dichter im Jahr 1810 – und hier fällt vor allem eine bedeutsame Textänderung in der letzten Strophe auf: Heißt es in der ersten Fassung von 1771 dort noch: "Du gingst, ich stund und sah zur Erden / Und sah dir nach mit nassem Blick." So änderte Goethe in der späteren Version die Perspektive: "Ich ging, du standst und sahst zur Erden / Und sahst mir nach mit nassem Blick" – ein durchaus aufschlussreicher Perspektivwechsel … Dichtung? Wahrheit?

  • II. Charlotte Buff

Die zweite Frau, die uns in diesem Programm begegnet, ist Charlotte Buff, die der 23-jährige Johann Wolfgang von Goethe im Juni 1772 auf einem Tanzfest in Wetzlar kennenlernte. Er verliebte sich (mal wieder) Hals über Kopf in die bodenständige und lebensfrohe Charlotte, die sich nach dem frühen Tod der Mutter um ihre zahlreichen Geschwister kümmerte. Wieder einmal war Goethe in tiefer Liebe entflammt – doch Charlotte Buff war bereits vergeben, seit 1768 mit dem Legationssekretär Johann Christian Kestner verlobt. Und auch wenn ihr die Avancen des jungen Juristen womöglich geschmeichelt und gefallen haben, so stand Charlotte zu ihrer Verbindung mit Kestner (den sie 1773 heiratete) und gab Goethe einen Korb. Und was machte der tief in seiner schwärmerischen Liebe getroffene junge Dichter? Er verarbeitet seinen Liebeskummer literarisch. Heraus kam DER Sturm-und-Drang-Roman schlechthin, der Goethe quasi über Nacht zum literarischen Star machte: Die Leiden des jungen Werther. Goethe schrieb den Briefroman innerhalb von nur vier Wochen im Februar 1774. Die Erstausgabe, die im September 1774 zur Leipziger Buchmesse erschien, wurde zum Bestseller und zu einem der erfolgreichsten Romanen der Literaturgeschichte überhaupt. Und wem hat die Nachwelt dies zu verdanken? Keiner Geringeren als Charlotte Buff, DER Lotte aus dem Werther-Roman. Goethe ist Werther, dessen Liebe zu Lotte unerwidert bleibt – nur glücklicherweise endet Goethe nicht wie Werther. Aber wieder einmal wird die Wahrheit zur Dichtung. Wäre Die Leiden des jungen Werther ohne die Begegnung mit Charlotte Buff entstanden? Wohl kaum.

  • III. Lili Schönemann

Die Dritte im Bunde aus dieser vor-Weimarer Zeit ist Anna Elisabeth (= Lili) Schönemann. Goethe hatte die damals 16-jährige Frankfurter Bankierstochter im Januar 1775 bei einem Konzert im Hause Schönemann kennengelernt. Wieder einmal entflammte der junge Goethe in leidenschaftlicher Liebe. "Ein unbezwingliches Verlangen war eingetreten, ich konnte nicht ohne sie, sie nicht ohne mich sein", schrieb Goethe rückblickend in Dichtung und Wahrheit. Und in seinen Gesprächen mit Johann Peter Eckermann heißt es: "Sie [Lili Schönemann] war in der Tat die erste, die ich tief und wahrhaft liebte. Auch kann ich sagen, daß sie die letzte gewesen ...", was sicherlich gegenüber allen späteren Lieben und Liebschaften des Dichters (die es ja durchaus noch zahlreich gab) nicht ganz gerecht ist. Aber sei’s drum: Lili war im Frühjahr 1775 die Auserwählte. Auch hier wirkte sich die Liebe wieder auf das literarische Schaffen aus – in zahlreiche Gedichte fand sie Eingang, so in Neue Liebe, neues Leben. Auch seine Stella (Erstfassung 1775!) und später die Dorothea (Herrman und Dorothea, 1796/97) tragen deutlich Lilis Züge.

Die Zuneigung war ganz offensichtlich gegenseitig – und Lili noch ungebunden, wobei ihre Familie eigentlich andere Pläne für die Zukunft der Tochter hatte und der Verbindung mit Goethe durchaus zurückhaltend, ja ablehnend gegenüberstand. Aber Lili war bereit, für Goethe ihre damaligen Lebensverhältnisse aufzugeben, und es kam im Frühjahr 1775 tatsächlich zur Verlobung. Goethe jedoch, unfähig sich zu binden, entschloss sich "abermals zur Flucht", trennte sich von Lili und folgte im Oktober 1775 der Einladung des Herzogs Carl August von Sachsen-Weimar. Lili blieb in Frankfurt zurück und heiratete drei Jahre später Bernhardt Friedrich von Türckheim, den Sohn eines angesehenen Straßburger Bankiers.

"Ich wäre ein Tor, mich fesseln zu lassen. […] Ich muss fort in die freie Welt", lässt Goethe in seinem Trauerspiel Stella (das er im Februar 1776 mit persönlicher Widmung an seine ehemalige Verlobte Lili schickte…) den Fernando sagen – und spricht damit vermutlich für sich selbst.

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Veranstalter & Herausgeber: Schwetzinger SWR Festspiele gGmbH
Künstlerische Leitung & Geschäftsführung: Cornelia Bend
Redaktion: Dr. Bianca Bapst
Text: Cornelia Weidner

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SWR