Konzert mit dem SWR Symphonieorchester

Patricia Kopatchinskaja: Musik als Protest gegen Machtmissbrauch und Tyrannei

Stand
Das Interview führte
Tabea Dupree
Interview mit
Patricia Kopatchinskaja
Onlinefassung
Dominic Konrad

Patricia Kopatchinskaja ist eine Geigerin mit Plan: Zu ihren Konzerten kommt sie meist mit besonderen Ideen. Ihr aktuelles Konzertprogramm mit Stücken von Schostakowitsch, Ligeti und Hartmann, das sie ab dem 13. Februar mit dem SWR Symphonieorchester spielt, reflektiert die aktuell politisch aufgeladenen Zeiten. Ein Gespräch am Rande der Proben.

Patricia Kopatchinskaja
Musikerin mit Haltung: Die moldauisch-österreichisch-schweizerische Geigerin Patricia Kopatchinskaja probt derzeit mit dem SWR Symphonieorchester.

SWR Kultur: Patricia Kopatchinskaja, gerade haben Sie noch mit dem SWR Symphonieorchester und Ingo Metzmacher fleißig geprobt. Schostakowitschs erstes Violinkonzert und Ligetis „Mystery of the Macabre“ stehen auf dem Programm. Mit welchem Gefühl sind Sie in diese Woche hier in Stuttgart gestartet?

Patricia Kopatchinskaja: Mein Gefühl vor einem solchen Projekt ist immer eine große Aufregung und eine Angst, dass ich es nicht schaffe. Ganz egal, wie viel Erfahrung ich schon auf der Bühne gesammelt habe, es ist immer wieder eine Überwindung.

Wenn man einmal auf der Bühne gestanden ist, angestarrt von vielen Menschen, und keine Fehler machen darf … das bleibt bis ans Lebensende, fürchte ich. Dieses Lampenfieber kann man aber auch positiv umsetzen. Das wirkt wie ein Zahnrad, das mich immer wieder nach vorne treibt. Es nagt aber auch an mir.

Das Konzert am 14.02.2025 im Livestream:

Zusammenarbeit mit dem SWR Symphonieorchester: „Eine lange, tiefe Freundschaft“

SWR Kultur: Seit vielen Jahren sind Sie dem Orchester schon verbunden, in dieser Spielzeit stehen Sie ihm als Artistic Partner zur Seite. Sie sind nicht nur als Geigensolistin aktiv, sondern gestalten auch eigene Programme und entwickeln neue Konzertformate. Gibt es eine Kernidee, der Sie in dieser Saison mit dem Orchester verfolgen?

Patricia Kopatchinskaja: Als ich jung war, dachte ich, es sei das Allerwichtigste, was ich mache. Und erst dann mit wem. Jetzt habe ich das umgedreht.

Mit dem Alter habe ich verstanden, dass es das Allerwichtigste ist, mit welchen Menschen ich ein Projekt umsetze. Es wird dann gut, wenn man mit Freunden auf der Bühne ist.

Das SWR Symphonieorchester und ich, wir kennen uns seit der Geburt meiner Tochter und sogar noch früher. Ich war hochschwanger, als ich kam, und ich war ganz erstaunt, wie vor allem die Musikerinnen des Orchesters auf mich zukamen und meinen Bauch bestaunten. Da war ich schon ziemlich breit. (lacht)

Es ist eine richtig lange, tiefe Freundschaft. Das Orchester ist mein Zuhause, meine Familie. Ich kenne sehr viele Mitglieder sehr gut. Wir haben auch zusammen Kammermusik gespielt und es gab gewagte Projekte in der Vergangenheit – und wir haben noch einiges vor. Deswegen: Es ist eigentlich eine reine Freude.

Patricia Kopatchinskaja
In der Spielzeit 2020/21 war die Violinistin Patricia Kopatchinskaja Artist in Residence des SWR Symphonieorchesters. In der aktuellen Saison wirkt sie als Artistic Partner des Klangkörpers.

Zivilcourage, Andersdenken, Protest – Vermächtnisse von Schostakowitsch und Ligeti

SWR Kultur: Gibt es einen roten Faden, der Sie durch die Programme in dieser Saison führt?

Patricia Kopatchinskaja: Der rote Faden ist etwas, was uns beschäftigt. Was mich und, so denke ich, die meisten Menschen auf dieser Welt derzeit beschäftigt, was zwischen uns und um uns herum passiert. Wohin führt diese ganze Unruhe und moralische, menschliche, geografische und politische Destabilisierung?

Als Musiker ist man dazu angehalten, einfach die Töne zu spielen, die auf dem Papier stehen. Und doch sind es nicht einfach nur diese schwarzen Pünktchen. Es ist immer etwas, was den Komponisten sehr bewegt hat. Ein Komponist ist man aus Not und nicht aus aus Überfluss.

Ich glaube, dieses Programm, das wir einstudieren, ist wirklich eine Reflexion dessen, was wir alle empfinden.

Es geht darum, wie die Komponisten mit ihrer Zeit umgegangen sind: mit dem, was passiert ist, was sie gesehen haben und was sie einsehen mussten. Jeder von ihnen war ein sehr mutiger Mensch, zumindest in den Gedanken. Diese Zivilcourage, dieses Andersdenken, dieses sich Wehren!

Und wenn es nicht anders geht, dann einfach zu verstummen und ins innere Exil zu gehen – dass ist auch ein Protest. Ein sehr persönlicher Protest gegen das Böse.

Diktatur, Machtmissbrauch, Tyrannei – das alles sehen wir schon um uns herum. Es bebt unter uns, es gibt tektonische Bewegungen, die wir alle wahrnehmen, aber nicht recht wissen, wie wir damit umgehen sollen.

Ich glaube, es ist unsere Pflicht als Musiker, das auf die Bühne zu bringen, in Klänge umzusetzen und unsere Seele und unser Herzblut hineinzulegen und nochmal diese Zustandsräume zu erforschen und in unsere Zeit zu übersetzen.

Patricia Koptchinskaja
Wenn sie Ligetis „Mysterium des Makabren“ spiele, komme sie sich gar nicht fantastisch vor, so Patricia Kopatchinskaja. Die Politik gebe ihm einen realistischen Rahmen.

Man kann die Hölle unterschiedlich beschreiben

SWR Kultur: Wir erleben Sie als Solistin auf ganz verschiedene Art und Weise in Ligetis „Mystery of the Macabre“ und Schostakowitschs erstem Violinkonzert. Was verbindet und unterscheidet diese beiden Werke aus der künstlerischen Perspektive für sie als Interpretin?

Patricia Kopatchinskaja: Man kann die Hölle natürlich unterschiedlich beschreiben. Der eine leidet allein in seinem Kämmerlein, wie Schostakowitsch. Er sieht Schatten, beschreibt seinen Zustand, ruft zu Gott und fragt nach dem Warum. Der andere ist sarkastisch. Das ist Schostakowitsch zwar auch, aber Ligeti geht da noch weiter.

Das wird dann ins Komische geführt. Man kann lachen und weinen gleichzeitig. Es geht darum, wie die Künstler mit Machtmissbrauch umgegangen sind. Und irgendwie wird dieses Lustige bei Ligeti zur Farce.

Das ist, was jetzt immer wieder rund um uns herum passiert. Ein Politiker sagt einfach, er möchte ein Land kaufen und man glaubt, sich tatsächlich in einer komischen Oper zu befinden. Oder er möchte aus einem zerstörten Land ein Resort machen, um Profit daraus zu schlagen. Also, wenn ich diese „Mystery of the Macabre“ spiele, komme ich mir da gar nicht so fantastisch vor. Es ist ganz realistisch.

Kopatchinskaja und das Tokyo Metropolitain Symphony Orchestra spielen Ligetis „Mystery of the Macabre“

Ligeti: Mysteries of the Macabre / Kazushi ONO / Patricia KOPATCHINSKAJA / TMSO

„Es muss mit einer Reflexion konfrontieren, mit dem, was uns wirklich etwas angeht.“

SWR Kultur: Wir leben gerade in wirklich konfliktgeladenen Zeiten. Was meinen Sie, wie kann so ein durchdachter Konzertabend, der sehr viele Gefühle in uns Zuschauenden auslösen wird, zurücklassen?

Patricia Kopatchinskaja: Das ist natürlich eine sehr gute Frage. Ich kann sie nicht genau beantworten, denn ich weiß nicht, wie es wirken wird, schließlich bin ich auf der Bühne. Ich denke, wenn ich in so ein Konzert gehe, würde es mich aufwühlen, amüsieren, aber auch sehr zum Nachdenken anregen.

Und das ist, was ich mir eigentlich wünsche in einem Konzert. Es muss mit einer Reflexion konfrontieren, mit dem, was uns wirklich etwas angeht.

Wir leben nicht in der Vergangenheit. Wir können nicht immer wieder die gleichen Stücke auf der Bühne spielen und dann auch noch auf die gleiche Weise. Das ist museal.

Ich glaube, Musik muss sehr viel mehr aussagen. Und dafür sind wir auch da, um mit Menschen zusammen eine Atmosphäre zu schaffen, wo wir viel näher an die Gefühle rangehen, auch an unsere emotionale Wunden. Und gleichzeitig braucht es auch Trost und Humor. Man kann vielleicht nicht alles mit Worten fassen, aber in einer guten Musik ist das eigentlich alles da.

Das Interview in voller Länge ist im Audio verfügbar.

Album-Tipp Patricia Kopatchinskajas neues Album „Exile“: Sehr originell und berührend

Patricia Kopatchinskaja gilt als enfant terrible unter den Geigerinnen. Regelmäßig ist sie mit sehr persönlichen Projekten unterwegs. Ihr neues Album heißt: „Exile“.

Treffpunkt Klassik SWR Kultur

Livemitschnitt vom 15.9.2020 Currentzis LAB mit Patricia Kopatchinskaja und Helmut Lachenmann

Teodor Currentzis im Gespräch mit Patricia Kopatchinskaja und Helmut Lachenmann. Livemitschnitt in der Stuttgarter Liederhalle vom 15.9.2020.

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