"Brod-Arbeiten"
Die Briefe Beethovens aus der Zeit, in der er seine Klaviersonaten op. 109, 110 und 111 komponierte, sprechen Bände: Beethoven klagt. Über seine Gesundheit, über seine Verleger, über seine "Brod-Arbeiten".
Und er schreibt nicht immer die Wahrheit. Seinem Verleger Schlesinger in Berlin teilt er zu den 3 bestellten neuen Klaviersonaten im September 1820 mit: "Die erste ist fast bis zur Correctur ganz fertig", damit meint er die Sonate op. 109. Bereits knapp drei Monate vorher hatte er gar behauptet, die Sonate liege "schon fertig" bei ihm; auch das eine glatte Lüge, denn fertig war sie erst im Dezember 1820. Das Honorar allerdings hatte ihm der Verleger da bereits überwiesen. Die Versprechungen in Briefform waren also durchaus überzeugend. Das betraf auch die beiden 'Schwester'-Werke, die Klaviersonaten op. 110 und 111, von denen Beethoven beteuerte, an ihnen "arbeite ich jetzt ohne Aufschub". Tatsächlich aber arbeitete er vor allem an der Missa solemnis op. 123 (die ihrerseits schon im 'Verzug' war und hätte längst fertig sein sollen). Von den Klaviersonaten keine Spur. Im März des folgenden Jahres 1821 versprach Beethoven, "die beyden Sonaten folgen nun bald". Tatsächlich aber hatter er die Arbeit an op. 110 und 111 noch nicht einmal begonnen.
In den Skizzenbüchern kann man heute sehen, dass die beiden Klavierwerke im Sommer etwa zeitgleich entworfen wurden. Sonate 110 kündigte Beethoven dann am 12. Dezember 1821 seinem Verleger an, schrieb, "Sonate werden sie wohl jezt sehr bald erhalten" – und schickte sie tatsächlich zu Weihnachten 1821. Seinem Freund Franz Brentano gegenüber aber beklagte er sich über dieses "Brod-Arbeiten"...
Rheuma und Gelbsucht
Krank fühlte Beethoven sich in jener Zeit, und auch als er von schweren Krankheiten genesen war, steckten ihm diese noch sprichwörtlich in den Knochen. Notizen im letzten Satz der Klaviersonate op. 110 künden davon. Und überhaupt der letzte Satz: er ist ein mehrteiliges Auf und Ab der Gefühle und Kräfte. Auf Rezitativ und Arie folgen Fuge 1, ein weiteres Arioso, Fuge II und Coda. Dass all dies etwas Programmatisch sagen will, liegt auf der Hand. Dem grüblerischen Rezitativ mit seinem laut Beethoven "klagenden Gesang", folgt eine Fuge. Ruhig und ein bisschen heller, fast mit sakralem Charakter. Aber zweifelnd, innehaltend geht es weiter, und das zweite Arioso klingt zu Tode ermattet. Zehnmal Wiederholt Beethoven einen G-Dur-Dreiklang, es klingt wie ein Kräftesammeln vor der Fuge, die eine Umkehrung bringt - auch im übertragenen Sinn. Denn von ihr aus beginnt eine klanggewaltigen Schlußapotheose. Mit Blick auf Beethovens Lebenssituation wirken all diese musikalischen Entwicklungen dieses Satzes wie die Darstellung dessen, was er gerade durchgemacht hatte, nämlich seine Krankheit und schließlich seine Genesung durch die Kraft des Glaubens.
Michael Korstick (Klavier)
Michael Korstick, geboren 1955 in Köln, erhielt mit neun Jahren ersten Klavierunterricht. Nach seinem Studium in Köln und Hannover ging er an die New Yorker Juilliard School, und hier nannten ihn seine Kommilitonen "Dr. Beethoven", ein 'Titel', der ihm bleiben sollte. Denn längst sind sich auch Kenner der Musikwelt einig: Dieser Künstler zählt zu den bedeutendsten deutschen Pianisten, die mit ihren Interpretationen Maßstäbe setzen.
Als charakteristische Eigenschaft seines Spiels wird von der Kritik immer wieder die erstaunliche Balance zwischen brillanter Virtuosität und musikalischer Verinnerlichung im Spannungsfeld einer sehr ausgeprägten Persönlichkeit und kompromissloser Werktreue hervorgehoben. Erst im Alter von 43 Jahren, nach 20 erfolgreichen Konzert-Spielzeiten, erschienen seine ersten CDs – und machten prompt Furore. 2004 wurde seine bahnbrechende Interpretation von Beethovens "Hammerklaviersonate" op.106 veröffentlicht und rückte Korstick endgültig ins Bewusstsein eines breiten Publikums. Einstimmig wertete die Fachpresse diese Interpretation als Sensation, und ein gewaltiges Medienecho war die Folge (Süddeutsche Zeitung: "Ein Glücksfall", ZEIT: "grandios ... ein spektakulärer Beethoveninterpret"). Wenig später traf seine Aufnahme von Schuberts großer B-Dur-Sonate auf ähnliche Zustimmung und wurde mit dem "Echo Klassik 2005" als solistische Einspielung des Jahres ausgezeichnet.
2005 begann Korstick eine langfristige Zusammenarbeit mit dem Schallplattenlabel OehmsClassics, für das er zunächst einen kompletten Beethoven-Zyklus einspielte. Die erste Veröffentlichung in dieser Reihe, die Diabelli-Variationen des Bonner Meisters, wurde von der Fachwelt wiederum als maßstabsetzend begrüßt und mit dem „Preis der deutschen Schallplattenkritik“ ausgezeichnet. Joachim Kaiser kürte sie in der Süddeutschen Zeitung zur "Entdeckung des Jahres". Auch die Aufnahmen, die Michael Korstick im Kammermusik-Studio des SWR einspielt (bislang u.a. Klavierwerke von Mendelssohn und von Charles Koechlin), werden regelmäßig mit Preisen ausgezeichnet.