- Puccinis größtes Fiasko wird zum Welterfolg
- Das Problem mit Puccinis Quellen
- Streben nach Authentizität
- Versteckte Nationalhymnen
- Bedeutende Butterflys
1. Puccinis größtes Fiasko wird zum Welterfolg
„Um zwei Uhr gingen wir zu Bett und ich kann kein bisschen schlafen. Dabei waren wir alle so sicher! Armer Giacomo, wir bekamen ihn nicht zu Gesicht“, schreibt Puccinis Schwester nach der Premiere an ihren Ehemann. „Den zweiten Akt habe ich gar nicht gehört. Bevor die Oper vorbei war, rannten wir aus dem Theater.“
Die Uraufführung von „Madama Butterfly“, die am 17. Februar 1904 in der Mailänder Scala stattfindet, gerät für Puccini zum absoluten Fiasko. Es ist von einem der schlimmsten Flops in der Geschichte der italienischen Oper die Rede.

Der Zeitpunkt der Premiere einer Oper, die in Nagasaki um 1900 spielt, ist denkbar schlecht: Nur wenige Tage zuvor, in der Nacht vom 8. auf den 9. Februar, löst das japanische Kaiserreich mit dem Angriff auf Port Arthur den Russisch-Japanischen Krieg aus. In der Weltöffentlichkeit gilt das Inselreich als Aggressor.
Puccini sagt alle weiteren Aufführungen ab und zieht das Libretto zur Überarbeitung aus dem Verkehr. Ein zweiter Anlauf in Brescia gerät Ende März zum Erfolg. Der heutige Nachruhm fußt allerdings auf gefeierten Aufführungen an der Opéra-Comique in Paris (1906) und der Metropolitan Opera in New York (1907), letztere mit Geraldine Farrar und Enrico Caruso in den Hauptrollen. Sie machen das Stück schließlich zum Welterfolg.

2. Das Problem mit Puccinis Quellen
Auch wenn bei vielen Zuschauern einer klassisch inszenierten „Butterfly“ wohl vor allem schöne Kimonos, Paravents und Papier-Schiebetüren im Gedächtnis bleiben: Mit seiner Oper adaptiert Puccini tatsächlich einen ziemlich realitätsnahen Stoff für die Bühne.
Direkte Vorlage für die Oper ist eine gleichnamige Erzählung des Amerikaners John Luther Long (1861-1927). Der Schriftsteller berief sich in seinen japanbezogenen Stoffen auf Briefe seiner Schwester, die als Missionarin in Nagasaki lebte. Sie schrieb ihm von einem Teehaus-Mädchen namens „Cho-san“.

Weiterhin als Inspiration sowohl für Long als auch Puccini dürfte „Madame Chrysanthème“ gedient haben. Der seinerzeit erfolgreiche Reiseroman des französischen Marineoffiziers Pierre Loti ist ein Bericht von den Erlebnissen des Autors in Japan und seiner „Ehe auf Zeit“ mit einer 18-jährigen Japanerin.
Aus moderner Sicht ist Lotis Buch von 1888 trotz aller Faszination für Japans Traditionen gespickt von einer kolonialistischen Überheblichkeit gegenüber dem Fremden. Eine Sicht, die Puccini in „Madama Butterfly“ zumindest in den Grenzen seiner eigenen Zeit entschärft.

3. Streben nach Authentizität
Japan ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein großer Sehnsuchtsort für Kunstschaffende in Europa. Kunstströmungen wie der Jugendstil und der Impressionismus orientieren sich in Form- und Bildsprache an japanischen Künstlern wie Hokusai und Hiroshige sowie an japanischem Kunsthandwerk. Der „Japonismus“ ist geboren.
Erst in den 1850er-Jahren hatte sich das über Jahrhunderte hermetisch abgeschottete Inselreich auf Druck der amerikanischen Marine für westliche Einflüsse geöffnet. Der Austausch mit dem Westen wuchs, die Herrschaft der Shōgune wich einer Kaiser-Monarchie nach westlichem Vorbild.

Der „Culture Clash“ zwischen Ost und West, zwischen Tradition und Aufbruch, der die Tragödie von „Madama Butterfly“ ins Rollen bringt, ist in Puccinis Partitur auch musikalisch allgegenwärtig. Die Welt seiner Heldin Cio-Cio-San gestaltet Puccini mit Zitaten japanischer (und chinesischer) Volksweisen aus. Einige der zitierten Melodien sind noch heute in Japan bekannt.
Auf der Suche nach authentischen Quellen suchte sich der Komponist Hilfe von der Frau des japanischen Botschafters in Rom, Hisako Oyama. Sie beriet Puccini in kulturellen Dingen und versorgte ihn mit musikalischen Beispielen. Auch der belgische Musikwissenschaftler und Asien-Experte Gaston Knosp beriet Puccini musikalisch.

4. Versteckte Nationalhymnen
Wer genau hinhört, der kann sowohl die japanische als auch die amerikanische Nationalhymne in Puccinis Partitur erkennen.
Im ersten Akt singt Marineoffizier Pinkerton die Arie „America for Ever“, zu deren Beginn Puccini die amerikanische Hymne „The Star-Spangled Banner“ zitiert. Das 1814 geschriebene Lied ist bei der „Butterfly“-Premiere 1904 allerdings „nur“ eine Marine-Hymne – passend für den Marine-Offizier Pinkerton. Zur offiziellen Nationalhymne wird sie erst 1931.
Auch die japanische Kaiserhymne „Kimi ga yo“ klingt kurz beim Auftritt der japanischen Regierungsvertreter in der Hochzeitsszene zwischen Butterfly und Pinkerton.

5. Bedeutende Butterflys
Bei den Osterfestspielen in Baden-Baden gelingt der italienischen Sopranistin Eleonora Buratto unter dem Dirigat von Kirill Petrenko eine herausragende Interpretation der Titelrolle, meint SWR Kultur Opernkritiker Bernd Künzig.
Es ist eine Rolle, in der sich viele bedeutende Sopranistinnen des 20. Jahrhunderts versucht haben. Als erste Japanerin sang Tamaki Miura die Rolle ab 1915 unter anderem in Vereinigten Staaten und Großbritannien. Eine Statue, die Miura als Butterfly zeigt, ist heute am Ort der Handlung in Nagasaki zu sehen.
Als Referenzaufnahme gilt bis heute die Interpretation von Renata Scotto aus dem Jahr 1966 unter der Leitung von John Barbirolli mit dem Orchester des Teatro dell’Opera di Roma.
Ähnlich bedeutend: Mirella Freni, die Cio-Cio-San unter anderem 1974 an der Seite von Luciano Pavarotti unter der Leitung von Herbert von Karajan sang, sowie Angela Gheorghius Interpretation von 2009 unter der Leitung von Antonio Pappano (neben einem nicht ganz so unumstrittenen Jonas Kaufmann).
In den letzten Jahren haben sich unter anderem die albanische Sopranistin Ermonela Jaho und die Litauerin Asmik Grigorian als weitere exzellente Butterflys auf den großen Opernbühnen etabliert.