Weihnachten ist Bach-Hochsaison! Dabei gibt es Dutzende, wenn nicht Hunderte von Weihnachtsoratorien. Aber ohne Heinrich Schütz, das kann man vielleicht sagen, gäbe es sie alle nicht. Eine neue Aufnahme von Schütz‘ „Weihnachtshistorie“ liegt jetzt vor, eingespielt vom belgischen Ensemble Vox Luminis. Ein Garant für Fein- und Wertarbeit auf dem Gebiet der alten Musik.
Es braucht Alternativen zur weihnachtlichen Bach-Beschallung
Na gut, ich würde nicht so weit gehen, Bachs „Weihnachtsoratorium“ als das „Last Christmas“ des Kulturbürgers zu bezeichnen. Aber auf jeden Fall ist es gut, ein paar knackige Alternativen zum meistgespielten Titel der Saison zu haben. Man kann sich schließlich nicht nur an Keksen überfressen, sondern auch an Lieblingsmusiken.
Eine prima Option und zugleich ein Pionier auf dem Gebiet des gehobenen Christmas-Soundtracks ist die „Weihnachtshistorie“ von Heinrich Schütz, komponiert 75 Jahre vor Bach (und 324 Jahre vor „Last Christmas“ ). Offiziell heißt Schütz‘ Werk, das erstmals 1660 in Dresden aufgeführt wurde, „Historia der Geburt Christi“. Und es hat auch einen prima Evangelisten.
Ein empfindsamer Evangelist ist dieser Tenor Florian Sievers, von geradezu hypnotischer Sanftmütigkeit. Er dominiert Schütz‘ Weihnachtshistorie, bei der der Text der Geschichte allein im Mittelpunkt steht, nach Lukas und Matthäus, in schönstem Lutherdeutsch.
Textausdeutung der musikalisch erlesenen Art
Was es bei Schütz hingegen nicht gibt, sind individuelle Arien auf zeitgenössische Texte, die die Handlung unterbrechen und Affekte ausdeuten. Und auch nicht die Choräle, die uns als hörende Gemeinde einbeziehen. Das hat dann später der Schütz-Nachfolger Bach hinzugefügt.
Was Schütz aber tut, ist Textausdeutung der musikalisch erlesenen Art, wie bei Jeremias Prophezeiung des bethlehemitischen Kindermords:
Und was daneben für musikalische Farben sorgt, sind abwechslungsreiche Chöre. Hell und freudig klingen die Engel, ihre Harmonien schweben quasi. Während die Hirten logischerweise bodenständiger tönen: flötenselig – aber nicht simpel, sondern schon von sehr kunstvoller Volkstümlichkeit:
Garant für Fein- und Wertarbeit auf dem Gebiet der alten Musik
Das belgische Ensemble Vox Luminis, gegründet 2004 von Lionel Meunier, ist ein Garant für Fein- und Wertarbeit auf dem Gebiet der alten Musik. Seine neue Aufnahme von Schütz‘ „Weihnachtshistorie“ ist von betörend schönem Klang. Filigran und höchst differenziert ist der Chor.
Charakteristisch ist hier aber auch die starke Präsenz des Instrumental-Ensembles. Ausgehend wohl von der Tatsache, dass in Einleitung und Schluss der „Instrumentalchor“ auf Augenhöhe dem „Vokalchor“ entgegentritt, eine spezielle Art von Doppelchörigkeit.
Allerdings gehen dann hier tontechnische Paritätsentscheidungen für meinen Geschmack etwas zu Lasten der menschlichen Stimmen – besonders schade bei einem solchen Vokalensemble. Für das hörende Ohr, das aufs Wort erpicht ist, auf Textsinn, klingen die formal gleichberechtigten Sänger gegenüber den Instrumenten „zu weit weg“, finde ich. Als seien die Vokalisten zu tief im Aufnahmeraum platziert, der Église Notre-Dame im belgischen Gedinne.
Hier sollte jeder Interessierte selbst reinhören, ob einem die aufnahmetechnischen Charakteristika zusagen. Hochwertige Alternativen wären etwa Aufnahmen des Heinrich-Schütz-Chors mit Roger Norrington oder der Lautten Compagney.
In Sachen Ensemble kaum zu toppen
Was aber die Qualität des Vox Luminis-Ensembles selbst angeht, ist dieses Album kaum zu toppen. Und die Schütz-„Weihnachtshistorie“ mit ihren gut 30 Minuten passt auch einfach besser als der ausufernde Bach in den Zeitmangel, der uns heutzutage im Advent stresst.
Weil sie andererseits ein ganzes Album noch nicht füllt, ist hier noch weitere Musik von Schütz beigegeben, prächtig und andächtig, außerdem von dem noch älteren Andreas Hammerschmidt. Auch hörenswert.
Am Ende aber läuft doch alles auf den Engel der Weihnachtshistorie zu, gesungen von Erika Tandiono. Dieser Engel singt eben, was wir gerade wohl bringender brauchen denn je: „Fürchtet euch nicht.“
Bachs Weihnachtsoratorium erklärt
Einführung Bachs Weihnachtsoratorium, neu entdeckt von Reinhard Goebel – Teil 1: „Jauchzet frohlocket“
Der Dirigent Reinhard beleuchtet in sechs Folgen die sechs Kantaten von Bachs Weihnachtsoratorium – humorvoll und hintergründig und mit unfrisiertem Zugriff aufs scheinbar Vertraute.
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Der Dirigent Reinhard beleuchtet in sechs Folgen die sechs Kantaten von Bachs Weihnachtsoratorium – humorvoll und hintergründig und mit unfrisiertem Zugriff aufs scheinbar Vertraute.
Einführung Bachs Weihnachtsoratorium, neu entdeckt von Reinhard Goebel – Teil 3 „Herrscher des Himmels“
Wenn der Dirigent Reinhard Goebel über Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“ spricht, dann nicht mit Kniefall und Weihrauch. Der Alte-Musik-Experte nähert sich dem Notentext mit Lupe und dem unstillbaren Forscherdrang, Neues im Bekannten zu entdecken. Für SWR2 beleuchtet er in sechs Folgen die sechs Kantaten – humorvoll und hintergründig und mit erfrischend unfrisiertem Zugriff aufs scheinbar Vertraute. In Folge 3 geht Goebel ausführlich auf die Arie „Schließe, mein Herze, dies selige Wunder“ ein – sie sei „Bachs persönlichste Äußerung zu den drei Weihnachtsfeiertagen.“
Einführung Bachs Weihnachtsoratorium, neu entdeckt von Reinhard Goebel – Teil 4: „Fallt mit Danken“
Wenn der Dirigent Reinhard Goebel über Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“ spricht, dann nicht mit Kniefall und Weihrauch. Der Alte-Musik-Experte nähert sich dem Notentext mit Lupe und dem unstillbaren Forscherdrang, Neues im Bekannten zu entdecken. Für SWR2 beleuchtet er in sechs Folgen die sechs Kantaten – humorvoll und hintergründig und mit erfrischend unfrisiertem Zugriff aufs scheinbar Vertraute. In Folge 4 beleuchtet Goebel das besondere Horn-Kolorit der Neujahrs-Kantate und rühmt die kompositorische Meisterschaft, die Bach auch hier in den Dienst Gottes stellte.
Einführung Bachs Weihnachtsoratorium, neu entdeckt von Reinhard Goebel – Teil 5: „Ehre sei dir Gott“: Zwischen Erschrecken und rauschhaftem Vergnügen
Wenn der Dirigent Reinhard Goebel über Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“ spricht, dann nicht mit Kniefall und Weihrauch. Der Alte-Musik-Experte nähert sich dem Notentext mit Lupe und dem unstillbaren Forscherdrang, Neues im Bekannten zu entdecken. Für SWR2 beleuchtet er in sechs Folgen die sechs Kantaten – humorvoll und hintergründig und mit erfrischend unfrisiertem Zugriff aufs scheinbar Vertraute. In Folge 5 erläutert Goebel, warum ihm der Eingangschor „ein rauschhaftes Vergnügen“ bereitet und wie beziehungsvoll Bach rote Fäden zwischen die einzelnen Nummern legt.
Einführung Bachs Weihnachtsoratorium, neu entdeckt von Reinhard Goebel – Teil 6: Wie Bach das „Weihnachtsoratorium“ beschließt
Wenn der Dirigent Reinhard Goebel über Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“ spricht, dann nicht mit Kniefall und Weihrauch. Der Alte-Musik-Experte nähert sich dem Notentext mit Lupe und dem unstillbaren Forscherdrang, Neues im Bekannten zu entdecken. Für SWR2 beleuchtet er in sechs Folgen die sechs Kantaten – humorvoll und hintergründig und mit erfrischend unfrisiertem Zugriff aufs scheinbar Vertraute. In der letzten Folge erläutert Goebel, wie Bach nach kurzzeitigen Momenten der Konfusion das Werk zu einer geschlossenen Einheit bringt.