Reinhard Goebel und die Berliner Barocksolisten haben gerade ihr zweites Album namens „Cremona“ veröffentlicht. Die erste CD hatte diverse italienische Violinkonzerte für mehrere Sologeiger präsentiert, von Locatelli bis Sammartini. Bei „Cremona 2“ geht es wieder um Violinkonzerte mit Mehrfachsolisten. Aber es stehen diesmal auch deutsche Komponisten mit auf der Agenda, nämlich Telemann und Bach. Dazu vier Mal Vivaldi: vier Concerti aus dessen beliebten L’Estro armonico.
Geigengipfeltreffen
Erst sind es zwei, dann vier Soloviolinen, die im „L’Estro armonico“ von Antonio Vivaldi in Terzen abwärts sauen, ein Geigengipfeltreffen der Geigen und auch das Cello mischt unten solistisch mit.
Vivaldis Sammlung von 12 Konzerten für 2 bis 4 Soloviolinen, genannt „L’Estro armonico“, kam 1711 in Amsterdam im Druck heraus, wurde in London nachgedruckt und erregte Aufsehen in ganz Europa. Vor allem Komponisten interessierten sich für diese formale Vielfalt in der Einfalt, die Antonio Vivaldi so konsequent ausprobiert, die chorische Aufteilung der Stimmen, die Varianz der Ritornelle.
Tatsächlich wird aber nie echt vierstimmig konzertiert im Allegro aus dem Concerto Nr. 1 D-Dur. Die vier Solo-Geigen wechseln sich ab. Gleichzeitig zu hören sind sie nur paarweise.
Noch eine Aufnahme?
Die Berliner Barock Solisten spielen Vivaldi, unter Leitung von Reinhard Goebel und zwar hervorragend. Doch wieso? Warum kümmert sich dieses kleine, nonkonformistische, einstmals von Konzertmeister Rainer Kussmaul begründete Spezialensemble der Berliner Philharmoniker um so ein Allerwelts-Repertoire, von dem doch mehrere Dutzend Aufnahmen im Katalog stehen?
Die Antwort ist schlicht und einfach: Erstens, weil ein paar Spitzenmusiker große Lust auf das Projekt hatten. Und zweitens, weil es sich um ein neues Reinhard-Goebel-Projekt handelt. Reinhard Goebel arbeitet schon seit über sieben Jahren mit den Berliner Barock Solisten regelmässig zusammen, als Dirigent und Künstlerischer Leiter. Er hat sich jetzt vorgenommen, sämtliche italienischen Konzerte für drei oder vier Solo-Violinen zu erarbeiten.
Es geht dabei vor allem um die Grundlagen der Blüte des Geigenspiels in dieser Zeit. Weshalb das Projekt „Cremona“ heißt, und nicht „Venedig“. Auf dem neuen Album, „Cremona 2“ geht es außerdem darum: Wer lernte was von Vivaldi? Johann Sebastian Bach, zum Beispiel, übernahm das zehnte Concerto aus dem „L’Estro armonico“ und schrieb es um in ein Konzert für vier Cembali.
Goebel bearbeitet selbst
Auch Goebel legt selbst Hand an. Das Tripelkonzert für drei Cembali, C-Dur BWV 1064 verlegt er nach D-Dur und schrieb es um für drei Soloviolinen. Tatsächlich ist dieses Bachsche Cembalo-Tripelkonzert eine Selbstbearbeitung Bachs, das haben die Musikforscher herausgefunden.
Das Original dazu war ein verschollenes Violinkonzert Bachs aus seiner Weimarer Zeit. Aber die Quellenlage ist finster. Von der Cembalofassung gibt es nur Kopien, kein Autograph. Gustav Leonhardt hatte es vor Jahrzehnten schon mal versucht, den „Urtext“ dazu, das ursprüngliche Violinkonzert, zu rekonstruieren. Jetzt besserte Goebel die Sache aus. Er spricht von einer „Rekonstruktion“.
Gute-Laune-Album
Außer dieser Bach-Goebelschen Ersteinspielung und den vier Vivaldi-Concerti gibt es auf dem Album „Cremona 2“ auch noch zwei Concerti von Georg Philipp Telemann zu entdecken, eines für vier Soloviolinen, eines für drei – und mit viel italienischem Figurenwerk. Letzteres hatte Reinhard Goebel vor Jahrzehnten als Jungspund schon einmal für die Schallplatte eingespielt, mit seinem Ensemble Musica Antiqua Köln.
Heute, mit den Berliner Barock Solisten, tönt das noch schärfer, noch schneller. Ein geistesblitzfunkelndes, aufgeklärtes Gute-Laune-Album!
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Anfang: Signet
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