Vom Ständchen zum „Schmutzfänger“
„Eine kleine Nachtmusik“ ist Mozarts populärste Komposition – viel geliebt und viel gespielt von Streichorchestern auf der ganzen Welt. So oft, dass sie nach Meinung des Dirigenten und Alte-Musik-Experten Reinhard Goebel auch zum „Schmutzfänger“ werden konnte: „Die Interpreten haben auf das, was sie vorgefunden haben, noch ihre eigene Meinung drübergestülpt.“
In der Folge sei das Werk für viele Künstler „eine No-Go-Area“ gewesen, auch für Goebel selbst. Erst nach langer Vorbereitungszeit und mit kritischem Blick in die überlieferten Quellen habe er eine Aufnahme vorgelegt – im Jahr 2021 mit den Berliner Barocksolisten.

Das Werk ist 1787 als „kleine Nebenarbeit“ während der Komposition der Oper „Don Giovanni“ entstanden. Unbekannt ist, warum und für wen Mozart die Serenade komponierte. „Vielleicht war es ein Geburtstagsständchen“, mutmaßt Goebel.
„Dann aber für einen Musikliebhaber, der 20 Minuten Ständchen aushält!“ Unklar ist auch, warum die Komposition ausschließlich für Streicher ist, wo doch die meisten Serenaden und Nachtmusiken im Freien gespielt und darum für Bläser geschrieben wurden.
Die Kunst des Populären
„Du musst auf das Populäre achten“ – so habe ihn Leopold Mozart, sein Vater, immer wieder ermahnt. Mozart befolgte den Rat, indem er in „Eine kleine Nachtmusik“ sehr viele Wiederholungen einkomponierte: „Wenn wir jede Wiederholung rausstreichen würden“, so Goebel, „dann kämen wir ungefähr auf die Hälfte der Zeit und des bedruckten Notenpapiers.“ Wiederholungen seien für diese Musik jedoch extrem wichtig: „Je einfacher das adressierte Publikum, desto mehr Wiederholungen von zündenden Ideen braucht es.“
Zu Beginn mache das ganze Ensemble „Krach und Radau“: Die Zuhörer sollten überrascht oder überhaupt zum Zuhören gezwungen werden. Und auch in der Folge sei immer eine Stimme dabei, die „schrubbt“: nicht feinsinnig, sondern schlichtweg auf Lautstärke bedacht. Außerdem wisse Mozart, wie man „ganz billigen musikalischen Gehalt“ gekonnt mit Verzierungen umspielt.
Eine weitere Spielart des Populären seien die vielen Tonwiederholungen, die ihre Herkunft in der komödiantischen Musik der italienischen Operette haben. Sie bringen in Mozarts Musik immer wieder „einen gewissen Albernheitsfaktor“.

Wo Schreckgespenster ihr Unwesen treiben
Während der erste Satz laut Goebel „ein Ohr- und Herzöffner“ ist, der mit lustigen Effekten spielt und hier und da auch mit der „Schnulze“ flirtet, dringt der zweite Satz tiefer vor. Zwar verwendet Mozart auch in dieser „Romance“ keine besonders anspruchsvollen kompositorischen Mittel, sondern setzt – wie schon im ersten Satz – auf viele Wiederholungen und eine kunstvoll komponierte Naivität.
Aber im Mittelteil in c-Moll beschreitet Mozart neue Gebiete. Denn er überlegte sich offensichtlich: „Was erleben wir in der Nacht?“ Goebel hört aus Mozarts Musik „Schreckgespenster, die unter der Kellertreppe sitzen oder unterm Bett ihr Unwesen treiben: Dinge, die uns ängstigen.“ Goebel fühlt sich hier an das Konzert g-Moll RV 439 von Antonio Vivaldi erinnert, das den Titel „La Notte“ trägt: Bereits dort, um 1720, huschen Gespenster – „fantasmi“ – durch die Musik.
Der Inbegriff der Unterhaltungsmusik
Der dritte Satz ist ein „Menuett“, obwohl der Tanz zur Zeit der Entstehung der „Kleinen Nachtmusik“ bereits einigermaßen außer Mode war. Das Werk hatte ursprünglich sogar zwei Menuette – bereits eines nach dem ersten Satz –, wobei dieses aus dem Manuskript nachträglich entfernt worden sei und uns heute unbekannt ist.
„In dem Augenblick, wo Tänze tot sind, weil sie nicht mehr gebraucht werden, wandern sie in die Kunstmusik“, erklärt Goebel. Für Mozarts Zuhörer war das Menuett „der Inbegriff der Unterhaltungsmusik“. Ob man dazu getanzt oder nur ein bisschen geschunkelt habe, wisse man nicht. Alles in der Musik sei auf Einfachheit und schnelle Aufnahmefähigkeit ausgerichtet.
Für den Interpreten sei entscheidend, ein angemessenes Tempo für diesen Tanzsatz zu finden. Das „flotte Tempo“, das Goebel in seiner eigenen Aufnahme wählt, orientiert sich an den von Mozart in der Partitur notierten Artikulationsbögen. Diese seien so umzusetzen, dass sie von einem Streicherbogen „in natürlicher Laufgeschwindigkeit“ realisiert werden können, „ohne auf der Saite zu kleben“.
Ein guter Schluss ziert alles!
Für Reinhard Goebel ist der vierte und letzte Satz „der eigentliche Hauptsatz“ des Werks, da er kompositorisch am anspruchsvollsten sei. Alle bisherigen Mittel zur Erzielung des Populären finden sich auch hier – allen voran die Wiederholung, die ohnehin das Hauptmerkmal eines „Rondo“ ist.
Um große Klangentfaltung zu erzeugen, lässt Mozart auch die Mittelstimmen – also sogar auch die Bratschen! – teilweise in Doppelgriffen spielen. Harmonisch interessant sei der zweite Teil des Satzes. Auch hier erkennt Goebel eine Anspielung an das „Nachtkonzert“ von Vivaldi – diesmal in Form von „bellenden Hunden“.
Die von Mozart verwendeten Mittel zeigen, wie der Komponist diesen Satz als Krönung des gesamten Werks anlegte – gemäß der Devise „Finis coronat opus – Das Ende krönt das Werk“. Denn „die größten kompositorischen Tricks“ habe sich Mozart für das Ende aufgehoben, wenn die 1. Geige zunächst mit der Bratsche, dann mit dem Violoncello einen kleinen Kanon anstimmt. Goebels Fazit: „Wir werden bis zum Schluss gut unterhalten!“
Stets beliebt, auch für Bearbeitungen: Mozarts „Kleine Nachtmusik“ arrangiert für Orgel: