24 essayartige Texte zur Bedeutung von Richard Tauber

Wohltuend kritische Distanz

Stand
Autor/in
Christoph Vratz
Christoph Vratz

Buchkritik vom 11.4.2018

Er war einer der besten Mozart-Tenöre im frühen 20. Jahrhundert, und er war Muse für Franz Lehár, der zahlreiche Operetten nur für ihn geschrieben hat; er sprang als Dirigent für Thomas Beecham ein, komponierte, war Schallplattenstar und populärer Entertainer – Richard Tauber war eine Art Rundum-Künstler. Ende September 1947 stand der gebürtige Linzer und eingebürgerte Brite letztmalig auf einer Opernbühne, in London als Don Ottavio in Mozarts „Don Giovanni“. Rund drei Monate später war er tot. Die Verklärung seiner Person war da bereits in vollem Gange.

Nun kann man auch Heide Stockinger und Kai-Uwe Garrels zu diesen Tauber-Forschern zählen. Die beiden Verfasser schreiben aus teils sehr persönlicher Sicht, wie sie zu Tauber gefunden und sich als Autoren-Duo schließlich zusammengetan haben.

Entstanden ist keine streng chronologische Biografie. Es sind vielmehr 24 essayartige Texte. Sie schildern etwa einen Gedenk-Spaziergang durch Berlin an Taubers 125. Geburtstag, ein Treffen mit einem passionierten Tauber-Sammler und Betrachtungen zu Taubers Selbststilisierung mit Monokel und Filmeheld-Lächeln.

Dieses Buch besteht im besten Sinne aus „Annäherungen“, je zwölf von jedem Autor. Stockinger (lange Zeit Literatur-Redakteurin beim ORF) und Garrels (der fast zehn Jahre als Dramaturg für das Lehár-Festival in Bad Ischl tätig war) haben Orte aufgesucht, an denen Tauber gelebt und gesungen hat, sie haben eine Fülle von Dokumenten gesichtet und reichlich Bildmaterial zusammengetragen – Tauber in allen Facetten, strahlend im Auto, lachend auf Autogrammkarten, kokett im Bühnenkostüm. Trotz deutlicher Tauber-Verehrung der Autoren: Es gelingt durch die vielen Texte und Dokumente, Legendenhaftes zu entzaubern und wieder in eine Welt der Fakten zu überführen, wobei auch Taubers Zeit in Berlin und im englischen Exil beleuchtet wird.

Die beigefügte CD ist weit mehr als ein simples „Best of“. So werden etwa Arien aus „Lohengrin“ oder „Rigoletto“ im Vergleich angeboten, mit Tauber – und anderen Tenören seiner Zeit. Die CD schlägt dabei auch historische Bögen. Man hört zum Beispiel Ausschnitte aus Richard Strauss‘ „Rosenkavalier“ aus dem Uraufführungsjahr 1911. Da sang Tauber noch gar nicht mit. Erst zwei Jahre später wurde er in Dresden Königlicher Hofopernsänger und prägte das dortige Musiktheater.

„Tauber, mein Tauber“ – dieser Band ist ein Verweil-Buch, geprägt von Tauber-Verehrung, aber auch von wohltuend kritischer Distanz, ein Band, der von vielen unterschiedlichen Blickwinkeln lebt und die Bedeutung des Sängers geschickt in unsere Gegenwart transferiert.

Buchkritik vom 11.4.2018 aus der Sendung „SWR2 Cluster“