Sie alle sind im selben Moment fotografisch festgehalten. Alle singen das hohe C, die einen mit weit geöffnetem Mund, die anderen mit verzerrten Lippen. 44 Tenöre in C-Stellung zieren Vorder- und Rückseite dieses neuen Buches. Warum aber ausgerechnet 44? Die Frage bleibt leider unbeantwortet.
Die beiden Autoren Evelyn Rillé und Johannes Ifkovits versprechen allerdings schon auf dem Titel, dass sie die „Weltbesten Tenöre“ auf rund 300 Seiten erfasst haben. Natürlich sind die Prominenten, die Stars der Branche, vertreten – von Roberto Alagna bis Klaus Florian Vogt, mit Domingo, Kaufmann, Floréz, aber auch Altgedienten wie Peter Schreier und René Kollo. Daneben finden sich vielversprechende Jung-Tenöre, die ihre Qualitäten erst noch dauerhaft beweisen müssen, Benjamin Bruns etwa, Yosep Kang oder Joel Prieto. Eine sehr persönlich gefärbte Auswahl – darüber darf man nicht streiten.
„Die weltbesten Tenöre“ ist ein Ausnahme-Buch – ein Buch, das es wohl so noch nicht gegeben hat und deswegen vielleicht auch polarisiert.
Zunächst zu den beiden Autoren: Als Verfasser von Musikbüchern oder als Musikjournalisten im engeren Sinne sind sie beide bislang noch nicht in Erscheinungen. Evelyn Rillé war ehemals Posen-Girl für Boulevardblätter, heute ist sie Unternehmerin für Brillen; an ihrer Seite hat Autor und Fotograf Johannes Ifkovits früher mal an einem Band zu Koch-Rezepten mit Sängern gearbeitet. So weit, so gut.
Was diesen Band auszeichnet, ist vor allem zweierlei: der methodische Aufbau und das Bildmaterial. Zunächst zur Methodik: Jeder Sänger wird mit einer erfreulich knappen Biografie präsentiert, anschließend folgt jeweils ein zwei- oder dreiseitiger Text. Hier werden die Sänger näher vorgestellt, mit ihren wichtigsten Rollen, mit ihren Gewohnheiten, Ängsten, Träumen; mit kuriosen Begebenheiten, mit grundlegenden Einstellungen zum Beruf, Abwegigem und Erheiterndem. Etwa wenn René Kollo erzählt, dass er während seiner Japan-Tournee tagsüber geschwiegen hat, um für abends die Stimme zu schonen.
Diese Texte sind alle so geschrieben, dass sie ein breites Publikum erreichen. Hieraus kann wirklich jeder Leser seinen Nutzen ziehen, der Laie ebenso wie der Opernnarr, der Liebhaber und der Alles-Kenner. Ergänzt wird jedes der Porträts um ein kleines Interview, teils zwar mit wiederkehrenden Fragen, aber immer mit einem Augenzwinkern. „Was haben Sie in Ihrer Hosentasche?“, „Sportauto oder Fahrrad?“, „Warum sind die hohen Noten so attraktiv?“ oder: „Was sagte Ihre Mutter immer?“
Das erscheint zunächst einmal sehr boulevardesk, doch verraten viele Antworten auch etwas über den Menschen hinter dem singenden Bühnendarsteller.
Die Fotos sind weit mehr als nur schmückendes Beiwerk. Die Bebilderung ist herausragend, nicht nur fototechnisch, dank perfekter Beleuchtung und gezielter Schärfen und Unschärfen. Es ist vor allem die Wahl der Motive. Denn diese Fotos dienen zugleich als eine Art Subtext zum Geschriebenen. Sie zeigen die Sänger nie auf der Bühne, sondern ausschließlich als Privatmenschen mit ihren Ticks, ihren Gewohnheiten, ihren Vorlieben: René Kollo streng-heiter in einem nüchternen Treppenhaus, José Carreras nachdenklich vor einem Edel-Oldtimer im Heuschuppen, Michael Schade als heiterer Angler in Lederhose, Joseph Calleja leicht protzig im Pool und auf einer Yacht und Rollando Villazón, der ewige Clown, mit Loriot-Entchen in der Badewanne.
In jedem Leser steckt ein Voyeur, spätestens bei den knapp 20 Seiten „Making of-Fotos“ im Anhang, Bilder zwischen Smily-Pose und witziger Erinnerung. Wenig Nährwert, trotzdem schaut man gern hin. Ob es schließlich bei jedem Sänger zusätzlich einer eigenen Wein-Empfehlung bedurft hätte, darf allerdings bezweifelt werden. Sei’s drum. Dieser Band liefert viel anspruchsvolle Unterhaltung. Evelyn Rillé und Johannes Ifkovits bieten ein Buch zum Sich-Drin-Verlieren, zum Alleine-Gucken oder zum Gemeinsam-Durchblättern-mit-Anderen an. Es ist kein klassisches Lesebuch, sondern ein Band, den man sicher immer wieder gern zur Hand nimmt.
Buchkritik vom 13.12.2016 aus der Sendung „SWR2 Cluster“