Es war eine Sensation in den 1950er Jahren: Isolde Ahlgrimm spielte im Auftrag der Plattenfirma Philips erstmals sämtliche Werke für Cembalo von Johann Sebastian Bach ein. Und zwar auf Basis jahrelanger, akribischer Quellenstudien – im Geist heutiger historischer Aufführungspraxis. Eine von vielen Pioniertaten, denn Isolde Ahlgrimm hatte kein Vorbild, das ihr den Weg weisen konnte. Sie selbst hatte für sich erkannt, dass Barockmusik anders klingen müsste:
So Isolde Ahlgrimm 1955 im Begleittext zu ihrer Aufnahme der Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach. Er war der zentrale Komponist in ihrer künstlerischen Arbeit – auch wenn sie insgesamt gesehen ein breites Repertoire besaß bis hin zu zeitgenössischer Musik. Waren ihre Bach-Aufnahmen in den 1950er Jahren aufsehenerregend gewesen – auch aufgrund der guten historischen Instrumente, auf denen sie spielte, so wirkten nachfolgende Einspielungen kontraproduktiv. Das stellen jedenfalls Regula Winkelman und Peter Watchorn fest mit Blick auf jene Aufnahmen, die Ahlgrimm in Ostdeutschland gemacht hatte:
So erklären die Biografen, warum Isolde Ahlgrimm und ihre Verdienste um die historische Aufführungspraxis lange Zeit vergessen waren. Der australische Cembalist Peter Watchorn, einer der letzten Schüler Ahlgrimms und ihr persönlicher Freund, hat 2007 eine englischsprachige Biografie veröffentlicht. Sie bildet die Basis für das Buch, das jetzt im Böhlau Verlag erscheint. Die Schweizer Cembalistin Regula Winkelman hat es verfasst beziehungsweise Watchorns Ausführungen übersetzt. Neue Dokumente aus dem Nachlass der Musikerin kamen hinzu. Entstanden ist eine ebenso liebevoll wie fachkundig gemachte Biografie. Es fehlt eine kritische Distanz zur verehrten Lehrerin, um klarer zu benennen, was fortwirkt, und wo sie vielleicht irrte. Was das Buch auf jeden Fall leistet: Neben den hochkompetenten Reflektionen über Ahlgrimms Interpretationsstil bleibt im Gedächtnis, wie anschaulich das Autorenduo den Lebensweg der Musikerin schildert.
1914 in Wien geboren, bahnt sich die zierliche, gerade mal 156 Zentimeter große Musikerin mit viel Fleiß und unglaublicher Willenskraft ihren Weg. Zunächst hat sie in ihrem Ehemann Erich Fiala einen Mitstreiter. Ab 1937 sammeln die beiden systematisch historische Instrumente, und sie veranstalten in Wien zwei Jahrzehnte lang die „Concerte für Kenner und Liebhaber“. Im materialreichen Anhang zur Biografie findet sich unter anderem eine genaue Chronologie dieser „Concerte“ ebenso wie zahlreiche Texte, verfasst von Isolde Ahlgrimm:
Isolde Ahlgrimm hat 50 Jahre lang Konzerte gegeben und mit ihrer Arbeit nachfolgende Musiker beeinflusst – insbesondere auch Nikolaus Harnoncourt, mit dem die Cembalistin Gambensonaten von Bach aufnahm. In Wien unterrichtete sie als Professorin – fünf ihrer Schülerinnen und Schüler berichten in der neuen Biografie über diese prägende Erfahrung.
So puzzelt sich beim Lesen ein lebendiges, facettenreiches Bild von Isolde Ahlgrimm zusammen. Gut, dass es laut Biografie bald eine Neuauflage ihrer ersten, bahnbrechenden Bach-Einspielungen geben wird.
Buchkritik vom 23.11.2016 aus der Sendung „SWR2 Cluster“