Eine ungewöhnliche Musikgeschichte

Kurzweiliges Kompendium

Stand
Autor/in
Thomas Rübenacker
Thomas Rübenacker

Buchkritik vom 19.10.2016

Nicht nur beim Hobeln fallen Späne – auch wenn Musik gemacht wird. Das Buch „Tasten, Töne und Tumulte“ bündelt gut 1000 solcher „Späne“: amüsante und ernste, abstruse und alltägliche, diesseitige und abseitige.

Der Titel dieses Buches, „Tasten, Töne und Tumulte“, verrät (jenseits des Stabreims) eine gewisse Beliebigkeit, der Untertitel grenzt schon deutlicher ein: „Alles, was Sie über Musik nichtwissen“. Man merkt schon hier: Das ist kein Werk, das man fiebernd von A bis Z verschlingt; sondern ein Kompendium, in dem man immer wieder blättert – und dann aber oft sich festliest. Denn außer Abseitigem und Entlegenem gibt es Erhellendes, neben der mehrfach zugeschriebenen Anekdote auch hard facts, neben dem Klatsch von gestern immer auch überraschende Erkenntnisse von heute – die jeweils (wie übrigens auch der Klatsch) mit genauen Literaturangaben abgesegnet werden. Auf weit über 1000 Seiten findet ein „Trivial Pursuit“ statt, der oft gar nicht so trivial ist: Hinter vielen Aussagen, mögen sie noch so absurd erscheinen, schimmert ein Künstlerschicksal durch, das mit „Kunst“ manchmal gar nichts mehr zu tun hat. Es wird dann allgemein menschlich.

Natürlich gibt es Stichworte, die eher milde kitzeln als stechen. Muss man unbedingt wissen, was eine „Zwillingsgeige“ ist? Oder dass Wagner einmal in Frauenkleidern aus Wien floh, natürlich wieder mal vor seinen Gläubigern? Gähn. Das kannte man doch schon aus Funk und Fernsehen! Auch, welcher Komponist ein Brillenträger war oder wurde, schürft keine Erkenntnis. Bei Alkohol ist das eine andere Sache. Wenn man den Autoren Rainer Schmitz und Benno Ure glauben will, starben überraschend viele der großen Komponisten – an Leberzirrhose. Mit anderen Worten: Sie waren Alkoholiker. Dazu gehörten Beethoven und Brahms, Schumann und Liszt (der zuletzt zwei Flaschen Cognac und drei Flaschen Wein am Tag verputzt haben soll), Reger und Mussorgsky, Gluck, Glinka und Friedemann Bach sowieso. Einzig Franz Schubert entging dem Alkoholikertod: Die Spätfolgen der Syphilis waren schneller.

Es spricht sehr für diese Veröffentlichung, dass sie sich nicht im Munter-Skurrilen erschöpft, sondern die dunkelste deutsche Zeit nicht ausspart, das sogenannte Dritte Reich. Genannt wird zum Beispiel das Phänomen „Lagerorchester“, gebildet aus KZ-Insassen, die auf makabre Weise tatsächlich um ihr Leben spielten. Besonders zynisch der Begriff „Ausmerzen“, welcher dem Vorwort eines „Lexikons der Juden in der Musik“ entstammt. Zitiert wird das Machwerk wie folgt: „Die Reinigung unseres Kultur- und damit auch unseres Musiklebens von allen jüdischen Elementen ist erfolgt. Klare gesetzliche Regelungen gewährleisten in Großdeutschland, dass der Jude auf den künstlerischen Gebieten weder als Ausübender noch als Erzeuger von Werken (…) öffentlich tätig sein darf … Es kann nirgends eine wirkliche Verbindung zwischen deutschem und jüdischem Geist geben.“ So wurde dieses deutsche Kultur- und Geistesleben sein eigener Totengräber, mit den bekannten Resultaten. Und was kam danach? Unser Kompendium verschweigt auch das nicht: Nach dem Krieg wurde der federführende Autor der Judenhetze – Musikkritiker bei den Dortmunder Ruhr-Nachrichten. Man fragt sich, was er wohl dachte, wenn er Mendelssohn, Mahler oder Meyerbeer hören musste … Nun, vielleicht will man nicht alles so genau wissen, was man über Musik nicht wusste. Dass man es in diesem kurzweiligen Kompendium aber wenigstens einmal streift, ist Gold wert!

Buchkritik vom 19.10.2016 aus der Sendung „SWR2 Cluster“