Anne-Sophie Mutter und die Filmmusik – diese Kombination ist aus dem heutigen Konzertleben nicht mehr wegzudenken. Ihre Freundschaft mit Filmkomponist John Williams führte zu gemeinsamen Konzerten. Im Juli kommt die Weltklasse-Violinistin mit Williams' Filmmusik und seinem Violinkonzert zu den Ludwigsburger Schlossfestspielen mit einem großen Open-Air-Konzert. Mit SWR Kultur Redakteurin Lena Hofbauer hat sie über das Spielen unter freien Himmel und die Kraft von John Williams' Musik gesprochen.
SWR Kultur: Frau Mutter, schauen Sie sich vor einem Konzert die Filme nochmal zur Vorbereitung an?
Anne-Sophie Mutter: Bei John Williams ist es ja sehr glückhaft, dass seine Filmmusik absolute Musik ist. Ich glaube, es geht vielen Fans so, dass sie seine Musik auch abseits der Leinwand genießen können, weil sie eine in sich geschlossene Struktur hat. Sie hat einfach eine Gefühlsdichte und eine Erzählkraft, die weit über das Begleitende eines Films hinausgeht.

John Williams' Filmmusik: Ein wunderbarer Begegnungsort
SWR Kultur: Haben Sie denn immer Filmbilder im Kopf oder erleben Sie die Musik losgelöst als absolute Musik?
Anne-Sophie Mutter: Ich weiß, dass es Musiker gibt, die selbst bei der sogenannten absoluten Musik Bilder sehen oder die Tonarten als Farben wahrnehmen. Bei den meisten von uns ist das aber nicht so. Auch bei John Williams läuft bei mir nicht der Film ab.
Wenn ich an Williams‘ Debüt mit den Wiener Philharmonikern zurückdenke, bei dem ich dabei sein durfte. Da haben wir unter anderem „Hedwig’s Theme“ aus „Harry Potter“ gespielt, dieses große Thema für die weiße Eule.
Ich stand auf der Bühne, das Orchester begann, und ich sah meine Kinder im Publikum. Ich habe fast losgeweint, weil ich mich natürlich an diese wunderbaren Filmerlebnisse mit meinen Kindern erinnert habe. Aber das hatte weniger mit dem Film an sich zu tun als einfach mit dem gemeinsamen Erleben und dem Rückerinnern an das, was dieser Film uns als Familie bedeutet hat.
Ich glaube, das macht Filmmusik auch zu einem so wunderbaren Begegnungsort, weil wir losgelöst in Erinnerungen schwelgen können. Ich glaube, für das Publikum und für die vielen Williams-Fans ist es auch eine wunderbare Gelegenheit, diese gesammelten Erinnerungen noch einmal in sich aufsteigen zu fühlen.
Eine Einladung an Menschen mit Berührungsängsten zur Konzertmusik
SWR Kultur: Das Publikum feiert die Filmmusikklassiker immer noch am meisten, oder?
Anne-Sophie Mutter: Filmmusik schafft es, eine Brücke zu bauen zwischen dem sogenannten traditionellen Konzertpublikum und anderen Musikliebhabern. Ich sehe das als eine wunderbare Möglichkeit, das Interesse für die Geige und für Musik generell zu erweitern und auch Menschen einzuladen, die sonst eine gewisse Schwellenangst haben vor dem traditionellen Konzertsaal.
Der hat erstaunlicherweise immer noch auf manche Menschen eine leicht abschreckende Wirkung, obwohl es da drinnen sehr spaßig und emotionsgeladen zugeht. Aber es gibt eigentlich keinen schöneren Platz, als unter einem Sternenhimmel zu musizieren und Musik zu erleben.

SWR Kultur: Die Ludwigsburger Schlosskulisse ist wirklich einmalig und transportiert diese Magie. Spielt man eigentlich Open Air anders?
Anne-Sophie Mutter: Gottseidank haben wir heutzutage Soundsysteme. Ich werde mit meinem Tonmeister reisen. Er ist immer da, wenn es um meinen Klang geht. Vor zwanzig Jahren habe ich mich in einem Open-Air-Setting überhaupt nicht wohlgefühlt, weil ich mich im Klang nicht wiedergefunden habe.
Nun ist das aber so weit entwickelt, dass man bei einem Open-Air-Konzert oft ein besseres Klangerlebnis hat als in einem akustisch nicht idealen Konzertsaal.
Ich liebe die Natur und ich liebe es, in freier Wildbahn musizieren zu dürfen. Natürlich ist es eine besondere Atmosphäre, eine vielleicht auch festlichere, lockerere und emotionalere Atmosphäre, in der auch beim Publikum eine größere Offenheit da ist, sich an dem Geschehen zu beteiligen. Es gibt mehr Interaktion vom Publikum hoch auf die Bühne und nicht eben nur von der Bühne zum Publikum.
Ich hatte einmal ein Konzert in Südfrankreich. Da stand ich in Konkurrenz zu den Grillen. Ich muss gestehen: Die Grillen haben gewonnen. (lacht)
Einen Klang in Referenz zum Original entwickeln
SWR Kultur: Ihr Konzert widmet sich der Filmmusik. Die Filmthemen wurden für Sie auf der Geige neu arrangiert. Was ist dabei wichtig?
Anne-Sophie Mutter: Die wichtigste Arbeit muss natürlich der Komponist leisten, indem er aus seinem Riesen-Œuvre Werke aussucht, die für diese Umwandlung geeignet sind. Viele der heroischem Dauerthemen bei John Williams sind ja für Blechbläser geschrieben, etwa für French Horn. Deshalb ist dieser Auswahlprozess unfassbar wichtig.
Daraus erwächst aber auch meine Aufgabe, in einer Art und Weise zu spielen, dass ich wie ein French Horn klinge oder, dass ich den glasklaren Klang einer Celesta imitiere. Das macht es natürlich auch für mich als Interpretin wahnsinnig spannend, innerhalb dieser kurzen, aber sehr prägnanten Filmthemen die Stimmung auf den Punkt zu bringen, immer in Referenz an das im Original angedachte Instrument.
SWR Kultur: Das ist ja nicht ihr erstes Filmmusik-Konzert. Je häufiger man diese Werke spielt, desto mehr verändert sich ja das Spiel auch mit der Zeit. Wie hat sich Ihr Spielen oder der Zugang zur Musik entwickelt?
Anne-Sophie Mutter: Es ist eine Sprache, mit der ich im Kino als Zuschauerin aufgewachsen bin, aber nicht als Musikerin. Und darin liegt natürlich auch die große Herausforderung.
Wir sollten aber das Violinkonzert auch nicht ganz unter den Tisch fallen lassen. John Williams schrieb es für mich und es wird einen ganz zentralen Platz im Reigen des Abends einnehmen. Es ist eine Referenz an den Jazz.
John Williams weiß um meine Liebe zum Jazz. Es gibt auch ein weiteres Jazz-Thema an dem Abend: „Nice to Be Around“ aus dem Film „Cinderella Liberty“. Er hat mir später gestanden, dass er doch etwas nervös war, als ich in der Probe anhob, dieses Jazzthema zum ersten Mal zu spielen. Immerhin ich bin im Schwarzwald geboren, das ist natürlich ziemlich weit weg von New Orleans.
Solidarität mit der künstlerischen Diaspora in den USA
SWR Kultur: Sie waren kürzlich in den USA unterwegs. Wie empfinden Sie die aktuelle Stimmung im Land? Musiker wie Christian Tetzlaff sagen aktuell ihre US-Konzerte ab. Wie gehen Sie mit dieser Kultureinschränkungen um?
Anne-Sophie Mutter: Man kann das aus mindestens zwei verschiedenen Perspektiven sehen. Man kann aus Protest nicht in den USA auftreten, weil man die politische Führung unter Umständen nicht brillant findet. Dann stellt sich die kritische Frage: Welche Länder würde man denn noch bereisen wollen und können?
Man kann auch ein Augenmerk auf die 48 Prozent der Amerikaner richten, die sich eine andere politische Führung gewünscht haben. Man kann auch zu Kollegen stehen, die jetzt in einer künstlerischen Diaspora leben und deren künstlerische Freiheit möglicherweise eingeschränkt wird.
Es ist richtig, dass das Kennedy Center jetzt unter politischer Führung steht und künstlerisch nicht komplett unabhängig ist. Richtig ist aber auch, dass große andere Institutionen und Orchester, da sie hauptsächlich privat finanziert werden, bisher in ihrer Programmgestaltung nicht tangiert wurden.
Ich persönlich finde es besonders wichtig, dass man jetzt als Europäer nach Amerika reist und denen beisteht, die im Protest sind gegen die kulturellen Kürzungen, die beispielsweise auch den öffentlichen Rundfunk betreffen. Es ist ein Protest, dafür zu sorgen, dass das kulturelle Leben in seiner Fülle so lange wie möglich weiter existiert.
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