Neues Album

Yann Tiersen: Bitte nicht mehr von Amélie sprechen

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Von Autor/in Marcel Anders

Die meisten Menschen kennen Yann Tiersen vor allem als Komponist von Filmmusiken, wie „Die fabelhafte Welt der Amélie“ oder „Good Bye, Lenin!“. Damit ist der gebürtige Bretone in den frühen 2000ern berühmt geworden – aber nicht wirklich glücklich. Ein Gespräch zur Veröffentlichung seines neuen Albums „Rathlin From A Distance/The Liquid Hour“.

Tiersen fühlt sich missverstanden

„Ich bin kein Komponist. Mein Background besteht darin, in einer Band zu spielen. Und ich habe nur angefangen, alleine Musik zu machen, weil mich meine Mitstreiter versetzt haben.“ Yann Tiersen fühlt sich missverstanden.

Kein Wunder: Kritiker vergleichen ihn mit dem britischen Filmkomponisten Michael Nyman („Das Piano“) und beziehen sich immer wieder auf Tiersens Soundtracks.

Der bekannteste: „Die fabelhafte Welt der Amélie“. Ein Welterfolg, der 140 Millionen Dollar eingespielt hat und bald sein 25. Jubiläum begeht.

 Tiersen will kein Romantiker sein

Für den sensiblen Tiersen sind der Film und die Musik ein Fluch, der nie zu enden scheint – obwohl er inzwischen 14 Solo-Alben veröffentlicht hat und sich immer weiter von der romantischen Filmmusik entfernt. Das lässt den Künstler regelrecht verzweifeln. 

„Mein Problem mit ‚Amélie‘ ist, dass mir der Film zu süß ist. Eine langweilige Liebesgeschichte im altmodischen Paris. Dabei bevorzuge ich das neue, multikulturelle. Was mich aber am meisten stört: Mein Werk wurde komplett sinnentfremdet“, so Tiersen.

„Ich habe meinen Vater verloren, als ich sieben war – und Musik war meine Zuflucht und Therapie. Deshalb ist sie nicht süß, sondern hat mit Schmerz zu tun. Sie in dem Film zu hören, tut geradezu weh. Und weil das Ganze ein solcher Erfolg war, muss ich nun damit klarkommen, dass meine Musik als romantisch verstanden wird.“

Protestmusik auf dem zweiteiligen Album

Tiersens aktuelles Album „Rathlin From A Distance/The Liquid Hour” ist ein weiterer Versuch, sich von „Amélie“ zu lösen. Auf rund 80 Minuten Spielzeit verfolgt er ein anspruchsvolles Konzept: „Rathlin From A Distance“, die erste Hälfte, besteht aus minimalistischen Klavier-Stücken.

„The Liquid Hour“, Teil 2, enthält sphärische Klangcollagen, die zwischen Ambient und Industrial angesiedelt sind. 

Tiersens Vergleich mit einer Marschmusikkapelle kommt nicht von ungefähr: Er versteht „The Liquid Hour“ als Protestmusik. Als Reaktion auf das rechtspopulistische Rassemblement National von Marine Le Pen.

Den bekämpft er mit Kompositionen wie „Delores“, einer Hommage an die Antifaschistin Dolores Ibarutti und ihre Rede „No pasaran“ zur Verteidigung der Demokratie. Die sei 2025 genauso wichtig wie 1936, als sie geschrieben wurde.

 Rebellische Töne

Für mich ist der Aufstieg der Rechten aber wie der letzte Schrei der Dinosaurier. Sie haben Angst vor dem Asteroiden, aber leider auch Geld und Macht. Insofern muss man etwas dagegen tun – zum Beispiel mit Protesten.

Rebellische Töne von einem, der sonst schweigt. „Rathlin From A Distance/The Liquid Hour“ ist das politischste Album von Yann Tiersen, hat aber auch eine ruhige, fast meditative Hälfte.

Bemühungen um bestmögliche CO2-Bilanz

Die basiert auf einem dreimonatigen Segel-Törn mit einer 12-Meter-Yacht – über die Faröer Inseln zu den Hebriden bis Nordirland. Eine wichtige Selbsterfahrung, so der Musiker. Aber auch die Blaupause für kommende Konzertreisen.

„Ich habe aufgehört, im Bus zu touren, weil das etwas aus einer anderen Zeit ist“, erklärt Tiersen. „Von Frühjahr bis Herbst bereise ich jedes Land, das eine Küste hat, per Boot. Ansonsten nehme ich mein Wohnmobil. Ich fahre sehr langsam, ohne Crew und bemühe mich um die bestmögliche CO2-Bilanz.“

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Marcel Anders