Nachruf

Vermittler zwischen Jazz und Klassik: Frankreichs Jazz-Genie Martial Solal ist tot

Stand
Autor/in
Günther Huesmann

Martial Solal war ein Improvisationsgenie und mit seiner Musiksprache seiner Zeit voraus. Am 12. Dezember 2024 ist der französische Pianist und Komponist im Alter von 97 Jahren verstorben.

Das Wichtigste für mich am Jazz ist die Freiheit. Spielen zu können, was man will. Ungebunden von der Ausgangsmelodie.

„Das war mein Lottogewinn“, erinnert sich Martial Solal an seine Filmmusik für  Jean-Luc Godards Meisterwerk „Außer Atem“ von 1960. Noch heute bekomme er Tantiemen dafür, erzählte Solal mit 84 Jahren.

Godard habe ihn gebeten, für „Außer Atem“  eine Filmmusik zu schreiben, die nur von einem einzigen Banjo-Spieler gespielt werden sollte. Solal antwortete auf die für ihn typische Weise: mit einem Soundtrack für Big Band und Sinfonieorchester.

Martial Solal bei der Jazz Night in der Salle Wagram, Paris (1963)
Geboren 1927 in Algier, startete Solal 1953 seine Karriere in den Jazzclubs von Paris an der Seite von Musikern wie Kenny Clarke, Lucky Thompson und Django Reinhardt.

Das passt zu Solal: Denn auch sein Spiel als Pianist steht für Fülle und Opulenz, er versöhnte in seinem Spiel Art Tatum mit Bud Powell, Thelonious Monk mit Lennie Tristano, und er brachte die „zwei großen Universen“, wie er sie nannte, zusammen: das der klassischen Musik und das des Jazz.

Waghalsige, sturzbachartige Soli

Martial Solal war ein Improvisationsgenie. In seinen sturzbachartigen Soli setzte er sich mit rhythmischen und harmonischen Waghalsigkeiten auseinander, die ihrer Zeit weit voraus waren.

„Am besten spielst Du genau dann, wenn Du die Leute denken lässt, dass alles sei ganz einfach“, so Solal über seinen Stil, „selbst wenn es sehr schwer ist“.

Martial Solal bei der Jazz Night in der Salle Wagram, Paris (1963)
Solal, hier bei einem Konzert in der Pariser Salle Wagram 1963, begann in den 1960er-Jahren immer mehr zu komponieren und tritt bei internationalen Festivals, u.a. in Newport, Montreal und Monterey auf. Längere Zeit wirkt er auch in New York.

Anfänge in der Pariser Jazz-Szene der 1950er-Jahre

Martial Solal kam am 23. August 1927 zur Welt, als Sohn französischer Eltern, die in Algier lebten. Als Kind begann er während eines öffentlichen Konzerts die Melodien von Liszts Ungarischer Rhapsodie freimütig neu zu kombinieren – da war der Improvisator Martial Solal geboren.

1950 kam er nach Paris. Dort knüpfte er den Kontakt zu Kenny Clarke, dem legendären Begründer des modernen Jazz-Schlagzeugspiels, und gründete mit ihm ein Trio, das zur Haus-Band im „Club Saint-Germain“ wurde.

04 Martial Solal Le Beau Danube Bleu

Ab 1960 begann Solal mehr und mehr zu komponieren. Er gründete eine Big-Band, die zur Keimzelle des viel gerühmten Orchestre National de Jazz wurde. In seinen Big-Band-Werken hielt Solal umwerfende Plädoyers für die  wechselseitige Druchdringung von Komposition und Improvisation.

Doyen des gallischen Jazz

Solal wurde Namensgeber und Stifter eines der renommiertesten Jazz-Klavierwettbewerbe, dem Concours Martial Solal, und zeigte sich überhaupt als uneigennütziger Förderer junger Talente. Nach dem Tod von Stéphane Grappelli war Solal der Doyen des gallischen Jazz, die von allen Seiten respektierte und verehrte Jazz-Instanz des Landes.

Martial Solal beim Piano Conclave 1976
Neben Filmmusiken für Jean-Luc Godard, Jean Cocteau und Marcel Carné schreibt bedeutende Jazzwerke sowohl für Kammer- als auch für große Besetzung.

Noch weit über 80  übte er zwei Stunden täglich Klavier. Wer das nicht tue, habe aufgegeben sich weiterzuentwickeln, sagte er. Aber sobald er die Bühne betrete, vergesse er alles, was er zuvor studiert habe.

„Ich hatte nie einen festgelegten Plan, was ich spielen werde. Manchmal trage ich eine kleine Liste in meiner Tasche“, erklärte der Pianist. „Aber nur um einen Ausgangspunkt zu haben. Wenn ich solo spiele, ist das zu 99 Prozent improvisiert.“

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