Ikone und Rebellin

Nina Hagen: Zum 70. Geburtstag der „Godmother of Punk“

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Sie rebellierte gegen die DDR und die Biederkeit der Bundesrepublik, wurde zur Punk- und Freiheitsikone und erfand sich immer wieder neu: 70 Jahre Nina Hagen in Bildern.

Nina Hagen wollte vor allem eines: Frei sein. Von niemandem vereinnahmt werden. Sie sei froh gewesen, dass es Make-Up gab, hat sie einmal gesagt. Eine Maske, hinter der sie verschwinden konnte.

Nina Hagen: Rätselhafte Wendungen

Sie rebellierte gegen die DDR. Doch ebenso gegen die Biederkeit der Bundesrepublik. So wurde Nina Hagen zum Punk. Zu einer Freiheits-Ikone, die nicht in irgendein Raster passen wollte, sich immer wieder neu erfand.

Später wurden die Wendungen ihres Lebens immer rätselhafter. Nina Hagen flirtete mit dem Hinduismus und einem missionarischen Christentum. Wer ist der Mensch hinter den vielen Verkleidungen? Einige ihrer Facetten in Bildern.

Die Schauspielerin und Sängerin Eva-Maria Hagen mit ihrer kleinen Tochter Nina auf dem Arm im Sommer 1957 in Ost-Berlin in der DDR.
Ihr Leben in Bildern: Nina Hagen kommt am 11. März 1955 in Ostberlin zur Welt. Sie ist die Tochter der bekannten Schauspielerin Eva-Maria Hagen. Ihr Vater ist Drehbuchautor Hans Oliva-Hagen. Die Ehe ihrer Eltern hält nicht lang. Die beiden trennen sich bereits, als Nina zwei Jahre alt ist. Bild in Detailansicht öffnen
Der Liedermacher Wolf Biermann, die Sängerin und Schauspielerin Eva-Maria Hagen, ihre Tochter Nina Hagen und der DDR-Regimekritiker Ralf Hirsch
Zu Ninas Ziehvater wird DDR-Dissident Wolf Biermann. Seit 1965 lebte er mit Eva Maria Hagen zusammen. Hier beide mit Nina im Jahr 1988. Familie Hagen/Biermann ist den DDR-Behörden höchst suspekt. Wegen des Kontakts zu Biermann gilt auch die junge Nina als „politisch unzuverlässig“. Die Schauspielschule darf sie deshalb nicht besuchen. Bild in Detailansicht öffnen
Die DDR Opern- und Schlagersängerin Nina Hagen, Deutschland 1970er Jahre.
Dennoch übernimmt sie einige Schauspielrollen. In der DDR startet Nina Hagen durch als Schlagersängerin . Ihr Song „Du hast den Farbfilm vergessen“ von 1974 ist bis heute ihr bekanntester Hit. Angela Merkel wünschte sich diesen Hit im Dezember 2021 beim Zapfenstreich zu ihrem Abschied als Bundeskanzlerin. Sie bezeichnete das Lied als ein „Highlight“ ihrer Jugend. Bild in Detailansicht öffnen
Nina Hagen um 1977
Nina Hagen ist gerade mal 21 Jahre alt, als sie die DDR verlässt. Es ist das Jahr 1976. Wolf Biermann wird vom DDR-Regime ausgebürgert. Viele sagen: es ist der kulturelle Offenbarungseid des Landes, der Anfang vom Ende. Aus Protest verlässt auch Nina Hagen das Land und schließt sich zunächst der Punkszene in London an. Bild in Detailansicht öffnen
Manfred Praeker, Herwig Mitteregger, Nina Hagen, Bernhard Potschka, Reinhold Heil von der Nina Hagen Band
1977 kehrt sie zurück nach Deutschland, gründet in Westberlin die Nina Hagen Band. Das Debütalbum der Band mit Titeln wie „TV-Glotzer“ und „Auf’m Bahnhof Zoo“ gilt in der biederen BRD als zweites musikalisches Schock-Ereignis nach dem Start des Rock’n’Roll Ende der 50er Jahre. Hagens Stimme gilt als sensationell. Für ihre Koloraturen nutzt sie einen Stimmumfang von vier Oktaven. Bild in Detailansicht öffnen
Nina Hagen 1978
In Großbritannien und in den USA gilt Nina Hagen als neue Marlene Dietrich oder Lotte Lenya. Doch der Erfolg mit ihrer Band währt nicht lang. Die Bandmitglieder überwerfen sich mit Nina Hagen, werfen ihr Egozentrik und Starallüren vor. Erfolge feiert die Band in den 1980ern unter dem Namen Spliff – und ohne Hagen. Bild in Detailansicht öffnen
Die Punk Nina Hagen im Jahr 1987
Zu diesem Zeitpunkt gilt Nina Hagen bereits als „Godmother of Punk“. Ihre Musik beeinflusst die deutschsprachigen Varianten des New Wave. Mit ihren schrillen Outifts und provokanten Aufritten wird sie zur Ikone des Punks in Deutschland. Ihr Erfolgsrezept: Tabus brechen und Grenzen überschreiten. Bild in Detailansicht öffnen
Gaststar Nina Hagen in der Comedy- und Muskshow Bananas, zwischen 1981 - 1984,
Doch Nina Hagen ist auch eine grandiose Darstellerin. Brillant mischt sie Musik und Schauspielerei, dreht mit Bandleader Herman Brood den Musikfilm „Cha Cha“ (1979) und tritt in der WDR-Musiksendung „Bananas“ (1981 - 1984) auf. Bild in Detailansicht öffnen
Nina HAGEN, deutsche Punk-Sängerin, in der Fernsehsendung "Zur Mitte! Zurück?" vom 07.02.1993
Nicht weniger konsequent verbindet sie Laszivität und Komik. Nina Hagen gehört zu den ersten, die sich in der Mediengesellschaft konsequent als Kunstfigur entwerfen und inszenieren. Es gebe sogar nur „wenige Kunstfiguren, die so konsequent Kunstfiguren sind“, schreibt Thomas Nöske, einer der Vertreter der Social-Beat-Literaturszene. Bild in Detailansicht öffnen
Nina Hagen zum Thema "Drogenfreigabe" beim "Talk im Turm" am 04.10.1992
Legendär sind auch ihre Talkshow-Auftritte. 1979 schockiert Nina Hagen im ORF das Publikum, als sie vor laufenden Kameras gestenreich den weiblichen Orgasmus erklärt. Im Bild diskutiert sie 1992 bei „Talk im Turm“ zum Thema Drogen. Bild in Detailansicht öffnen
Nina Hagen mit Ehemann Iroquois und Tochter Cosma Shiva auf der IFA in Berlin, Deutschland 1987.
Ihr Privatleben macht Hagen zu einem öffentlichen Spektakel. Nach einer Liaison mit Herman Brood, später mit dem niederländischen Gitarristen Ferdinand Karmelk, dem Vater ihrer Tochter Cosma Shiva (1981), heiratet sie 1987 in einer „Punkhochzeit“ auf Ibiza den Musiker Iroquois aus der Londoner Hausbesetzerszene. Er ist zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt. Die Ehe hält genau eine Woche. 1990 bekommt sie ihr zweites Kind, Sohn Otis. Dessen Vater ist der französische Stylist Franck Chevalier. Bild in Detailansicht öffnen
Nina Hagen 2010
Große Konzerterfolge gelingen Nina Hagen in den Jahren danach, bei der Deutschland-Tournee 1989 und mit dem Album „Street“ 1991. Als Sensation gilt auch jetzt wieder ihre Stimme, die „von der Kälte einer Grace Jones bis zur Raserei einer frühen Tina Turner sämtliche emotionalen Register beherrscht“, schreibt die Süddeutsche Zeitung noch 2009. Bild in Detailansicht öffnen
Nina Hagen und Max Raabe erhalten für ihre Einspielung von der "Dreigroschenoper" den "Echo Klassik 2000"
Mit modernen Klassikern steht sie in den 1990ern im Rampenlicht. Zusammen mit der Schauspielerin Meret Becker bestreitet sie ein Programm zum 100. Geburtstag von Bertolt Brecht. In der Rolle der Mrs Peachum singt sie 1999 mit Max Raabe und dem Ensemble Modern die Dreigroschenoper neu ein – und erhält dafür den Echo Klassik. Bild in Detailansicht öffnen
Nina Hagen als indische Tänzerin gewandet, vor dem Brandenburger Tor
Rätselhaft sind die spirituellen Wandlungen von Nina Hagen. Anfang der 1990er entdeckt sie Indien als zweite Heimat für sich und fühlt sich dem Hinduismus nahe. Bei ihrer Deutschland-Tour „1008 indische Nächte“ singt sie ein traditionelles indisches Bajan vor dem Brandenburger Tor. Bild in Detailansicht öffnen
Nina Hagen spricht über ihre evangelische Taufe 2008 am Fliegerhorst Büchel
2009 dann eine weitere Wende: Nina Hagen bekennt sich zum christlichen Glauben und ist seitdem intensiv in christlicher Mission unterwegs. Bei einer Pressekonferenz am Fliegerhorst Büchel spricht sie über ihre evangelische Taufe im Alter von 54 Jahren. Bild in Detailansicht öffnen
Nina Hagen stellt 2010 in der Berliner Parochialkirche das neue Album "Personal Jesus" vor
Immer wieder driftet ihr Glaube ins Seltsame oder Verschrobene. Nina Hagen macht unter anderem mit abgedrehten UFO-Theorien von sich reden. 2010 stellt sie in der Berliner Parochialkirche ihr Album „Personal Jesus“ vor, eine Mischung aus Gospel, Blues und Country. Ihm folgte 2011 das schon eher Nina-Hagen-typische Album „Volksbeat“, ihr bis dato letztes Album. Bild in Detailansicht öffnen
Besucherin der Frankfurter Buchmesse 2003 liest in der Autobiografie von Pop-Ikone Nina Hagen
Ihr Leben bilanziert Nina Hagen schon deutlich früher. Zur Frankfurter Buchmesse 2003 erscheint ihree Autobiografie „Nina Hagen: That’s why the Lady is a Punk“. Vermutlich bis heute ein gültiges Buch über die Künstlerin. Auf ihrem „Weg zur Erleuchtung“ scheint die Musik nur eine Nebenrolle zu spielen. Nina Hagen betrachtet ihr Leben wohl am ehesten als eine Art Gesamtkunstwerk. Bild in Detailansicht öffnen

Jenni Zylka über Nina Hagen: „,Ich mach's kaputt' eine punkige Attitüde“

Kreative Zerstörung sei es, was Nina Hagen auszeichne, sagt die Autorin Jenni Zylka im SWR Kultur Forum.

„Die Rastlosigkeit, das Bedürfnis nach Neuanfang“ sei Hagens Markenzeichen: „,Ich mach's kaputt', finde ich, ist eine sehr punkige Attitüde.“

Nina Hagen: Eine seltene Fusion von Kunstfigur und Privatperson

Zylka diskutiert über das Leben der Punkikone mit der Popkultur-Forscherin Anna Seidel aus Münster und dem Journalisten Joachim Hentschel. Er findet an Nina Hagen sympathisch, dass sie ihre Musik nie als Geschäftsfrau betrachtet habe.

Bei Nina Hagen stecke „viel impulsives Handeln dahinter“, so Hentschel. Egal ob sie manchmal daneben getreten sei oder Dinge falsch eingeschätzt habe: „Diese Fusion von Kunstfigur und Privatperson ist etwas, was wir in der Popkultur selten erleben.“

Forum Alles so schön bunt hier – Nina Hagen wird 70

Eva Röder diskutiert mit
Joachim Hentschel, Journalist und Autor
Dr. Anna Seidel, Popkulturforscherin an der Universität Münster
Jenni Zylka, Journalistin und Autorin

Forum SWR Kultur

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