Pflanzen mögen still dastehen, aber sie sind kompetent, kommunikativ und kooperativ. Die Wissenschaftsjournalistin Zoë Schlanger widmet den „Lichtwandlern“ ein augenöffnendes Buch.
„The Light Eaters“ heißt das Buch der Wissenschaftsjournalistin Zoë Schlanger im amerikanischen Original. Das klingt noch griffiger als der deutsche Titel „Die Lichtwandler“. Pflanzen „essen“ Licht. Die ganze Vielfalt des Lebendigen basiert darauf, dass sie die Energie des Sonnenlichts nutzen, um aus Wasser und Kohlendioxid unter Abgabe von Sauerstoff organische Moleküle zu synthetisieren.
In jedem Kapitel ihres Buches besucht die Journalistin Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die sich der Erforschung der komplexen Pflanzenwelt verschrieben haben; sie gewinnt Einblicke in Laboren und auf Expeditionen. Und immer wieder zeigt sich dabei, dass die Gestalten des Lebens viel feiner und komplexer miteinander verwoben sind, als es sich die botanische Schulweisheit lange träumen ließ.
Sind Pflanzen intelligent?
Im Zentrum steht die Frage, ob Pflanzen Formen von Intelligenz und Bewusstsein haben. Das mag als Vermenschlichung erscheinen, wird aber plausibel, wenn man von den erstaunlichen Leistungen der Pflanzen liest.
Durch das Verströmen von Pheromonen können sich Bäume gegenseitig warnen, so dass auch ferner stehende Artgenossen vorsorglich Giftstoffe produzieren, die sie vor dem zu erwartenden Raupenfraß schützen. Manche Pflanzen wehren sich gegen Blattfresser, indem sie deren Feinde – etwa Wespen – herbeirufen. Oder indem sie, wie die scheinbar biedere Tomate, ein Massaker anrichten:
Man hat herausgefunden, dass die Tomatenpflanze ihre Blätter mit einem Stoff füllt, der dafür sorgt, dass die Raupen sich von den Blättern abwenden und ihre Aufmerksamkeit stattdessen auf ihre Artgenossen richten. Die Raupen beginnen, sich gegenseitig aufzufressen.
Schall und Blüte
Und obwohl Pflanzen keine Ohren haben, können sie hören. Spielt man einer blühenden Strand-Nachtkerze die Fluggeräusche von Honigbienen vor, erhöht sie die Süße ihres Nektars, um noch lockender auf die Bestäuber zu wirken. Aber wo ist das Ohr der Pflanze? Es ist offenbar der Blütenkelch selbst.
Die Blüte wirkt wie ein Verstärker, ihre gesamte Form wie ein Resonanzlautsprecher… Das lässt vermuten, dass die Blüte diese Form aus demselben Grund angenommen hat, aus dem auch Satellitenschüsseln konkav sind.
Womöglich haben Pflanzen auch visuelle Fähigkeiten. Schlanger beschreibt eine Kletterpflanze aus dem Regenwald, die ihre Wirtsgewächse perfekt im Aussehen imitiert und in Experimenten sogar Plastikpflanzen nachgeahmt hat.
Pflanzen sind zudem sensibel für Berührungen. Zur uralten Bauernweisheit gehört es, dass man ihr Wachstum durch Stoßen, Schlagen oder Reiben beeinflussen kann. Die Pflanze reagiert darauf, indem sie kräftiger oder biegsamer wird oder ihr Immunsystem aktiviert. Aber kann man angesichts der erwiesenen Empfindlichkeit noch einen Brokkoli guten Gewissens ins kochende Wasser werfen? Dass Pflanzen Schmerz empfinden, wäre wohl doch zu anthropozentrisch gedacht, gesteht die Autorin ein.
Hotspot der Kommunikation
Bleibt die schwierige Frage, wie pflanzliches Denken und Verhalten ohne zentrale Steuerung funktioniert.
Wie kann etwas, das kein Gehirn besitzt, überhaupt die Reaktion auf irgendeinen Stimulus koordinieren? (…) Kann es sein, dass wir nach dem Falschen suchen? Natürlich besitzen Pflanzen kein Gehirn – aber was, wenn die ganze Pflanze als SOLCHE einem Gehirn ähnelte?
Wie bei Peter Wohlleben erfahren wir in Zoë Schlangers glänzend geschriebenem Buch, dass der Wald keineswegs still und schweigend dasteht, sondern ein Hotspot der Kommunikation ist, die über Pilz- und Wurzelgeflechte und andere subtile Kanäle läuft. Schlanger driftet dabei aber nie ins Esoterische. Sie geht nicht auf Konfrontation mit der biologischen Wissenschaft, sondern zeigt, wie diese in den letzten Jahren in ungeahnte Bereiche vorstößt. Ein Buch, das Augen öffnet.
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