Buchkritik

Wolfgang Engler – Brüche. Ein ostdeutsches Leben

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Von Autor/in Jörg Magenau

Innere Krise und Zerfall der gesellschaftlichen Strukturen: Der Soziologe Wolfgang Engler möchte mit „Brüche“ Auskunft über seine Lebenskrisen geben.

Autofiktionale Literatur hat ihren Reiz und mehr noch: ihren Markt. Autorinnen und Autoren wie Annie Ernaux, Edouard Louis oder Karl Ove Knausgård faszinieren durch den authentischen Charakter ihres Erzählens. Doch die Mode der Autofiktionalität treibt seltsame Blüten, spätestens dann, wenn sie den Sachbuchmarkt befällt.

Der Soziologe Wolfgang Engler hat mit „Brüche. Ein ostdeutsches Leben“ eine Selbsterklärungs- und Rechtfertigungsschrift vorgelegt, die zugleich auch Analyse der deutsch-deutschen Wirklichkeit ist.  

Schonungslosigkeit und Scham 

Das Vorbild für diese zwischen Bekenntnisliteratur und Wissenschaftsprosa oszillierende Gattung hat der französische Soziologe Didier Eribon mit seiner Autobiographie „Rückkehr nach Reims“ geliefert. Noch mehr bewundert Engler dessen Freund Edouard Louis für die Schonungslosigkeit, mit der dieser seinen Aufstieg aus provinziellem, subproletarischem Milieu in die Pariser Kulturelite beschrieben hat.

Den Verrat an der eigenen Klasse und die Scham, die dieser Verrat auslöst, entdeckt Engler auch bei sich selbst. Und er beansprucht auch Louis‘ Schonungslosigkeit in eigener Sache für sich:  

Ich bin selbst überrascht, von der gelegentlichen Härte des Urteils mir selbst gegenüber. Dennoch ist sie Teil eines Erkenntnisdrangs, der mich in meiner Arbeit mein ganzes Leben begleitet hat. Im Grunde war er der Kern, stand ab einem bestimmten Zeitpunkt im Zentrum meines Lebens.

Ausgangspunkt von Englers Selbstreflektionen ist eine schwere Depression, wegen der er sich zur Zeit der Corona-Pandemie mehrmals in klinische Behandlung begab. Die Rückschau auf das eigene Leben vollzieht sich also als Erklärung dafür, wie es dazu kommen konnte.

Jedoch gerät dieser Anlass rasch in Vergessenheit. Engler kommt danach nicht mehr darauf zurück. Trotzdem liest man seine Lebensgeschichte so, als müsse sie zwangsläufig in eine Depression münden. Damit gerät das Buch in eine merkwürdige Schieflage. 

Nachsicht statt Härte  

Die versprochene „Härte des Urteils“ erschließt sich nicht, Engler findet sich eigentlich fast immer ganz toll. Sein Leben schnurrt in der Rückschau eher bruchlos ab. Jahrgang 1953, aufgewachsen in einem parteitreuen Funktionärshaushalt, ist Engler einer der wenigen Ostdeutschen, denen es gelang, die Karriere nach der Wende fortzusetzen.

In der DDR studierte er Philosophie und landete nach einem kurzen Zwischenstopp bei der Akademie der Wissenschaften als Dozent in der Schauspiel-Hochschule „Ernst Busch“. 1992 wurde er dort Professor, 2005 Rektor bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2017.  

Kritisch schaut Engler eigentlich nur auf seine Haltung in der Nachwendezeit, als er hochnäsig und von oben herab über seine ostdeutschen Landsleute geschrieben habe, die sich vom Westen verkauft und verraten fühlten.  

Nahm ich in irgendeiner Weise daran Anteil, als Mitbürger oder Autor? Nichts dergleichen. Ich floh vor der Wirklichkeit, kehrte jenen, zu denen ich einmal gehören wollte, den Rücken, hatte allem Anschein nach die Seite gewechselt. 

Narzissmus und Nachdenklichkeit 

Das gilt umso mehr, als er sich zu seiner widersprüchlichen ostdeutschen Biographie bekennt. Er fragt: Wenn das eigene Leben schon früh im Kontext einer verlorenen Sache stand: Wie geht man damit um?

Doch anstatt bei sich zu bleiben, weicht er ins Allgemein-Historische aus, referiert seine Theorie der „arbeiterlichen Gesellschaft“, plädiert für ein bedingungsloses Grundeinkommen, verliert sich in Exkursen über die Grenzen des Wirtschaftswachstums und Reflektionen über die Kriege in der Ukraine und in Israel.

Das alles ist durchaus lesbar und diskussionswürdig, in der Mischung aus Nabelschau, Narzissmus und Nachdenklichkeit aber höchst befremdlich. Ein subjektiver Ansatz kombiniert mit wissenschaftlicher Objektivität könnte den Blick schärfen.

Hier aber gelingt keins von beidem. Selbst die im Titel angekündigten „Brüche“ sind nur eine Behauptung. „Einer wie ich“ wäre der bessere Titel. Aber den besetzte ja einst schon Franz Beckenbauer.  

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