Kurz nachdem die amerikanische Firma OpenAI den kostenlosen Chatbot ChatGPT auf dem Markt gebracht hatte, war es im Jahr 2023 ein Praxistest: Diverse Nutzer erstellten mithilfe der Software ein Kinderbuch in Wort und Bild, allein durch „Prompts“, also Eingabeaufforderungen an die Software.
Unter ihnen war der Produktdesigner Ammaar Reshi mit seinem Buch „Alice and Sparkle“ 2023 den Anfang machte. Auf Deutsch erschien fast zeitgleich „Mia, Finn und der kleine Roboter Ki“, hinter dem ein Team um die Schweizerin Ivana Leiseder steht.
Seitdem hat sich die Branche gewandelt. Waren die oben genannten Beispiele noch offen als KI-generierte Werke gekennzeichnet und als Machbarkeitsversuche charakterisiert, so gibt es mittlerweile viele Titel auf dem Kinderbuchmarkt, die zumindest fragwürdig erscheinen.

KI-Kinderbücher überfluten den Onlinemarkt
So wird beispielsweise der Onlinehändler Amazon von Produkten geflutet, die nicht als künstlich generiert vermarktet werden und dennoch den Anschein erwecken, als seien Text und Bilder durchs Prompt entstanden. Wie eine Recherche des NDR zeigte, lässt bei solchen verdächtigen Titeln oft die Qualität der Inhalte stark zu wünschen übrig.
Während es bei Texten nicht oft nachvollziehbar ist, wer Pate gestanden hat; so ist ein bestimmter, von der KI gelernter Zeichenstil doch oft auf den ersten Blick für jeden erkennbar. Ein Problem für Illustratoren, denn mit ihren Werken wird die Software trainiert, aber sie werden dafür nicht entschädigt.

Das Netz wurde schlagartig von Ghibli-artigen Bildern überschwemmt
Jüngstes Beispiel dafür ist die neueste Ausgabe von ChatGPT, welche Bilder im Stil des bekannten japanischen Trickfilmstudios Ghibli erzeugen konnte, denn mittlerweile hat OpenAI diese Funktion wieder entfernt.
Das internationale Recht läuft der technischen Entwicklung in dieser Hinsicht hinterher: Es gibt keine Möglichkeiten, einen Zeichenstil rechtlich schützen zu lassen und auch wenn der geistige Diebstahl für jede und jeden sofort ersichtlich ist, bleibt der Vorgang allenfalls ein rechtlicher Graubereich.
Wenn das Kind zum Held des eigenen Kinderbuchs wird
Womit sich auch ein völlig neuer Markt für Personen eröffnet, die früher mit dem Kreieren von Kinderbüchern nichts zu tun hatten: Informatikern. Plötzlich finden sich Angebote im Netz, mit denen Amateure ihre eigenen, personalisierten Kinderabenteuer erstellen und publizieren können.
Man möchte sein Kind zum Geburtstag als Astronaut auf den Mond schicken? Und gleichzeitig mit einem professionellen Kinderbuch in der Bekanntschaft für Aufsehen sorgen? Neue Startups bieten die dafür notwendige KI-Modelle an und zeigen auch gleich, wie es geht.
Eltern müssen dafür einfach das eigene Kind aus mehreren Winkeln, in verschiedenen Outfits und vor mehreren Hintergründen fotografieren. Den Rest erledigt die Software. Am Ende wird der eigene Nachwuchs zum Helden der größten Abenteuer. Ob das Ganze pädagogisch eine gute Idee ist, damit befasst sich derzeit noch niemand.

Die Zukunft des Kinderbuchs: Ungewiss
Allerdings regt sich Widerstand bei den Machern herkömmlicher Kinderbücher. Illustratoren wie Michael Mantel („Unterholz-Ninjas“) prangern Verlage an, die ihre alten Bücher mit KI-generierten Covern neu auflegen – mit Erfolg. Erste Verlage wie Kindermann geben sich selbst eine „No-AI-Charta“ und wollen auf den menschlichen Faktor im Kinderbuch nicht verzichten.
Die Frage ist, ob das reicht um die Branche vor einem Umbruch zu bewahren. Denn die Technologie ist in der Welt und sie wird – ähnlich wie zuvor das digitale Sampling oder die mp3 – einen Effekt der Selbstermächtigung auf die Gesellschaft haben.
Wer will, wird in Zukunft sein eigenes Kinderbuch per Mausklick generieren können – im Ghibli-Stil oder als Wimmelbild nach Art von Ali Mitgutsch. Die Frage ist, ob wir das noch als Fake erkennen werden. Und ob uns das stören wird.