In einer Welt voller Krisen sieht Nino Haratischwili in der Literatur mehr als Trost. Sie sei ein Mittel, „Wahrheiten zu benennen und Lügner zu entlarven“, zitiert die deutsch-georgische Autorin Salman Rushdie. Für das Stuttgarter Literaturfestival hat sie ein Programm kuratiert, das „Überleben“ doppeldeutig versteht: als Notwendigkeit – und als Kunst, das Leben zu feiern, ohne den Blick vor der Wirklichkeit zu verschließen.
Nicht wegsehen – sondern zumuten
„Man kann nicht überall hinsehen, wo es brennt – aber man sollte es versuchen“, sagt Haratischwili. Verständnis für Rückzug paart sie mit einem Appell: Wer sich dauerhaft in der Komfortzone einrichte, laufe Gefahr, von der Welt überrascht zu werden. Indirekt warnt sie davor, den Kontakt zur Realität zu verlieren – auch wenn diese schmerzhaft ist.
Schreiben an der Frontlinie
Ein literarischer Fixpunkt des Festivals ist der polnische Autor Szczepan Twardoch. Er war selbst in der Ukraine – nicht nur als Beobachter, sondern vor Ort an der Front. Haratischwili lobt ihn als „eine der wenigen Stimmen, die sich physisch in Lebensgefahr begeben“, um zu verstehen. Besonders beeindruckt hat sie sein Begriff des „Westplaning“ – eine Kritik am westlichen Erklärungsbedürfnis gegenüber dem Osten.
Nino Haratischwili in SWR Kultur
Buchkritik Nino Haratischwili – Das mangelnde Licht
In „Das mangelnde Licht“ wendet sich die Autorin Nino Haratischwili einmal mehr der jüngeren Geschichte Georgiens zu. Sie erzählt darin über einen Zeitraum von mehr als dreißig Jahren die Geschichte von vier Freundinnen, die sich in der Schule kennen lernen und aufwachsen in einem Land, das sich unter der Perestroika von einem kommunistisch regierten in ein unabhängiges verwandelt und in dem das Leben seiner Bewohner von Umbruch, Krieg und Gewalt bestimmt wird. | Rezension von Beate Tröger | Frankfurter Verlagsanstalt, 832 Seiten, 34 Euro | ISBN: 9783627002930
Zeitgenossen Nino Haratischwili: „Ich darf mich nicht schonen“
Ihr großer Familienroman „Das achte Leben“ machte Nino Haratischwili 2014 einem breiten Publikum bekannt. Seit 2003 lebt die 1983 im georgischen Tiflis geborene Autorin und Theater-Regisseurin in Deutschland. Am 18. Januar erhält sie die renommierte Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz. Ministerpräsidentin Malu Dreyer lobte Nino Haratischwili als „große Geschichtenerzählerin“, deren Werke vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine erschreckend aktuell seien. Nino Haratischwili beschreibt sich selbst als kulturelle Grenzgängerin. Sie lebt in Berlin.