So stellt es sich Tue jedenfalls vor, am Anfang dieses Romans. Der Vater lebt, und der Zwölfjährige denkt über seinen Tod nach. Sicher nichts Ungewöhnliches bei Kindern. Als Angstfantasie zumindest. Was könnte die eigene Welt mehr bedrohen, als der Verlust der Eltern. Bei Tue ist da allerdings weniger Angst als die Erwartung, ja, vielleicht sogar die Hoffnung auf einen Cut, darauf, dass es anders wird. Eine echte Wandlung – und Tue ihr Zeremonienmeister. Vielleicht könnte er die Leute ja sogar zum Weinen bringen mit seiner Rede, malt er sich aus.
Kindheit im dänischen Outback
Dass nur der Tod für Tue einen Ausweg bietet, verrät viel über den Ort, an dem er aufwächst. Ein Hof irgendwo im Norden. Dänisches Outback. Dort wo man Hunden keinen Namen gibt, weil Hunde eben Hunde sind. Der Vater – ein Bauer am Rande des Bankrotts. Tue ist das älteste von drei Kindern. Ein viertes verliert die Mutter auf den ersten Seiten des Romans. Verständnis für ihren Verlust gibt es kaum. Schon gar nicht vom Vater. Also zieht sie sich zurück, auch von den Kindern.
Auf den restlichen 250 Seiten zockt sie konsequent Online-Poker. Wir haben es, mit anderen, Worten mit ziemlich prekären Verhältnissen zu tun. Und mit einer Kindheit, über der der Schatten der Scham liegt. Scham über die eigene Armut. Und Scham über das Sosein der Eltern. Eine Beschwerde der Schulleiterin über Tue beantwortet der Vater damit, dass er Tue mit einen blutigen Knochen zu ihr zurückschickt.
Toxische Vater-Sohn Beziehung
Offen, wer hier bestraft werden soll – die Schulleiterin oder Tue selbst. Überhaupt ist dieses Vater-Sohn-Verhältnis eines, das von notorischen Bosheiten geprägt ist. Fast wirkt es so, als suche der Vater den Punkt, an dem seine Wut in Reue umschlägt – die einzigen Momente, in denen er eine Art Sanftheit gegenüber seinem Sohn zeigen kann. Nur macht die bei Tue Platz für die eigene Wut. Eine Anti-Beziehungsdynamik.
In Form gehalten wird all das durch eine fast sachliche Sprache. Unsentimental, oft kindlich direkt. Nicht leicht hinter dieser Ruppigkeit, auch sowas wie Verbindlichkeit rauszuhören, Zuneigung sogar. Etwa im Verhältnis Tues zu seiner Großmutter. Oder zu seiner Schulfreundin Iben. Die erste, die ihn erkennt, die ausspricht, was er nie aussprechen würde, nämlich, dass er auf Männer steht.
Und wenn auch keine dieser Beziehungen sowas wie Rettung verspricht – diesen Kitsch versagt sich Korsgaard – dann nähren sie doch Tues Fantasie. Die Fähigkeit, sich einen Neuanfang vorzustellen. Jenseits vom Hof. Und ohne, dass der Vater sein Leben lassen muss.
Aufbruch ohne Helden
Auf den ersten Blick wirkt vieles an diesem Roman konventionell. Eine stimmig erzählte Coming-of-Age-Geschichte – fein, nächstes Buch. Damit macht man es sich allerdings zu einfach. Koorsgards Kunst ist subtiler, offenbart sich erst auf den zweiten Blick. Er schafft es, in Tue die Erwartung von etwas anderem zu wecken, ohne ihn mutwillig über dramaturgische Klippen zu jagen. Heldenreise ist nicht. Im Gegenteil: Dort eine Verletzung zu viel, hier eine liebevolle Begegnung und irgendwann hat die Welt ein anderes Gesicht. Auch für Tue.
Dieser Roman hat keinen Helden. Veränderung braucht auch keinen. Davon erzählt Korsgaard ganz leise und eindringlich.