Buchkritik

Reiner Burger – Marlene Dietrich an der Front

Stand

Von Autor/in Julia Schröder

Die Filmdiva Marlene Dietrich trat 1944 in einer neuen Rolle auf: als Truppenbetreuerin amerikanischer Soldaten, die in Europa kämpften. Ein Band mit vielen Fotos und ausführlichem Text lässt diese Monate lebendig werden – und offenbart Überraschendes.

Musik: „The Boys in the Backroom” (aus: “Der große Bluff“): „See what the boys in the backroom will have, and tell them, I’m having the same …” 

„The Boys in the Backroom“ war der Song zu einer Filmrolle, in der die glamouröse Diva Marlene Dietrich sich auch in Hollywood von ihrer komischen, ihrer Berliner Seite zeigen konnte. Das war Ende 1939, im Western „Der große Bluff“.  

Guck einfach, was die Jungs im Hinterzimmer trinken, und sag ihnen: Ich seufze ... ich heule ... und ich sterbe von demselben Zeug. 

Musik: s.o. „... Just see what the boys in the backroom will have, and tell them I sighed, and tell them I cried, and tell them I died of the same.”  

Wenige Jahre später sollte sie den Song wieder und wieder singen, vor immer neuen, sie bejubelnden US-amerikanischen Soldaten, die in Europa gegen die Achsenmächte kämpften. 1944 war Marlene Dietrich Teil der kulturellen Truppenbetreuung und absolvierte zwei wochenlange Tourneen in Italien und im umkämpften deutsch-belgischen Grenzgebiet.  

Leben mit den „Boys“, schlafen mit den Ratten 

Und sie schaute nicht nur für einen schnellen Auftritt in den Lagern und Lazaretten vorbei. Wie ihre Künstlerkollegen war Marlene offiziell Soldatin der US-Army im Rang eines Captain, sie teilte das Leben der Männer, die sie ihre „Boys“ nannte. Trug Khaki wie sie, aß mit ihnen Feldverpflegung, wusch sich mit Schneewasser, logierte in zerbombten Gebäuden voller Ratten. 

Man liegt auf dem Boden in seinem Schlafsack, die Decke bis zum Kinn hochgezogen, und diese Biester rasen einem übers Gesicht mit ihren kalten Pfoten. Sie erschrecken einen zu Tode. Da man außerdem durch die Bomben in Angst und Schrecken versetzt wird, kann man sich fragen, was man bevorzugen soll: V1, V2 – oder die Ratten. 

Diese Geschichte erzählt der FAZ-Journalist Reiner Burger kenntnisreich und lebendig im Bild-Text-Band „Marlene Dietrich an der Front“, und er erzählt sie nicht nur auf Basis historischer Quellen und Lebenszeugnisse, sondern auch anhand einer Fülle vielsagender Fotos aus Marlene Dietrichs Nachlass: die Schauspielerin posierend vor Panzern und auf provisorischen Bühnen, in Schürze vor der Feldküche, beim Eintopfessen mit Kommandeuren und, ein besonders eindrucksvolles Bild, vor Scharen von Fallschirmen, die während eines Manövers vom Himmel schweben.  

Gute Figur auch in Feldmontur 

Bis heute fasziniert die Ausstrahlung einer Frau, die in Feldmontur ebenso gute Figur machte wie im Paillettenkleid. Auf Schnappschüssen wie auf offenkundig gestellten Fotos wirkt Marlene immer zugleich selbstbewusst und authentisch. Von manchen der Fotos wird hier auch die Rückseite gezeigt, von ihr eigenhändig beschriftet während der letzten Lebensjahre in der Pariser Matratzengruft. Die Monate mitten im Krieg waren keine bloße Episode. Nicht nur für Marlene.  

Kriegsmonate, die das Leben prägten 

Sich in der Nachkriegswelt zurechtzufinden, war die Herausforderung. Ihrem Freund Ernest Hemingway etwa gelang das wesentlich schlechter als ihr. Sie beide hatten die monatelange blutige Hürtgenwald-Schlacht in den Ardennen erlebt, sie als Truppenunterhalterin, er als Kriegsbericherstatter an vorderster Front. Was er zu ihr gesagt hatte, bevor er sich 1961 umbrachte, ließ sie nicht los.  

Ich werde niemals seinen Satz, 'es war einfacher im Hürtgenwald‘ vergessen.

Die Schrecken des Krieges hatten ihn traumatisiert, und im Frieden kam er nicht klar. Marlene Dietrich zog eine andere Bilanz der Zeit, als sie nicht nur zur Stärkung der Moral ihrer „Boys“ unterwegs war, sondern auch im Dienst der Anti-Nazi-Propaganda des US-Geheimdienstes. Ihren Einsatz nannte sie wörtlich „das einzig Wichtige, was ich je getan habe.“ 

Zugleich war es der Wendepunkt ihrer Karriere, auch das wird in diesem lesens- und betrachtenswerten Buch deutlich. Die Erfahrung, live vor begeistertem Publikum aufzutreten, motivierte sie, Anfang der Fünfziger vom Film auf Gesangsshows umzusatteln. Zwanzig Jahre lang hatte sie phänomenalen Erfolg – mit den Songs, die sie für die Soldaten gesungen hatte. 

Aus “Marlene Dietrich speaks to American GI's during WW II”): „ …to a speedy victory. Good bye, good luck, godspeed.“  

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