Science-Fiction-Autor

Philip K. Dick: Paranoia ist der erste Schritt zur Erkenntnis

Stand
Autor/in
Frank Hertweck

Von „Blade Runner“ bis „Matrix“: Philip K. Dick schuf Welten voller Unsicherheiten, die bis heute Filme und Bücher prägen. Wer war der amerikanische Science-Fiction-Autor, der unter Verfolgungswahn litt?

Jenseits sogenannter „SF“-Fans kennt keiner seinen Namen; aber jeder, der die großen Science-Fiction-Klassiker der letzten Jahrzehnte im Kino gesehen hat, hatte schon mal mit ihm zu tun: mit Philip K. Dick.

Filme wie „Blade Runner“, „Minority Report“, „Total Recall“, „Matrix“ – alle diese Ikonen der Popkultur basieren mehr oder weniger auf seinen literarischen Werken. Zu Lebzeiten war er vor allem in der SF-Szene ein gefeierter Autor, ein Visionär, ein Orakel, ein Meinungsführer. Aber mehr dann auch nicht.

Szene aus dem Film "Blade Runner"
„Blade Runner" spielt im Jahr 2019 und handelt vom ehemaligen Polizisten Rick Deckard, der von reichen Industriellen beauftragt wird, „Replikanten“, also menschenähnliche Androide, die in der Unterwelt von LA nach ihrem Schöpfer suchen, auszuschalten.

Leitplanken der Fantasie

1928 in Chicago geboren, prägte ihn der frühe Verlust seiner Zwillingsschwester, die kurz nach der Geburt starb. Es war das Trauma, das sein Leben bestimmen sollte, denn das Grab an ihrer Seite lag für ihn schon bereit: sein Name war eingraviert, auch das Geburtsdatum. Nur das Todesdatum fehlte, es sollte 1982 folgen.

Dick war und blieb immer ein Außenseiter, hochintelligent, als Leser ein Allesfresser. Aber was ihm fehlte, war Struktur. Darum funktionierte das Genre der Science-Fiction perfekt für ihn: Es gab Regeln, an die man sich halten musste, was seiner überbordenden Fantasie Leitplanken setzte. Nicht umsonst scheiterte er beim Versuch, Mainstream-Romane zu schreiben.

Da er schon früh geheiratet hatte – Kleo blieb nicht seine einzige Ehefrau –, musste er seine Familie durchfüttern. Darum schrieb er wie verrückt, unterstützt von Amphetaminen und Antidepressiva, was der Ordnung seiner ohnehin schon anarchischen wie chaotischen Gedankenwelt nicht gerade entgegenkam.

Cover und CD des Films „Blade Runner“
Philip K. Dicks Roman „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ war die Vorlage für den Film „Blade Runner“, der 1982 unter der Regie von Ridley Scott erschien. Der Film machte Dick nach seinem Tod weltbekannt. Bild in Detailansicht öffnen
Harrison Ford und Sean Young in "Blade Runner"
Deckard verliebt sich schließlich in die Replikantin Rachael und beginnt, an seinem Auftrag zu zweifeln. Harrison Ford in der Rolle als Rick Deackard und Sean Young als Rachael. Bild in Detailansicht öffnen
Samantha Morton und Tom Cruise im Film "Minority Report"
Auch der Film „Minority Report“ (2002) von Regisseur Steven Spielberg und mit Tom Cruise in der Hauptrolle basiert auf einer gleichnamigen Kurzgeschichte von Philip K. Dick. Bild in Detailansicht öffnen
Tom Cruise in "Minority Report"
Die Geschichte ist im Jahr 2054 verankert, wo John Anderton eine Abteilung leitet, die auf die Festnahme von zukünftigen Mördern spezialisiert ist. Dieses ist durch Precogs möglich, durch deren Visionen Verbrechen aufgezeigt werden können, bevor sie begangen sind. Als Andertons Namen preisgegeben wird, muss er vor seinem eigenen System flüchten. Bild in Detailansicht öffnen

Er entwickelte paranoide Züge, fühlte sich verfolgt und überwacht. Aber hatten nicht tatsächlich zwei FBI-Agenten an seiner Haustüre geklingelt und ihn auszufragen versucht? Wer weiß. Manchmal ist Paranoia eben auch der erste Schritt zur Erkenntnis.

Religion und Glauben

Auch der Glaube spielte eine zentrale Rolle in seinem Leben: Denn wer verzweifelt zweifelt, der sucht den Tigersprung in die Religion. Philip K. Dick wurde katholisch. Sein ganzes Leben schwankte er zwischen der Sicherheit in der Kirche und der Infragestellung einer höheren Instanz, die für Ordnung sorgen könnte.

Ein unauflösbares Hin und Her. Darum sind seine besten Romane wie Kippfiguren, bei denen man als Leser nie weiß, ob nicht hinter der eigenen Welt eine andere lauert, die die eigene als Schein entlarvt. Dick ist kein Science-Fiction-Autor, bei dem der Technikfetischismus seine Blüten treibt.

Natürlich fliegt man mit Raumkapseln durchs All, aber viel wichtiger ist der düstere Blick auf die dystopische Welt, ja, auf uns selbst.

The Man In The High Castle | Staffel 1 | Offizieller Trailer | Prime Video DE

Einstieg in den Dick-Kosmos: „Das Orakel vom Berg“

In „Träumen Androiden von elektrischen Schafen“ buchstabiert er den legendären Alan-Turing-Text durch, der auf die Intelligenz des Menschen setzt, um sich von Maschinen zu unterscheiden. Aber seine Antwort heißt: Es ist die Empathie, die uns von ihnen trennt, nicht der Geist. Das Herz und nicht das Hirn. Doch sobald Androiden auch gerne mit Tieren schmusen wollen, ist Schluss mit diesem Kriterium.

Wer in den Dick-Kosmos einsteigen will, dem sei „Das Orakel vom Berg“ empfohlen, im Original „The Man in the High Castle“ und auch als Prime-Video-Serie sehr erfolgreich.

Da geht es mal nicht um die Zukunft, sondern um die Vergangenheit, denn im Roman haben die Nazis und ihre Verbündeten, die japanischen Faschisten, den 2. Weltkrieg gewonnen. Sie haben sich die USA aufgeteilt, Japan kriegt die Westküste, die Nazis die Ostküste, aber natürlich hätten die gerne das ganze Land besetzt.

Doch im Buch gibt es ein Buch, das die Geschichte ganz anders, sozusagen kontrafaktisch erzählt, die „Die Plage der Heuschrecke“. In ihm heißt der Sieger USA, der unumstößliche Hort der Demokratie.

Porträt: Der polnische Science-Fiction-Schriftsteller Stanislaw Lem (1921 - 2006)
Der polnische Science-Fiction-Schriftsteller Stanislaw Lem (1921 - 2006)

„Ubik“: Attentat auf dem Mond

In „Ubik“, dem Roman, den Polens großer Schriftsteller Stanisław Lem (den Dick übrigens für einen kommunistischen Agenten hielt, der ihn umdrehen sollte) für eines der ganz wichtigen Bücher der Weltliteratur hielt, kämpfen die Guten gegen Menschen, die besondere psychische Fähigkeiten haben. Sie können zum Beispiel fremde Gedanken lesen oder die Vergangenheit verändern.

Sie werden auf den Mond gelockt und geraten in ein Attentat. Ihr Anführer scheint zu sterben, darum verfrachtet man ihn schnell in eine Klinik, in der Halb-Lebendige aufbewahrt werden, um mit den Lebenden weiter kommunizieren zu können. Doch irgendetwas stimmt nicht. Lebt der Chef noch und sie sind die Halbtoten?

Emmanuel Carrère über Philip K. Dick

„Ich lebe und ihr seid tot“, heißt der Kippsatz des Romans. Aber nicht, dass man damit schon am Ende der Denkspirale angelangt wäre.

Der berühmte französische Romancier Emmanuel Carrère hat vor über 30 Jahren als großer Fan eine sehr romanhafte Biografie über Dick geschrieben, die gerade auf Deutsch erschienen ist. Sie heißt im Untertitel: „Die Parallelwelten des Philip K. Dick“ und entfaltet in großer Detailbesessenheit die Obsessionen, die Philip K. Dick umtrieben.

Nur was zu Dicks Zeiten noch Fantasie und Medikamente schufen, erledigen heute die Kommunikationsmittel per Bubblebildung selbst. Dicks Romane sind ein Werk der Unsicherheit, die keinen Boden unter den Füßen kennt. Das macht sie so modern.

Gleichzeitig gibt es immer ein paar Protagonisten, die an ihre Auserwähltheit glauben und ihre Parallelwelt zum Nabel der Welt erklären. Dass die auch noch den Mars kolonialisieren wollen, spricht für Dicks Prognosefähigkeit.

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Sein eigener Verfolgungswahn nahm immer ausgeprägtere Züge an. Am Ende ging er davon aus, dass der amerikanische Präsident und Kommunistenfresser Richard Nixon, dessen Spitzname – jetzt kommt´s – „tricky Dick“ war, in Wirklichkeit selbst ein Roter gewesen sei! Und er, Dick, sozusagen der große Dissident seiner Zeit, der Solschenyzin der USA. Klingt absurd?

Gerade konnte man lesen, dass der KI-Chatbot aus dem Hause Elon Musk, „Grok“, auf die Frage, ob Donald Trump ein russischer Agent sei, antwortete: „mit 75 bis 85 Prozent Wahrscheinlichkeit“.

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„Wohin ging es nur“ – Der Schriftsteller Christian Kracht schickt seine Figuren im neuen Roman „Air“ in eine grausame Fantasy-Welt.
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