Buchkritik

Nina Bußmann – Drei Wochen im August

Stand

Von Autor/in Jonathan Böhm

Elena bekommt von ihrer Freundin und Chefin Ali ein verlockendes Angebot: Sie kann mit ihrer Familie drei Wochen kostenlos in dem Haus von Alis Lebensgefährtin an der französischen Atlantikküste wohnen. Doch was als scheinbar entspannte Auszeit beginnt, nimmt immer bedrohlichere Züge an.

Zwei Frauen sitzen in gleißender Sonne am Pool, die eine raucht, die andere isst einen Apfel. Sie wirken distanziert. Schon das Cover trägt in sich eine Spannung zwischen sommerlicher Leichtigkeit und einer gewissen Leere. 

Alles beginnt erst einmal sehr unkompliziert. Elena arbeitet als freie Kuratorin für ihre Freundin, die Künstlerin Ali. Deren Lebensgefährtin Nana besitzt ein Sommerhaus an der Atlantikküste in Südwestfrankreich. Ali bietet Elena an, das Haus den Sommer über zu nutzen. Ohne lange nachzudenken oder ihre Familie zu fragen, sagt Elena zu. 

Ich war es, die hierher wollte und alle anderen überredet hat. Ich wollte ins Licht. Glattgezogene Strände, der heranrollende Atlantik. Goldgräberstädte an den Küsten, ein Garten im Hinterland. Im September werden die Zelte und Buden eingeklappt, die Küstenorte schließen. Man kommt für die Sonne und die Gischt. 

Mal blumig, mal kühl 

Doch so einfach, wie es scheint, ist alles nicht. Schon der Grund, warum das Sommerhaus ungenutzt bleibt, gibt zu denken: Nana leidet an einem Hirntumor und wird sterben. Davon wenig beeindruckt, zieht es Elena in die Sonne.

So reist sie mit ihren beiden Kindern Rinus und Linn, mit Linns Freundin Noémie und mit Eve, dem Kindermädchen, für drei Wochen nach Frankreich. Elenas Mann Kolja bleibt derweil zu Hause. Er muss arbeiten. Die Ehe der beiden ist in Schieflage geraten. 

Nina Bußmann erzählt die Geschichte abwechselnd aus der Perspektive von Elena und dem Kindermädchen Eve. Elena schildert die Ereignisse oft blumig und in ausschweifenden Sätzen, Eve hingegen ist kühler, knapper und hat einen kritischeren Blick, sowohl auf Elena als auch auf das vermeintliche Idyll, das mit zunehmendem Handlungsverlauf ein immer bedrohlicherer Ort wird.

Da sind zum einen die Waldbrände, die in der Nähe wüten. Zum anderen die unberechenbaren Strömungen im Atlantik. Dann funktioniert Elenas Kreditkarte zeitweise nicht. Und schließlich sind da noch die unangekündigten Besucher: ein herrenloser Hund, der eines Tages im Garten steht, und Franz mit seiner Tochter Marla aus Berlin, der sich ebenfalls als Freund Alis ausgibt.

Er stellt sich einfach mit seinem VW-Bus auf das Grundstück, bedient sich am Kühlschrank und kocht aufwendige Menüs, deren Zutaten er aber immer Elena einkaufen oder sich von anderen schenken lässt. 

Eine Suppe aus Abfällen 

Im Haus ist der Dunst der Festsuppe in alle Winkel gezogen. Lorbeer und Knoblauch, Rosmarin und Fisch. Eine Suppe aus Abfällen, darauf ist er stolz, angeblich befindet sich nichts darin, das er nicht an einem Marktstand oder von einem Restaurant geschenkt bekommen hat oder am Wegrand gesammelt.

Überhaupt die gemeinsamen Mahlzeiten: Ihre Zubereitung und Sinnlichkeit sind scheinbar das Einzige, was diese fragile Gemeinschaft zusammenhält, denn die räumliche Nähe und die unterschiedlichen Bedürfnisse der Protagonisten führen zu Spannungen, die jederzeit in offene Konflikte münden können.

Mit Crémant und Austern und mit Wein, dem vor allem Elena auffällig zuspricht, werden die Risse im System wieder gekittet. Aber der Abgrund darunter bleibt spürbar. 

Bußmann erzählt all das in einer poetischen und dennoch wunderbar klaren Sprache, bei der sich die Stimmen von Elena und Eve wie in einem Dialog ergänzen. Bußmann hat ein genaues Gespür, etwa für Naturbeobachtungen und für menschliche Konfliktlagen, die sie hervorragend seziert.

Gleichzeitig hat das Buch Längen. Allerdings transportiert sich dadurch auch die Langeweile und Leere im Leben der Figuren. Unklar bleibt, ob das von der Autorin so kalkuliert ist. 

Eine Geschichte von Privilegierten 

Erst kurz vor Schluss, als Linn bei einer Party plötzlich spurlos verschwindet, kommt Zug in die Geschichte. 

„Drei Wochen im August“ ist auch die Geschichte von Privilegierten, die in all ihrem Wohlstand doch um existentielle Leerstellen kreisen. Und es ist dieses Flirren zwischen Leichtigkeit und Abgründen, das das Buch letztlich lesenswert macht. 

Sind wir zu beneiden, Eve?“ Ich frage mich, ob seine Frage mich einschließt. Wahrscheinlich nicht. Aber über die Antwort muss ich nicht nachdenken: „Natürlich sind wir zu beneiden, es geht uns doch sehr, sehr gut hier“

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In ihrem neuen Roman erkundet Anne Weber das vermeintlich Vertraute und begibt sich in die Außenbezirke von Paris, dorthin, wo Menschen mit Migrationshintergrund leben und Armut den Alltag bestimmt. In diesen halbfiktionalen Streifzügen aber lauern die Geschichten.
Matthes & Seitz Verlag, 301 Seiten, 25 Euro
ISBN 978-3-7518-0955-9

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