Buchkritik

Natasha Brown – Von allgemeiner Gültigkeit

Stand
Autor/in
Eberhard Falcke

Der Schlag mit einem Goldbarren auf einen Männerkopf ist kein alltägliches Verbrechen. Das hat Symbolkraft und Natasha Brown sieht darin eine Parabel über die britische Gesellschaft und ihren krisenhaften Zustand. Davon handelt ihr Roman „Von allgemeiner Gültigkeit".

Lässt sich mit aktuellen Reizworten aus den Soundtracks öffentlicher Debatten ein Roman zimmern? Aus Zeitgeistdiskursen eine Gesellschaftsanalyse zusammenbauen? Die Londoner Autorin Natasha Brown hat es versucht. Und um zu betonen, dass es ihr um den ganz großen Überblick geht, hat sie ihrem Roman auch gleich noch einen Titel gegeben, der wie ein Zertifikat klingt. Er lautet „Von allgemeiner Gültigkeit".

Eine moderne Parabel

Auch die junge Journalistin Hannah, deren Reportage das erste Drittel des Romans ausmacht, stellt gleich einleitend klar, dass es hier um hoch Bedeutsames geht:

Es lohnt sich zu rekonstruieren, was den verstörenden Ereignissen dieser Nacht vorausging, denn dahinter verbirgt sich eine moderne Parabel. Sie offenbart das zerfasernde Gewebe der britischen Gesellschaft, verschlissen durch den pausenlosen Abrieb des Spätkapitalismus.

Was ist passiert? Im Landhaus eines Investmentbankers wurde auf einer Party ein Zwölf-Kilo-Goldbarren des Hausherrn als Schlagwaffe eingesetzt. Täter war der wohlstandsverwahrloste Sohn einer berühmten Kolumnistin, das Opfer gehörte zu einer Gruppe von Weltverbesserungsaktivisten.

An sozialen Frontlinien

Die Journalistin Hannah erkennt in dem Vorfall heißen Stoff für eine Reportage mit soziologischem Tiefgang.

Kein Zweifel, Natasha Brown führt uns direkt an die inneren Frontlinien unserer westlichen Gesellschaften. Antikapitalistische Aktivisten und Banker rücken genauso ins Bild wie die bedrängte bürgerliche Mitte oder die Arbeiterklasse. Begriffe wie Diversität, Klassismus, Rassismus oder kulturelles Kapital schwirren durch die Debattenräume, die von der Autorin effektvoll in Szene gesetzt werden.

So spiegelt sie in den fünf Abschnitten ihres Buches jeweils Textgenres und Situationen, die zum sozialen Standardrepertoire gehören. Auf Hannahs Reportage folgt ein Abendessen als Gesellschaftstheater, bei dem unter der Oberfläche des Small Talk hart um Anerkennung und Distinktion gerungen wird.

Und am Ende des Romans bildet ein Literaturfestival mit Podiumsdiskussion den passenden Handlungsrahmen für vergiftete Höflichkeiten und rhetorische Statuskonkurrenzen.

Schluss mit Woke

Eine besonders provokante Figur gibt die Kolumnistin Miriam Leonard ab, die mit ihrem Bestseller „Schluss mit Woke" gegen Identitätspolitik und politische Korrektheit zu Felde zieht. Unverblümt polemisiert sie gegen die verbreiteten Forderungen nach Diversität.

Wir müssen darauf bestehen, dass die neue Arbeitnehmerschaft in ihrer Zusammensetzung das gesamte Vereinigte Königreich widerspiegelt, nicht bloß das ›multikulturelle‹ London.

Es überrascht, wie viel Raum Natasha Brown als schwarze Autorin  mit Rassismuserfahrungen solchen Tiraden kritiklos einräumt. Blanke Satire ist das nicht. Dafür verkörpert diese Anti-Woke-Kolumnistin eine zu lebendige, durch ihre selbstbewusste Präsenz privilegierte Figur.

Das heißt, es bleiben Fragen offen bei diesem von grellen Effekten durchsetzten Gesellschaftsbild. Andererseits ist die Handlung manchmal so vorhersehbar wie der aktuelle Zeitgeist, den sie abbildet. Doch trotz alledem bietet Natasha Browns Roman „Von allgemeiner Gültigkeit" eine Lektüre, die mit zeitkritischem Witz amüsiert und mit zielsicheren Provokationen nicht spart.

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Eberhard Falcke